: Der letzte Rasen-Walzer
■ Die Sportkolumne von Hagen Boßdorf
Wofür ging am Wochenende der Vorhang auf? Zur Schmierenkomödie oder für die Galashow? Von Rostock bis Aue ging das Theater wieder los. Auf dem Fußball-Spielplan stehen zwar die alten Stücke mit den alten Ensembles, aber dennoch hat vieles Premiere. Da sind die schmucken, bunten Kostüme aus feinstem Stoffe, die dem Drama wenigstens ein nettes Outfit verpasen sollen und von den neuen, unsichtbaren Regisseuren spendiert wurden. Und da sind die braven Reporter, die ihren Text gelernt haben und tollpatschig die Namen der neuen Geldgeber vorlesen, was ihnen markwirtschaftlich eigentlich verboten ist. Manches freilich ist auch nicht mehr mit von der Partei, ach nein : von der Partie.
„Dynamo, du bist ein Scheißverein“ können die kulturvollen Fanchöre zum Beispiel aus ihrem Repertoire streichen, sofern sie damit die aus Berlin gemeint haben. Diese Dynamos wollen nämlich keine Dynamos mehr sein, nur noch dynamisch spielen. Ob sie dafür die geeignete Besetzung engagiert haben, wird das Publikum sehen. Die Thom-Hauptrolle ist zwar freigeworden, aber auch andere Darsteller mit Talent und Zeitgeist schielen schon zu den Angeboten der großen Weltbühnen. Also bald Dresden ohne Sammer, Kirsten, Gütschow, Berlin ohne Doll, Rohde, Ernst und Karl-Marx-Stadt ohne Steinmann? Der Rasen, der ihre Welt bedeutet, wächst nicht mehr im Ost-Teil des Landes. Bald gar keine Farbtupfer mehr auf weitem Einheits-Grün, es droht der Absturz ins Niveau provinzieller Kleinkunstbühnen.
Aber auch das eventuell nur als kurzes Intermezzo, denn die Architekten eines gesamtdeutschen Kicker-Spektakels pinseln schon fleißig am neuen Szenarium. Steht nun die Frage, wer der größte „DDR-Freund“ ist und die meisten Ost-Teams am großen West-Kuchen mitnaschen läßt. Bremens Lemke denkt an zwei, Teamchef Beckenbauer denkt an drei DDR-Ensembles. Sein Nachfolger Vogts will noch eines mehr, aber nur in einer zwanziger Bundesliga.
Der Rest muß sehen, wo er seine Stücke in Zukunft aufführen kann. Die Landesbühnen der Regionalligen stehen allen offen. Und da wurden in letzter Zeit ja einige Stellen frei. Vorm Liga-Start steht es zwischen Nord und Süd 34 zu 34. Der nächste West-Läufer bringt seiner Staffel die Führung - bis zum nächsten Akt. Der Vorhang ging auf, gucken wir's uns noch mal an. Vielleicht ist es wirklich schon der letzte Walzer, der jetzt seinen Spielrhythmus sucht. Komödie oder Show? Ich hoffe, es wird kein Trauerspiel.
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