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Furcht vor der Flut der Motorboote

■ DDR will Westberliner Sportboote auf ihre Seen und Flüsse lassen, zögert aber mit dem Termin / Runder Tisch muß erst zustimmen / Werden die DDR-Gewässer deshalb demnächst von illegal eindringenden Booten überrollt? / Heizt die Umweltsenatorin die Furcht noch an?

Verkehrssenator Wagner (SPD) richtete seine Mahnung gestern an den Bonner Verkehrsminister, doch gemeint war die DDR. Daß Ost-Berlin „immer noch zögert“, einen Termin zu nennen, ab dem Sportboote die Grenzen auf den Gewässern überqueren dürfen, erfülle ihn mit „Sorge“, teilte Wagner der Bundesregierung mit. Sie hatte sich am 21.Februar mit der DDR auf eine Regelung für den grenzüberschreitenden Schiffsverkehr geeinigt. Während seitdem klar ist, daß die Westberliner Fahrgastschiffe am Samstag das erste Mal seit Jahren nach Potsdam und zum Müggelsee tuckern dürfen (siehe Kasten), konnte die DDR noch nicht sagen, ab wann die vereinbarte gegenseitige „Freigabe der Gewässer“ auch für private Sportboote gilt.

Das DDR-Verkehrsministerium peilt nun den 1. April als Stichtag an; doch entschieden wird am Runden Tisch. Hintergrund: Viele DDR-Bürger fürchten, daß sich aus West -Berlin eine Flut von lärmenden Motorbooten auf die oft noch stillen Seen im Umland ergießt. „Wir müssen deshalb erst noch ein Einvernehmen mit dem Runden Tisch finden“, erläuterte gestern Lothar Krink vom DDR-Verkehrsministerium auf Anfrage der taz. Die betroffenen Regionen müßten selbst sagen, auf welchen Gewässern die Motorboote fahren dürften und auf welchen nicht. Außerdem ist in Ost-Berlin im Gespräch, die Fahrverbote zu übernehmen, die in West-Berlin nachts und an jedem zweiten Wochenende gelten.

Läßt eine verbindliche Regelung zu lange auf sich warten, so Wagners Warnung, könnte die DDR „von der Entwicklung“ sprich: von illegal eindringenden Freizeitkapitänen „überrollt“ werden. Trotz des oft schönen Wetters hat die Wasserschutzpolizei bisher allerdings nur in wenigen Einzelfällen registriert, daß Westberliner Bootsfahrer die Grenztonnen auf der Havel ignorierten. Eingreifen dürfte die Westberliner Polizei in solchen Fällen nicht. „Wir haben keinen Grund, die DDR-Grenze zu bewachen“, erklärt Senatsdirigent Harthun; schließlich sei man für „Freizügigkeit“.

Die Diskussion in der DDR hat unterdessen auch den Landessportbund (LSB) auf den Plan gerufen. Er warf AL -Umweltsenatorin Schreyer gestern vor, mit „falschem Zahlenmaterial“ über die Bootsbestände in West-Berlin „fragwürdige DDR-Politiker“ zu munitionieren und die Motorbootsfurcht in der DDR anzuheizen. Von bis zu 65.000 Westberliner Booten habe Schreyer gesprochen, behauptete LSB -Sprecher Bothe. In Wahrheit hätte das Landeseinwohneramt bei einer Neuregistrierung eine Zahl von lediglich „knapp 8.000“ motorisierten Wasserfahrzeugen ermittelt. Eine „nennenswerte“ Steigerung sei nicht mehr zu erwarten.

Die LSB-Zahlen wurden vom Landeseinwohneramt freilich dementiert. Zwar seien bisher in der Tat erst gut 8.000 Boote registriert, erklärte Gruppenleiter Kotecki; diese Zahl werde mit Saisonbeginn im Frühjahr aber vermutlich auf 18.000 ansteigen. „Wir operieren nicht mit getürkten Zahlen“, verteidigte man sich gestern auch in der Senatsumweltverwaltung. Dort hat man von einem weiteren Grund für die bisher niedrige Bootszahl gehört: Weil Finanzsenator Meisner die Einführung einer Motorbootssteuer prüft, hätten die Vereine ihren Mitgliedern „Zurückhaltung“ bei der Registrierung empfohlen.

hmt

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