Hermanns meuchelnde Omas

■ Sonntag um 23.35 Uhr morden Tante Martha und Tante Abby wieder mit „Arsen und Spitzenhäubchen“

Mein Freund Hermann liebt Komödien über alles. Eigentlich ist das ganze Leben für ihn eine Komödie. Er sieht selbst in den traurigsten Dingen immer noch eine komische Seite. Mit Hermann einen Horror-Film anzuschauen ist gräßlich, er versteht ihn einfach nicht und lacht sich scheckig. Arsen und Spitzenhäubchen ist sein Lieblingsfilm, und Hermann ist nur allzu gerne bereit, jedem, der anderer Meinung ist, ein Bier auszugeben und stundenlang Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber Vorsicht! Der Mann ist ein fanatischer Bewunderer von A&S, ein echter Freak. Ich mag den Film auch, aber meine Lieblingskomödie ist Leoparden küßt man nicht, und jedes Mal, wenn ich meinen lieben, alten Freund treffe, was meistens in unserer gemeinsamen Stammkneipe passiert, kommt es zu einem harten und sehr feuchten Disput.

Hermann ist in der Regel schon vor mir da, und, um ihn zu reizen, knall‘ ich ihm gleich eine gepfefferte Provokation vor den Latz: „A & S hätte wirklich ein prima Film werden können, aber Frank Capra hat die Sache gründlich vermasselt.“ Daraufhin trinkt Hermann sein Glas aus, setzt es langsam auf die Theke und erwidert sehr ruhig: „LKMN hätte eine ganz wundervolle Komödie werden können, wenn dieser Cowboy-Filmer Howard Hawks gleich am ersten Drehtag dieser völlig überkandidelten Katharine Hepburn einen kräftigen Tritt in ihren verknöcherten Arsch gegeben und sie damit direkt auf die African Queen befördert hätte“.

Damit sind die Grenzen abgesteckt, wir zwinkern uns kurz zu, und Hermann bestellt die ersten Halben. Der Wirt, unser gemeinsamer Freund Christos, hat zu diesem Zeitpunkt schon alles begriffen und fragt amüsiert an: „Na, geht's wieder um Hermanns meuchelnde Omas?“ Was der Beschuldigte mit einem trockenen, „hau ab und schau dir 'ne griechische Tragödie an“, quittiert.

Die Cineasten unter Euch werden sicher schon festgestellt haben, was unserer Theken-Diskussion die richtige Würze gibt. Nein, nicht das Bier (das natürlich auch). Es ist der Umstand, daß in jedem unserer Lieblingsfilme Cary Grant die Hauptrolle spielt. Also umschiffen wir erst einmal diese gefährliche Klippe und warten auf einen leicht erhöhten Pegelstand, um über den männlichen Hauptdarsteller herzufallen. Hermann beginnt meist mit einem langen Monolog über den „wunderbaren Frank Capra“. Er läßt sein gesamtes Fachwissen von der Leine und erzählt, wie der Regisseur jahrelang für verschiedene Komiker als Gagschreiber gearbeitet hat, wie er sich 1939 von den großen Studios unabhängig machte und seine eigene Produktionsfirma gründete. Und er kommt ins Schwärmen, wenn er über Capras ausgeprägten Sinn für Komik und scharfe Charakterzeichnungen doziert. Dann muß Hermann Luft holen, und ich kann einhaken. Ich werfe ihm vor, daß sein „wunderbarer Capra“ von 1941 bis 1945 als Leiter der Filmproduktion des amerikanischen Kriegsministeriums im Rang eines Majors gearbeitet und all diese Why-We-Fight-Propagandaschinken gedreht hat. Hermann lächelt überlegen: „Meisterwerke! Jeder Film der Serie ein kleines Juwel propagandistischer Filmkunst.“ Worauf ich nur den Kopf schütteln und danach sehr auffällig auf mein leeres Glas starren kann. Mein Partner ordert auch sogleich die nächste Runde und wendet sich jetzt dem Film direkt zu.

Er erzählt mir in allen Einzelheiten die Story von Arsen und Spitzenhäubchen und erklärt die Gags, über die ich schon hundertmal grölend gelacht habe. Bevor ich platze, lege ich die nächste Bombe: „Capra hat das ganze Ding doch geklaut. A & S lief jahrelang sehr erfolgreich als Theaterstück am Broadway.“ Hermann reagiert genau richtig: Er wird stocksauer und bestellt zwei weitere Bier. Dann legt er los: „Als Capra diese herrliche, durch und durch schwarze Komödie am Broadway sah, verknallte er sich total in sie. Als er erfuhr, daß die Filmrechte bereits an Warner verkauft waren, traf er mit Jack Warner ein Abkommen. Er schaffte es, die liebenswerten mordlustigen alten Ladies, Josephine Hull und Jean Adair, vom Theater auszuleihen und während ihres vierwöchigen Urlaubs diese fantastische, makabre Komödie zu drehen. Jawohl, in nur vier Wochen! Und Capra tat noch mehr, er überredete Warner, für Cary Grant den geforderten Preis von 100.000 Dollar zu bezahlen. Er hielt Grant nämlich für Hollywoods größten Farceur... Christos, noch zwei Halbe!“

Während ich noch über das seltsame „Farceur“ nachgrübele, verpasse ich beinahe meinen Einsatz, denn wir sind beim Hauptdarsteller. Der Rest ist meist Taktik. Ich preise zunächst Cary Grants Vorzüge (besonders jene, die in LKMN zu sehen sind) in den höchsten Tönen und mache dann einen gewagten Vorstoß: „In A & S fand ich ihn allerdings nicht so überragend, dieses ständige Gebrüll von ihm, dieses ewige Herumgehopse, dauernd diese hervorquellenden Augen und die bibbernde Hysterie. Alles ziemlich überzogen, extrem ermüdend, wenn du mich fragst.“

Was nun folgt, ist ein irrwitziger Alptraum aus wilden Beleidigungen, alten Schwarzweißfilmen und Strömen von Bier. Der Abend endet meist mit einer sentimentalen Versöhung und der gegenseitigen Beteuerung, daß heutzutage kein Mensch mehr weiß, wie man echte Komödien inszeniert. Und mein Freund Hermann hat recht. Arsen und Spitzenhäubchen, diese alberne Geschichte um zwei alte mordende Jungfern, dieser nicht totzukriegende Evergreen des schwarzen Humors, gehört zweifellos zu Hollywoods besten Komödien und ist ein Riesenspaß.

Aber Leoparden küßt man nicht ist natürlich besser, viel besser.

Karl Wegmann