: Schuld und Sühne in Adlershof
■ „Ende der Bevormundung. Das DDR-Fernsehen nach der Wende“ Rückblick auf eine Sendung von Hans-Jürgen Börner, Sonntagabend in der ARD
Nenne deine Schuld und sage, wie du sie sühnen willst. Für Hans Bentzien, seit der letzten Revolution Generalintendant des DDR-Fernsehens, entscheiden die Antworten auf diese Formel über die Wende-Fähigkeit seiner Mitarbeiter. Eine verständliche Prüfung, denn in Adlershof wurden die demokratischen Herbstsstürme des Jahres '89 wahrlich nicht entfacht. Höchstens noch mit verursacht. Als treuer Diener der nun verdammten Macht provozierte es Gemüter und Gedanken geradezu. Doch die befohlene Gehorsamkeit fand bekanntlich ein ziemlich jähes Ende.
Nicht plötzlich (etwa seit der Politbüroerklärung vom 11. 10.), aber doch allmählich, versuchten die hiesigen Televisionäre, die Welt und ihre Wirklichkeit etwas genauer zu sehen, zu bedenken. Und das ab sofort auch öffentlich... Denn soll man den Verlautbarungen sämtlicher MitarbeiterInnen Glauben schenken, hatten sie ja alle schon längst eine andere Sicht auf das reale Leben im Land. Nur vergaßen sie die offenbar immer dann, wenn sie das Sendezentrum betraten. Jüngst waren derlei Bekenntnisse in der „Klartext„-Folge „In eigener Sache“ (DDR-FS) zu hören. Zum Beispiel auch von der TV-Nummer 1 am Honecker-Hofe Anja Ludewig. Den Antworten des ewig wetternden Karl-Eduard von Schnitzler im taz-Interview mußte man Gleiches entnehmen. Und Nachrichtensprecherin Angelika Unterlauf erzählte tieftraurigen Blicks von ihrem schon früher gestörten Verhältnis zum allabendlichen Propagandafest, das da „Aktuelle Kamera“ hieß.
In ebendieser Redaktion fragte nun NDR-Reporter Hans-Jürgen Börner nach der Befindlichkeit seiner Ostberliner FernsehkollegInnen angesichts der neuen Konstellation. Er ließ sich die (verspätete) Rebellion des journalistischen Gewissens bestätigen. Was er aber leider kaum in Bilddokumenten zeigen konnte, war die politische Akrobatik, die diesen Aufstand begleitete. Dem brav geübten, gut zensierten Kopfstand folgten kühne Schwünge, Überschläge, Drehungen. Die aufsehenerregendsten gelangen zweifellos Elf 99, wofür die allzu ehrgeizigen Redakteure a la Carpentier beklatscht und Bambi-dekoriert wurden. Der Stil gefiel vermutlich. (Mir nicht, aber ich vergebe ja auch keine Preise.) Diese „radikalen Wendehälse“, so Börner selbst in der Sendung, nahm er allerdings nicht ins Gebet, dafür andere. Eine von einigen: Sigrid Griebel, stellvertretende Chefredakteurin der AK, langjährig in Amt und Würden. Sie war offenbar die einzige, die sich vor der Kamera zu ihrer Mitverantworung für die unkritische Position und die an Religiösität grenzende Fügsamkeit der Medien gegenüber der ehemaligen Staatsführung bekannte.
Zu flott hingegen schon wieder ihr Spruch: „Mit dem freien Journalismus haben wir keine Schwierigkeiten.“ Wenn's mal so wäre. Denn es kann wohl kaum darum gehen, demokratisches Selbstverständnis auf den mathematischen Proporz von Sendezeiten für politische Parteien und Bewegungen zu reduzieren. Immer schön nach dem Muster „zwei links, zwei rechts“. Irgendeines Geistes Botschafter möchte man doch sein, oder!? Wessen, das dürfte schon der künftig festzuschreibende Status entscheiden. Bleibt das Fernsehkombinat (6 500 Angestellte) staatlich, ist es weiterhin von herrschenden Mächten dirigierbar. Private Unternehmen realisieren andererseits ebenfalls nur ausgewählte Interessen. Kämen wir also auf das Zauberwort „öffentlich-rechtlich„; die Medien als vierte Gewalt.
Darüber wäre in einer solchen Sendung zu reden gewesen. Denn immerhin versprach ja der Untertitel: Das DDR-Fernsehen nach der Wende. Zustand und Zukunft könnten da gleichermaßen gemeint sein. Letztlich ging es aber nur um die Macher, nicht die Instituion. Doch auch hierzu gäbe es manches zu erkunden. Welche Konzepte gibt es für die sehr wahrscheinliche Tatsache einer Vereinigung? Das CSSR -Fernsehen hat immerhin auch ohne eine beabsichtigte Staaten -Ehe angekündigt, 2 000 MitarbeiterInnen zu entlassen. Oder: Wie arrangiert sich die Adlershofer Generalintendanz mit dem neugeschaffenen Medienkontrollrat der Volkskammer? Offenbar gar nicht. Das lassen zumindest jüngst geäußerte Erklärungen und dazu veröffentlichte Gegendarstellungen (es ging um die Frage der möglichen Auslandsbeteiligung) ahnen. Weiter: Fest steht, die Werbung kommt. Aber wann, welche und woher, vor allem auch wie? Wird sie als Block (wie ARD/ZDF) oder als Break (SAT 1) geboten? Und wie steht es um die technische Leistungsfähigkeit des DDR-Fernsehens? Die AK-Redaktion und Elf 99 sind sehr gut ausgerüstet, aus anderen Bereichen hört man dafür jammervolle Schilderungen. Werden die Programme hierzulande in absehbarer Zeit dezentralisiert? In der Bundesrepublik hat jedenfalls jede Region ihren eigenen Sender.
Das sind Fragen der Zeit. Von mir aus auch Fragen für weitere Sendungen. Fernsehen ist d a s Massenmedium überhaupt. Unseres bemüht sich für viele Vorgänge und Prozesse um ein hohes Maß an Öffentlichkeit. Es muß sich nun aber auch selbst zum Gegenstand einer solchen Öffentlichkeit machen. Nicht machen lassen - so unter anderem von ausländischen TV-Stationen. Diese Pflicht zur Transparenz gilt nicht nur, weil unsere Steuergelder und Gebühren „verarbeitet“ werden, sondern, weil man ja erklärtermaßen für das Bildschirmpublikum schlechthin produziert. Wer, wenn nicht die Zuschauer, hat eigentlich das Recht zu entscheiden, was zukünftig aus dem DDR-Fernsehen wird! Doch die fragt wieder mal niemand.
Lea Kramer
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