: „Da sind Menschen, die einem lieb und teuer sind“
■ Interview mit der Berliner Nicaragua-Brigadistin Christiane D., die vor zwei Jahren eine Werkstatt in San Rafael del Sur mit aufbaute
taz: Wann hast du vom Wahlergebnis erfahren, und was war dein erster Gedanke, als du das gehört hast?
Christiane D.: Das war Montag, da kam die Nachricht im Radio. Ich konnte das erst mal gar nicht fassen. Meine Einschätzung zum Wahlausgang ist eine ganz andere gewesen. Dann hab‘ ich mir gedacht: Erst mal noch abwarten, es sind ja noch nicht alle Stimmen ausgezählt. Am Ende war ich schon sehr überrascht.
Du bist vor zwei Jahren in Nicaragua gewesen. Was hast du da genau gemacht?
Ich hab‘ drei Monate im Rahmen der Kreuzberger Städtepartnerschaft mit San Rafael del Sur in einem Projekt gearbeitet. Wir haben dort für eine Nähkooperative eine Werkstatt aufgebaut.
Wie war denn damals dein Eindruck von der Akzeptanz der Sandinisten bei der Bevölkerung?
Ich kann da nur über die Frauen und Familien reden, zu denen wir Kontakt hatten. Da gab es auch welche, die mit der Politik der Sandinisten nicht einverstanden waren. Mit denen haben wir oft diskutiert, das war sehr interessant. Mein genereller Eindruck war aber, daß die Mehrheit der Leute hinter der Regierung steht.
Was hat dich damals bewogen, mitzufahren?
Ich bin schon ein Jahr vorher als Brigadistin in Nicaragua gewesen. Nicaragua war schon so was wie ein Leitbild für mich, da wollte ich Eindrücke sammeln.
Was meinst du mit Leitbild?
Es ist das real existierende Gesellschaftsmodell gewesen, mit dem ich sympathisiere.
Würdest du jetzt wieder nach Nicaragua fahren?
Also, das weiß ich noch nicht. Ob ich ein von der „Uno“ (Rechtes Wahlbündnis, d. Red) regiertes Nicaragua durch meine Arbeit unterstützen möchte, das wäre mir zweifelhaft. Aber ich habe da natürlich persönliche Kontakte, da sind Menschen, die einem lieb und teuer geworden sind. Das ist alles sehr widersprüchlich. Zu den Leuten will ich weiter Kontakt, mit dem System aber nichts mehr zu tun haben. Ob ich da als Brigadistin wieder hinfahre, weiß ich nicht. Privat vielleicht schon. Aber ich will da auch nicht dem vorgreifen, was unser Verein jetzt noch diskutiert.
Das „freie Nicaragua“ hatte ja nicht nur für die Leute dort, sondern auch für viele Menschen hier eine große Bedeutung. Ist jetzt wieder ein Traum zerplatzt?
Ja, man hat den Eindruck, daß alles, woran man so geglaubt hat, zusammenfällt. Ich hab‘ in Nicaragua oft gehört: „Es geht uns zwar schlecht, aber wir wissen, an wem das liegt, und wir gehen da durch.“
Bist du denn über die Leute enttäuscht, weil sie so gewählt haben?
Nein, ich bin weniger über die NicaraguanerInnen enttäuscht. Ich sehe einfach, was für Zwänge da sind, was für ein Spiel von außen gespielt werden kann und was das für Auswirkungen haben kann. Den Wunsch nach Frieden kann man doch verstehen. Rational ist mir das alles sehr verständlich, emotional bin ich sehr enttäuscht. Aber das bezieht sich nicht auf die Leute, sondern auf das System, das dahintersteht.
Interview: ccm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen