Barock, Bauern, Brücken, Bonzenvillen...

■ Neue taz-Serie: Radtouren im „unbekannten Land“ rund um Berlin / Heute: Ein Ausflug ins Land der Funktionäre: Von Oranienburg über Wandlitzsee nach Bernau - plus Belehrungen über den Wert des Waldes / Zubringer ist die S-Bahn

Vom S-Bahnhof aus fahren wir über die gepflasterte Hauptstraße zum Schloß Oranienburg. Vor und hinter dem Schloßpark führen Kanäle längs, Louise Henriette aus dem Haus Oranien fühlte sich hier einst wie zu Hause. 1833 wurde hier das Anilin entdeckt. Heute nutzen die Grepos das große Barockschloß und haben stolz eine Soldatenskizze an die Fassade genagelt. Der Park und die Orangerie sind verwahrlost, immerhin erlaubt uns dieser Zustand ein lockeres Durchradeln. Durch das Portal von 1690 führen schon viele Spuren einheimischer Radler.

Auf der Rückseite des Parks finden wir links eine Brücke, die uns zur ruhigen und glatten Straße nach Sachsenhausen führt. Wenig später verlassen wir die verkehrsreiche Straße nach rechts, auf einen Weg, der mit Feinsplitt abgestreut ist. Nach der Bahn wird der Weg sandig, erst im Ort Friedrichsthal erreichen wir wieder Asphalt und Zivilisation, sprich eine „Märkische Bierstube“.

Unter Umständen lohnt sich hier eine Pause, weil die Fähre über den Oder-Havel-Kanal gerade Mittagspause hat. Im noch gültigen Winterfahrplan heißt das „nix los“ von 13 bis 14.15 Uhr. Dafür kostet das Vergnügen auch nur 20 Pfennig pro Mensch mit Rad und wird völlig ökologisch abgewickelt: Der Fährmann zieht Euch mit seiner Muskelkraft an einem Seil übers Wasser. Danach folgt eine landschaftlich schöne, aber holprige Strecke durch die Liebenalder Heide. Das auf der Karte verzeichnete Sanatorium ist wohl eine russische Kaserne, und deswegen ist auch die Eisenbahnstrecke nach Schmachtenhagen nicht eingetragen. Daran muß man sich als Westler noch gewöhnen, daß auch eine Wanderkarte wegen militärischer Geheimnisse nicht allzu genau sein dürfte.

Von Schmachtenhagen nach Zehlendorf fährt man auf einer guten Landstraße übers freie Feld. Die ersten Bauernhäuser links ducken sich förmlich vor dem Wind. Die Gegend ist jetzt nicht mehr so flach und morastig wie unten an der Havel, sondern leicht gewellt und sandig. Zwar hat auch dieses Zehlendorf Gaststätten, zwei an der Zahl, aber als ich dort ankam, waren beide geschlossen. Dafür kann der nächste Ort - Stolzenhagen - mit einer guten Metzgerei, einer privaten Bäckerei und einem Konsum aufwarten.

Wir biegen nach Süden in Richtung Wandlitz ab. Eine Eisdiele am See präpariert sich auf den zu erwartenden Westberliner Autoansturm: Etwas Gerümpel und Bauschutt füllen den alten Straßengraben auf, oben wird schnell etwas Sand darüber gestreut, und fertig ist der Parkplatz. Die mehr befahrene 273 verlassen wir kurz vor Wandlitz an einer nicht ausgeschilderten Kreuzung. Richtig bist Du, wenn das erste Haus links die Oranienburger Straße 1 ist. Wenn ein großer langhaariger und bärtiger Mann herumläuft, fragt ihn mal nach der Geschichte dieses Hauses! Dazu setzt Ihr Euch am besten mit ihm in den „Goldenen Löwen“. Während Ihr den Schauergeschichten der Stasi lauscht, erschauert Ihr schon über ein neues Menetekel: Im Fenster der Gastwirtschaft steht eine Tafel mit der Warnung: „Wir wissen nicht, wie es weitergeht, hier soll ein BRD-Supermarkt entstehen.“

Wem die Politik zu trostlos ist, der kann sich die spätgotische Kirche angucken oder zu Fuß runter an an den Wandlitzsee gehen. Hier läßt es sich nicht entlangradeln, alles Privatbesitz - wie bei uns im Kapitalismus. Freien Zugang hat man nur beim nächsten See, dem romantischen Liepnitzsee, der mitten im Wald liegt. Zwischen beiden Seen liegt die Wasserscheide Nordsee/Ostsee und die Bahn Karow -Liebenwalde, auf der alle zwei Stunden pfeifend ein Zug vorbeischaukelt.

Die vielberedete Waldsiedlung Wandlitz lassen wir rechts liegen, wir profitieren nur kurzzeitig davon, daß die alten Herren in den Volvos nicht ihre Nierensteine auf den Waldwegen spüren wollten. Die sind hier nämlich allesamt wunderbar asphaltiert. Zur Tarnung wurden nichtssagende Schilder über den Wert des einheimischen Waldes aufgestellt. Nicht von Pilzen ist die Rede, sondern von Pilzfrüchten, und es wird gelehrt, daß man nur die bekannten Exemplare verzehren solle. Ob die hier wachsenden nun giftig oder schmackhaft sind, darüber erfährt man nichts, wahrscheinlich gibt es gar keine. Gelesen habe ich ferner, daß sich „die Jagdgesellschaft zur Jagd jagdlicher Einrichtungen bedient“, die man nicht zerstören soll - aha.

Für den Abschluß bieten sich zwei Ausflugsgaststätten an: Rechterhand die einfache Blockhütte „Anglersruh“, wo der Wirt, falls er ausgelassen ist, eine furzende Gummipuppe auf der Theke entblößt, und linkerhand den etwas edleren „Wildkater“. Wer eine Karte Berlin Nord von 1987 benutzt, will wahrscheinlich wie ich versuchen, die Autobahn in Richtung Bernau zu überqueren. Laßt es sein: Da ist keine Brücke. Etwas Abenteuer muß doch sein, und es ist ja nicht mehr weit zum Ziel, es liegt nur noch eine Kaserne dazwischen. Dann wartet hinter dem leider gar nicht alten Altstadtkern von Bernau die vertraute S-Bahn darauf, unsere müden Knochen aufzunehmen.

Alexander von Blomberg

Die S-Bahnhöfe Oranienburg und Bernau werden von Ost -Berlin aus im 20-Minuten-Takt angefahren.