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Da muß ein Quentchen Zensur schon sein

■ Auszüge aus einem Interview, das Marilyn Booth mit Nagib Machfus führte

Marilyn Booth: Glauben Sie, daß die Kontroverse um Salman Rushdie generell eine Wirkung hat in Bezug auf die Kunst und Meinungsfreiheit in der arabischen Welt, oder weitergefaßt, in der moslemischen Welt?

Nagib Machfus: Nein. Die (ägyptische) Regierung ist eine demokratische und gibt Zeitungen und Büchern alle denkbare Freiheit. In Bezug auf die grundsätzlichen, authentischen Werte des Islam gibt es überhaupt keine Hindernisse oder Grundlagen für Angriffe. Und was die extremistischen (islamistischen) Trends betrifft: diese Leute waren vor Salman Rushdie schon Extremisten, und ich glaube nicht, daß Rushdie sie noch zu größeren Extremisten gemacht hat. Wer schon Leute dafür angreift, daß sie eine bestimmte Musik hören, der braucht Salman Rushdie nicht.

Ich frage mich, ob der Rushdie-Fall nicht dennoch eine sie ermutigende Atmosphäre schafft, die beispielsweise noch mehr ermuntert in ihren Angriffen auf Künstler und Schriftsteller.

Natürlich versuchen sie es und ihre Angriffe nehmen zu. Aber diese Angriffe auf Künstler fingen weit vor Salman Rushdie an.

Sie selbst hatten in der Vergangenheit Probleme mit der Zensur, da Sie bestimmte Erscheinungen des Regimes von Nasser und Sadat kritisierten.

Ja, das stimmt, aber diese Probleme wurden immer gelöst. Ab dem 5.Juni (1967) wurde die Zensur durch die Regierung eingeführt, und es war mir unmöglich, bestimmte Arbeiten in der Zeitung 'al-Ahran‘ zu veröffentlichen. Als sie schließlich in Buchform veröffentlicht wurden, setzte die Zensur ein, es gab heftige Debatten, Treffen und so weiter.

Welche Arbeiten waren das?

Da ging es vor allem um Karnak (1973) und Liebe im Regen (1974) - und viele meiner Kurzgeschichten. Aber als Mubarak Präsident wurde, hörte das auf. Es gibt heute keine Zensur mehr durch die Regierung.

Nicht für Bücher. Aber es gibt sie noch für andere Medien - Theater, Film, Fernsehen...

Ja, die massenorientierten Künste sind tatsächlich der Zensur unterworfen. Und warum? Weil ein so großer Teil der Bevölkerung Analphabeten sind. Und im privaten Sektor ist die Versuchung zum Geschäft sehr groß; daher erlauben sie (Produzenten, Regisseure, Scriptschreiber) sich bezüglich moralischer Fragen häufig eine Freiheit, die über die Grenzen des moralischen Anstands hinaus und gegen unsere Traditionen geht. Das sind nur die massenorientierten Künste wie Kino, Theater, Radio und Fernsehen. aber es gibt keine Zensur für Zeitungen oder Bücher, die das gebildete Publikum liest.

Wenn Zensur einiger Künste oder für ein bestimmtes Publikum „akzeptabel“ ist, wo sind dann die Grenzen? Und wer setzt sie? Mir scheint, daß die Akzeptanz von Zensur eine sehr gefährliche Haltung ist.

Die Sache ist nicht ohne Gefahren. Aber Zensoren sind immer der Kritik ausgesetzt, was bedeutet, sie können sich nicht alles erlauben. Sie müssen auf der Hut sein.

Ihr eigener Lebenslauf ist in dieser Hinsicht ungewöhnlich. Sie sagten, in ihrem Fall seien Probleme, die mit der Zensur auftauchten, immer gelöst worden, man konnte „darüber sprechen“, Dinge konnten „diskutiert und gelöst“ werden. Aber viele andere Schriftsteller haben diese Erfahrung nicht gemacht; sie wurden unter Nasser und Sadat zum Schweigen gebracht, oft ins Gefängnis geworfen. Woher kommt es, daß es Ihnen gelang, Ihre Kritik anzubringen und nicht dafür zu leiden?

Es gibt Schriftsteller, die einer bestimmten Organisation angehören, und die Behörden wußten meist, daß ein bestimmter Schriftsteller zum Beispiel Kommunist war oder der „Moslemischen Bruderschaft“ angehörte. Ein solcher Schriftsteller wurde dann einer besonderen Zensur unterworfen, seine Worte in bestimmter Weise interpretiert.

Wollen Sie damit sagen, daß es da eher um eine bestimmte politische Verfolgung ging und nicht um literarische Zensur?

Ob so ein Mann schrieb oder nicht, er konnte sich jederzeit im Gefängnis wiederfinden. Es gibt andere Schriftsteller, die aus sich selbst heraus schreiben; die haben keine politische Partei hinter sich, sind nicht Agent eines andern Staates oder ähnliches. Solche Schriftsteller sind von den Behörden in der Regel respektiert worden, und man gab ihnen gewisse Freiheiten zu sagen, was sie sagen wollten.

Wenn also jemand unmißverständlich klargemacht hatte, daß er oder sie unabhängig ist...

Ganz genau, unabhängig, und außerdem kein Feind der herrschenden Verhältnisse, der Revolution, sondern eher ein Kritiker einiger negativer Aspekte des revolutionären Regimes, während er gleichzeitig die Revolution achtet.

In einigen Interviews mit Ihnen habe ich gelesen, daß Sie selbst einmal mit der Zensurbehörde involviert waren, sogar in die Direktion der Filmzensur berufen wurden...

Nicht Filme: alle ausübenden Künste. Filme, Lieder, Theater... Ja, das war 1959.

Wie kam das zustande? Und was war da Ihre Aufgabe?

Dr.Tharwat Ukasha war Minister für Kultur geworden, und er war ein Mann, der die Künste liebte. Er wollte für den Zensurposten jemanden, der ebenfalls ein Liebhaber der Künste ist. Das war überhaupt eine Zeit, in der nicht viel Druck auf die Künstler ausgeübt wurde; im Kino und Theater waren die Leute relativ frei von Sorgen und Einschränkungen.

Haben Sie sich da als Zensor nicht im Widerspruch gefühlt mit ihrer Identität und Arbeit als Schriftsteller und Künstler?

Ich arbeitete nicht als Zensor, ich arbeitete als Liebhaber der Künste. Ich verbot nichts, wenn es nicht aufgrund der Umstände völlig unmöglich war, es nicht zu verbieten.

Sie spürten also keinen Widerspruch?

Nein, nein. Ich war immer auf der Seite der Kunst. Deshalb meinten auch einige Minister, daß ich von diesem Posten wieder entfernt werden sollte.

Glückwunsch! Und wie lange blieben Sie insgesamt auf diesem Posten?

Etwa neun Monate.

Nach neun Monaten gingen Sie, weil Sie wollten, oder...

Nein. Der Minister sagte mir: Ich muß Sie auf einen anderen Posten versetzen. Sie haben mich im Visier und fragen mich ständig, wie ich so jemandem die Zensur überlassen kann.

Hat diese Erfahrung, Zensur von der anderen Seite aus zu sehen, Ihr Schreiben beeinflußt?

Nein, zu der Zeit schrieb ich nicht. Ich war daran gehindert.

Gehindert?

Ja, zu der Zeit habe ich als Scriptschreiber für den Film gearbeitet. Und da konnte ich ja schlecht Filmscripts schreiben und gleichzeitig der Zensor über Filme sein...

Kurz vor Verleihung des Nobelpreises sagten Sie in einem Interview, daß Schriftsteller es heute in Ägypten schwer haben und die allgemeine Atmosphäre der Kultur nicht förderlich sei. In diesem Zusammenhang erwähnten Sie das Fernsehen.

Es ist in der ganzen Welt dasselbe. Man kann nicht bezweifeln, daß das gedruckte Wort einen großen Teil seines Publikums verloren hat. Die Menschen schauen sich lieber Fernsehen, Video oder Filme an. Im Westen hat es eine große Menge an Lesern gegeben; selbst, wenn es weniger geworden sind, sind es doch immer noch viele. Hier ist das gleiche passiert, nur war unsere Leserschaft kleiner, und jetzt ist sie wirklich sehr klein geworden. Hinzu kommt die wirtschaftliche Krise, die diesen Zustand verschlimmert. Wer lesen möchte, hat oft nicht das Geld für ein Buch. Daher ist die literarische Kultur zur Zeit wirklich sehr ungefestigt.

Was können Schriftsteller in dieser Situation tun? Gibt es etwas, womit Schriftsteller diese Situation verbessern könnten?

Der Künstler muß auf seine Art bestehen und weitermachen. Aber auch der Staat hat hier eine Rolle zu spielen. Man kann auch lesen, ohne Bücher zu kaufen - durch wirklich viele Zweigstellen der Nationalen Bibliothek, Kulturzentren, Jugendclubs. Und der Sprach- und Schreibunterricht könnte besser sein, die Schulen könnten dem durchaus mehr Aufmerksamkeit schenken.

Was sind heute für einen jungen oder neuen Schriftsteller in Ägypten die größten Hindernisse?

Wenn wir Alten schon klagen - was sollen die Jungen erst sagen! Heutzutage ist der Weg zum Verlag mit Hindernissen gepflastert. Und wenn sie es schließlich geschafft haben, ihr Buch zu veröffentlichen, finden sie keine Leser. Mancher schreibt ein, zwei, drei Bücher - und hat keine Leser. Das ist wirklich ein Problem. Viele sagen sich, daß es besser für sie ist, fürs Fernsehen zu schreiben. Da verdienen sie viel Geld, haben Publikum und können sich die ganzen ermüdenden Schwierigkeiten sparen.

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