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Lafontaine - Kohl

Der SPD-Kanzlerkandidat hat den gesamtdeutschen Wahlkampf begonnen  ■ K O M M E N T A R E

Daß der DDR-Wahlkampf den Bundestagswahlkampf vorwegnimmt, ist längst keine Tatsache mehr, über die es sich zu klagen lohnt. Genaugenommen waren derlei Klagen schon seit dem 9. November verfehlt: die Bevölkerung drüben bestimmt hüben und umgekehrt, wer hierzulande regieren wird. Entscheidend ist also nicht, daß bundesdeutsche Politiker in der DDR agieren, sondern, wie sie es tun; wie sie die zeitlich versetzten Wahlschlachten hüben und drüben in eine Linie bringen.

Kohls Linie ist klar bis zur Simplizität: Wahlkampf der Angst, der Wohlstandsangst hüben und der Torschlußpanik drüben. Die Einheit als das Programm einer neuen deutschen Hegemonie; die Nation als der Platz im Bett, in das sich eine moralisch erschütterte und ökonomisch pauperisierte DDR -Bevölkerung flüchten kann. Sein außenpolitischer Berater Teltschik, der triumphierend verkündete, der „Schlüssel der deutschen Einheit“ liege in Deutschland, ist die Stimme seines Herrn. Es fragt sich also, wer den Kohlschen Populismus der Angst durchbrechen kann. Noch nie waren die Ansprüche an politischer Rationalität und Führungsqualität so hoch wie in diesem Wahljahr. Gefragt ist eine Politik, die einerseits den Drang zur Einheit nutzt, aber zugleich eine Demagogie des Zeitdrucks konterkariert, damit nicht in kürzester Frist alle Ergebnisse der Demokratisierung und der Selbstbestimmung in der DDR planiert werden. Genau darauf zielt schließlich der Bundeskanzler.

Insofern brachte der Parteitag der SPD-Ost in Leipzig besondere Erwartungen mit sich. Auch deswegen, weil hier der erste öffentliche Auftritt des SPD-Kanzlerkandidaten Lafontaine nach seinem Wahltriumph zu erwarten war. Lafontaine hat zumindest den Ton getroffen. Sein Vorwurf: „Kohl gefährdet die Einheit“. Das ist nicht nur eine geschickte offensive Formel, sondern stimmt in der Sache. Als selbsternannter Einheitskanzler und oberster Wahlkämpfer seiner Partei hat Kohl jetzt schon ein kaum absehbares außenpolitisches Desaster angerichtet: er hat die Nachbarstaaten und die Siegermächte zu einer gemeinsamen Politik gegen die deutsche Vereinigung als „Sturzgeburt“ gezwungen. Lafontaine hat recht, wenn er um eine richtige Interpretation des Jahres 1989 kämpft. Es ist nicht das „Jahr der Deutschen“ (Kohl), es ist das Jahr der osteuropäischen Demokratisierung. Allein, der frenetische Beifall auf dem Leipziger Parteitag heißt noch nicht viel. Es müssen auch die Leipziger davon überzeugt werden, daß eine direkte politische Umsetzung ihres Wiedervereinigungsgeschreis ihren Interessen zuwider verläuft.

Ein Wahlkämpfer Lafontaine mag den Luftkampf um die politischen Schlagworte bestimmen - Schlüsselfunktion wird die SPD-Ost haben, gerade weil sie vermutlich am 18. März die meisten Stimmen bekommen wird. Sie ist in der Verantwortung, eine Regierung mit einer wirksamen Autorität zu bilden. Nur eine überzeugende Interessenvertretung erlaubt paritätische Verhandlungen. Nur bei Parität wird der Primat der sozialen Gerechtigkeit gegenüber der Einheit durchsetzbar sein. Einen ersten Zug immerhin hat die SPD versucht: sie hat Wolfgang Ullmann, dem bedeutendsten Politiker des Runden Tischs und Vertreter von Demokratie Jetzt, das Amt des Ministerpräsidenten angetragen. Es ist ein Signal einer Politik der Vereinigung der DDR-Interessen gegen die Kohlsche Flucht in die Einheit.

Klaus Hartung

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