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Q U E R S P A L T E Noch ist Polen nicht verloren

■ Eine etwas abwegige Idee zur Beendigung der Grenzdiskussion

Abwegig hat die 'FAZ‘ gerade den Wunsch der polnischen Regierung genannt, als Beobachter an der 4+2-Konferenz über die Sicherheitsfragen der deutschen Vereinigung teilzunehmen. Ja wirklich, was hat Polen dabei verloren? Ist ja weder als strahlender Sieger noch als glücklicher Verlierer aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen. „Abwegig“, so könnte es eines Tages heißen, wenn Polen verzweifelt auf die Unverletzlichkeit seiner Grenzen pocht, nachdem ein einig deutsches Volk mit überwältigender Mehrheit beschlossen hat, sich auf dem ganzen ehemaligen Reichsgebiet selbstbestimmt zu entfalten.

Hat Polen überhaupt eine Chance, angesichts fortschreitenden Desengagements der Sowjetunion, die alle Mühe haben wird, ihre eigenen Grenzen im Osten und Süden zu sichern? Nur eine europäische Macht wäre voraussichtlich willens und in der Lage, Polen zu retten, und zwar dadurch, daß es das Land zum Teil seines Staatsgebietes erklärt: das traditionell polenfreundliche Frankreich.

Polen könnte den Status erhalten, den Guadeloupe, Martinique, Neukaledonien und eine Reihe von Südseeinseln besitzen, Departements-et-Territoires-d'outre-mer (D.O.M. -T.O.M.). Polen würde dadurch nicht nur automatisch Mitglied der Zwölfer-EG und profitierte direkt von den europäischen Subventionen, es stünde auch unter dem Schutz der französischen Atomstreitmacht. Auf den antirassistischen Slogan „Ne touche pas a mon pote“ (Rühr meinen Kumpel nicht an), könnte der Slogan folgen: „Ne touche pas a ma Pologne!“

Deutschland, einig Vaterland bekäme es in aller deutsch -französischen Freundschaft mit der Force de frappe zu tun, falls es immer noch nicht davon lassen könnte, die Finger nach östlichen Territorien auszustrecken, die dann französisches Staatsgebiet wären. Der eigenartige Umstand, daß die französischen Atomraketen schon heute auf Ulm und Heidelberg zielen, bekäme auf einmal einen Sinn: Unter dem Eindruck dieses Zerstörungsrisikos würden es Kohl, Dregger, Waigel, oder wie immer ihre Nachfolger heißen, es vielleicht endlich aufgeben, den Polen mit deutschen Kraftsprüchen Angst zu machen.

Eine abwegige Idee? Nicht abwegiger als das „Abwegige“ der 'FAZ‘.

Lothar Baier

Der Autor hat mehrere Bücher über Frankreich geschrieben und lebt in Frankfurt.

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