: Moderner K Konservativismus
■ Das zeitgemäße Wohnen, eine Mischung aus ästhetischem Beharren und Zukunftssehnsucht, mündet doch wieder in die alte Maxime: Trautes Heim, Glück allein.
Von
PAUL F. DUWE
s ist still in der Runde, von einer „Maisonette“ war in dem Zeitungsartikel die Rede. Erinnerungen an das letzte „Raclette“, jenes Walliser Käsegericht, werden wach. Doch was hat man sich unter einer „Maisonette“ vorzustellen? Eine neue Käsesorte vielleicht? Eigentlich kann die Unkenntnis nicht verwundern. Denn mit der „Maisonette“ können natürlich jene Auserwählten am ehesten etwas anfangen, die über eine verfügen, über ein „Klein-Häuschen“, dezent versteckt in einer größeren Behausung. Während es Otto Normalmieter und Familie gestattet ist, sich auf einer Etage wohnlich einzunisten, bietet die „Maisonette“ gar auf zwei Stockwerken jenen Freiraum, der das Heim so behaglich werden läßt.
Zwar gelten die Engländer für gewöhnlich als unerträglich konservativ, doch macht sich der moderne Berliner ihren Leitspruch „My home is my castle“ gern zu eigen. Ein bißchen Höhlenmensch sein, ein kleines, aber unantastbares Reich besitzen - solche Vorsätze haben die sozial-romantischen Wohngemeinschaften, in revolutionären Zeiten überschwenglich Kommunen genannt, ins Hintertreffen gebracht.
Nur wenige frönen noch den zivilisatorischen Relikten der Anarcho-Phase, wie jene „Rollheimer“ am Potsdamer Platz oder am Kreuzberger Mauerstreifen. Für den wohlsituierten linken Mittelstand gilt: Gewohnt wird nach Maßanfertigung. Jede Behausung ein kleines Gesamtkunstwerk, weg von der kollektivistischen Gleichmacherei. Am Ende reguliert der Gehaltsstreifen schonungslos die Fähigkeit zur individuellen Entfaltung. Die Identität enthüllt sich in der neuen Innerlichkeit, in einer vornehmen „splendid isolation“.
Der Kulturmensch der 90er Jahre ist ein introvertiertes Wesen, das sich, hermetisch abgeriegelt von der Außenwelt, an persönlichem Komfort berauscht. Viele kleine Könige bewohnen die Parzellen des metropolitanen Wabenstocks, in vielem ähnlich jenem Märchen-Ludwig, den die Bayern als „Kieni“ verehrten. Was einst das Ideal eines verspinnerten Potentaten war, prägt heute das Lebensgefühl seiner bürgerlichen Wohlstandsurenkel, die, in sich selbst versunken, zum lautlosen Sprung über die Jahrtausendwende ansetzen.
in imposanter Hifi-Tower in Verbindung mit raumgreifenden Lautsprecherboxen markiert zunächst einmal das musische Element, CD-Qualitätsstandard selbstverständlich inbegriffen. Aber, die Trendwohnung ist vor allem ein visuelles Erlebnis. Freiheit und Abenteuer spiegeln sich in unkonventionellen Sichtachsen. Der Durchbruch, ob vertikal oder horizontal, avanciert zum beliebten Gestaltungsmerkmal. Dabei bekennt sich der Konsument zum ursprünglichen Material, unverputzte Ziegelsteine sind ihm eine besondere Wonne. Sie stellen das Spartanische als Antithese dem perfektionierten Komfort gegenüber. Natürlich hat auch der Computer längst Zugang gefunden, allerdings kaum als gestalterische Figur. Mit dem PC effektiviert der Nutzer seine Beschaffungsanstrengungen und sichert die Logistik. Somit liegt der Aufgabenbereich des elektronischen Superhirns eher in der Etappe.
Der Arbeitsdrang des Designers verlegt sich zusehends auf das Sitzmöbel, nimmt doch seine kunstgerechte Benutzung immer mehr die Zeit des Ästheten in Anspruch. Asketische Formen überlagern dabei Zweckmäßigkeitsmotive und beanspruchen die zuständigen Muskelpartien. Abwechslung bringen Farben und Materialien, sie provozieren das optische Empfindungsvermögen.
Der Stuhl rückt aus dem einfachen Gebrauchsstatus in den Adelsstand des Kunstobjekts auf. So erscheint das reale Leben immer mehr als konditionierter Kulturgenuß. Indes ermangelt es den gesetzten Formen an jener spielerischen Leichtigkeit, die dem spontanen Element entgegenkommt. Das ehedem idealisierte Schmuddel-Image ist überwunden.
Doch der Fortschritt zum Bildungsbürger verlangt nach strikter Ordnung, nach Akkuratesse. Die neue Qualität erweist sich nämlich mitunter als fragil. Überdeutlich wird dies am Werkstoff Glas, der sich im Wohnungsinterieur rasant ausbreitet. Eine falsche Bewegung, schon zerbricht das Ensemble. Dennoch wiegt die „Message“ schwerer: Glasnost, Transparenz garantieren die interne Spiegelschau. Beim Schallplattenspieler wird jedes Rädchen und Schräubchen sichtbar, schließlich leben wir im technischen Zeitalter.
er provisorische Status einer nur partiell genutzten Bleibe hat sich komplett verflüchtigt. Der arrivierte und aufgeklärte Citoyen transferiert die Kunsthalle ins eigene Heim, strebt dem humanistischen Bildungsideal mit Leidenschaft zu. Er tut dies mit der ihm eigenen Rationalität und steigert sich in einen bisweilen bizarren Obskurantismus.
Das zeitgemäße Wohnen kommt einer Kreuzung zwischen ästhetischem Beharren und Zukunftssehnsucht gleich. Wirklich neue Tendenzen lassen sich kaum herausfiltern. Beklagenswert bleibt allemal der Verlust der Poesie, es fehlt weitgehend am subversiven Element. So verbirgt sich hinter der überwiegend futuristischen Fassade meist der Konservativismus der früheren Generationen. Eine zeitgeistige Wohnkultur findet nicht statt. Besitzstandsdenken dominiert die Befindlichkeit in Haus und Heim.
Im Grunde schafft der Postmodernismus der Architektur jenen angepaßten Nutzer, der sich in die heile Welt der „Maisonette“ flüchtet, um sich den realen Bedrohungen in einer Art Käfig zu entziehen. Nicht selten haben ehemalige Besetzer diesen Weg der privaten Glückssuche gewählt und so ihren Frieden mit dem „System“ gemacht.
Dabei nehmen die Verhaltensweisen dieser Mitmenschen bisweilen skurrile Formen an. Als ängstliches und scheues Wesen entpuppt sich der postmoderne Mieter beim Schutz seiner Idylle. Kulinarische Anlässe werden kunstvoll und exklusiv arrangiert. Weißes Tischtuch, Tafelsilber und kostbares Kristall bestimmen die Atmosphäre. Mit dem Rückzug ins Private ist dieser Prozeß nur unzulänglich beschrieben. Vielmehr haben sich die sozialen Paradigmen verändert. In den 70er und frühen 80er Jahren beherrschte noch die Straße das Selbstverständnis der Avantgarde. Politische Erfolglosigkeit und zunehmende Isolierung einerseits, materieller Aufstieg andererseits lenkten die Akteure ins Wohlstandslager. Die aufsässigen Wirtschaftswunderkinder wurden erwachsen.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt fielen sie den diversen Wohnraumausstattern, Innendesignern und Unterhaltungsbranchen anheim. Jene kanalisierten das systembedrohende Potential marktgerecht in den eigenen vier Wänden. Der beachtliche Zuwachs an materiellem Komfort bewirkte letztlich einen Rückfall, leistete der Parzellierung der Gesellschaft Vorschub.
Je schneller sich die Wohnspirale künftig auch drehen mag, am Ende kristallisiert sich bei allem Streben das Motto unserer Urgroßeltern klar und vernehmbar heraus: „Trautes Heim bringt Glück allein“. Wie sich die Zeiten gleichen...
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