piwik no script img

Deutsch-israelischer Briefwechsel

Henryk M. Broder über Schamir, Kohl und die deutsche Frage  ■ E S S A Y

Was für ein seltsames Gefühl, wenn man von der Wirklichkeit eingeholt und überholt wird.

Vor ich weiß nicht mehr wievielen Jahren hieß der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt und der israelische Ministerpräsident Menachem Begin. Eines Tages kam Helmut Schmidt von einer Reise nach Saudi-Arabien zurück und gab eine Erklärung ab, in der er von den „Opfern der Nazis“ sprach. Dabei vergaß er, die Juden zu erwähnen. Worauf Menachem Begin völlig austickte und Helmut Schmidt einen unbelehrbaren Nazi schimpfte. Das wiederum führte zu einer Solidaritätskampagne für Helmut Schmidt in der Bundesrepublik. Sogar der damalige Oppositionsführer Helmut Kohl, der bis dahin noch kein gutes Wort über den amtierenden Kanzler verloren hatte, nahm Partei für Helmut Schmidt und wies Begins Anschuldigungen mit Empörung zurück. In Israel kam es zu einem ähnlichen nationalen Schulterschluß.

Mir kam das Ganze ein wenig suspekt vor, fast wie eine Inszenierung. Begin pöbelte, Schmidt hielt sich vornehm zurück, und beiden schlug die Sympathie ihrer Völker entgegen. Sowohl in der Bundesrepublik wie in Israel standen Wahlen bevor. Könnte es nicht sein, dachte es in mir, daß sich Begin und Schmidt eine Aktion ausgedacht hatten, von der beide profitieren sollten?

Gab es überhaupt einen Briefwechsel?

So war es sicher nicht, aber so könnte es gewesen sein. Ich setzte mich hin und schrieb einen Briefwechsel zwischen Begin und Schmidt, in dem die beiden angesichts ihrer jeweiligen Probleme daheim sich gegenseitig unter die Arme zu greifen versprachen. Der fiktive Notenwechsel blieb unveröffentlicht liegen und ist erst vor drei Jahren in einem Sammelband erschienen. Ein Freund kopierte die Geschichte und schickte sie an Helmut Schmidt, inzwischen Bundeskanzler a.D., mit der höflichen Bitte um eine Stellungnahme. Schmidts persönlicher Referent bedankte sich für die Anfrage und ließ meinen Freund wissen, der Bundeskanzler a.D. habe aufgrund seiner vielen Verpflichtungen leider keine Zeit, sich zu seinem „derzeitigen Briefwechsel mit Menachem Begin zu äußern“.

War an meiner Erfindung also doch was dran? Gab es wirklich einen Briefwechsel? Oder hatte Schmidts persönlicher Referent meine Geschichte nicht mal angeschaut. Jedenfalls schloß er nicht aus, daß es „seinerzeit“ einen Briefwechsel zwischen Begin und Schmidt gegeben hatte.

Und nun lese ich in der 'Süddeutschen Zeitung‘, es gebe „einen scharfen Briefwechsel zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem israelischen Ministerpräsidenten Jizchak Schamir“, in dem es um die deutsche Frage geht. Schamir hatte erklärt, von einem wiedervereinigten Deutschland könnte eine „tödliche Gefahr für Juden“ ausgehen. Dagegen hatte der deutsche Kanzler „energisch protestiert“, worauf ihm Schamir patzig zurückschrieb und von seinen Äußerungen „kein Wort zurücknahm“. Der Briefwechsel, versicherte die 'SZ‘, liege ihr vor.

Wie merkwürdig. Wie ist denn die 'SZ‘ an den Briefwechsel gekommen? Wurde er ihr zugespielt? Hat ihn ein Reporter in der U-Bahn gefunden? Oder erfunden? Wie ich den seinerzeitigen Briefwechsel zwischen Begin und Schmidt? Die Umstände sind ähnlich. Sowohl in der Bundesrepublik wie in Israel stehen Wahlen bevor. Beide Regierungschefs kämpfen um ihr politisches Überleben, könnten ein wenig „popular support“ gut gebrauchen. Die bekannte jüdische Frechheit auf der einen und die ebenso bekannte deutsche Schamlosigkeit auf der anderen Seite taugen hervorragend zur Aktivierung von Ressentiments, die ihrerseits als politischer Treibstoff dienen - in der Bundesrepublik ebenso wie in Israel.

Schamirs Behauptung, ein wiedervereinigtes Deutschland könnte eine „tödliche Gefahr für die Juden“ bedeuten, ist so idiotisch, daß man sie nicht ernsthaft diskutieren kann. Karl Kraus hätte sie jenen Gedanken zugeordnet, die so falsch sind, daß nicht einmal das Gegenteil wahr ist. So denkt es eben in einem Mann, der sein ganzes Leben in einem Bunker verbracht hat, aus dem er auf seine alten Tage nicht heraus kann.

Aber Kohl liegt nicht weniger daneben, wenn er sich ob dieser Chuzpe aufbläht und sich vollmundig „gegen einen Vergleich mit dem Deutschland der Nazi-Zeit“ verwahrt. Nicht nur, weil er selbst immerzu Vergleiche anstellt, die unsäglich bis aberwitzig sind, zum Beispiel, wenn er Gorbatschow mit Goebbels vergleicht oder sich damit rühmt, er sei von mehr Menschen zum Kanzler gewählt worden als Hitler. In dieser Beziehung sind Kohl und Schamir aus dem gleichen Holz geschnitzt. Beide legen den gleichen Sinn für historische Proportionen an den Tag; Schamirs Hitler hört auf den Namen Arafat.

Wenn sich nur eine jüdische Stimme finden würde...

Was Kohl freilich nicht begriffen hat, ist der Umstand, daß Schamirs Statement - unabhängig von seiner Absurdität bestens in das Koordinatensystem der deutsch-jüdischen beziehungsweise deutsch-israelischen Beziehungen hineinpaßt. Schamir hält sich genau an die Spielregeln, Kohl nicht. Hätte Schamir erklärt, gegen eine deutsche Wiedervereinigung gäbe es von jüdischer beziehungsweise israelischer Seite keine Bedenken und bei dieser Gelegenheit die Nichtaufgabe der Westbank mit der Einverleibung der DDR verglichen, wären allenfalls ein paar Augenbrauen hochgegangen, aber niemand hätte protestiert. Im Gegenteil, Kohl hätte ein solches Statement wie einen Ablaß-Schein hochgehalten und gejubelt: „Seht alle her, nicht mal die Juden haben etwas dagegen!“ Wenn eine Erklärung dieser Art von Schamir willkommen gewesen wäre, wenn sie nicht als eine Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten zurückgewiesen worden wäre, dann kann ihm auch das Recht auf eine gegenteilige Meinung nicht verwehrt werden. Nicht daß er sich zur deutschen Frage äußert, wird ihm übelgenommen, sondern daß er sich nicht so äußert, wie man es gerne hören würde. Kanzler Kohl würde gerne auf ein kleines Stück Selbstbestimmungsrecht verzichten oder die Wiedervereinigung um zwei Wochen verschieben, wenn er nur eine jüdische Stimme finden würde, die bereit wäre, ihren Segen zur deutschen Einheit zu geben, eine Stimme von internationalem Rang und Gewicht. Denn wann immer der Kanzler in Nöten war, haben ihm jüdische Freunde aus der Klemme geholfen.

So war es ganz natürlich, daß eine Suche nach prominenten und moralische Autorität verkörpernden Juden einsetzte, als die deutsche Wiedervereinigung auf einmal akut wurde. Sicher, die deutsche Frage ließe sich auch ohne einen expliziten jüdischen Segen lösen, weil es für den Fortgang der Geschichte völlig irrelevant ist, was Juden von der deutschen Einheit halten, ob sie dafür oder dagegen sind oder ausnahmsweise keine Meinung haben. Aber eine autoritative jüdische Stimme hätte dem ganzen jene Weihe gegeben, auf die es Kanzler Kohl bei seiner Suche nach höheren Werten so sehr ankommt.

Daß sich ausgerechnet Schamir zustimmend zur Wiedervereinigung äußern würde, war nicht zu erwarten. Daß er freilich die deutsche Hoffnung auf ein positives jüdisches Wort dermaßen brutal enttäuschen würde, war zuviel. Entsprechend bitter fiel die Reaktion aus. Ist das der Dank für die geleistete Wiedergutmachung? Für den Wunsch nach Aussöhnung? Für die moralische und politische Unterstützung Israels in der EG und im Weltpostverein?

Man könnte sich natürlich auch damit trösten, Schamir stehe mit seiner Paranoia nicht alleine da. Immerhin hat der sowjetische Außenminister Schewardnadse kürzlich erklärt, „alle Völker, vor allem die in der Sowjetunion, müßten Garantien erhalten, daß nie wieder vom deutschen Boden die Gefahr eines Krieges ausgehen wird„; aber das ist etwas anderes. Immerhin gibt es noch ein paar Revanchisten in Deutschland, welche die Grenzen in Europa gerne verändern möchten, immerhin wird ab und zu noch die erste Strophe des Deutschlandliedes gesungen, während die Nürnberger Gesetze längst abgeschafft wurden, seit über 40 Jahren kein einziges Pogrom mehr passiert ist und alle Konzentrationslager in Gedenkstätten überführt worden sind. Wovor sollen die Juden also Angst haben?

(New York, den 20.Februar 1990

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen