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Gesellenprüfung für Michel Platini

■ Ein Sieg gegen die BRD soll der französischen Fußball-Nationalmannschaft das Selbstbewußtsein für die EM-Qualifikation liefern / Ein „verrückter“ Torjäger als Hoffnungsträger: Eric Cantona

Berlin (taz) - Bei der Weltmeisterschaft in Mexiko 1986 wurschtelte sich die glorreiche französische Nationalelf der frühen Achtziger noch einmal schlecht und recht ins Viertelfinale, wo sie sich im besten Spiel des Turniers gegen Brasilien zu ihrer letzten Glanzleistung aufraffte und im Elfmeterschießen obsiegte. Es folgte das sang- und klanglose Ausscheiden gegen eine biedere bundesrepublikanische Mannschaft, der Niedergang nahm seinen Lauf. Das beste Mittelfeld seit dem Schalker Kreisel zerbröselte, Michel Platini, Alain Giresse, Jean Tigana, sie alle hatten genug davon, immer kurz vor dem Ziel von den blöden Deutschen eins übergebraten zu bekommen.

Nachfolger für das geniale „Trio Tricolore“ waren weit und breit keine in Sicht, und der damalige Trainer Henri Michel begann ein munteres Rasenkarussell mit ständig wechselnder Besetzung, das bis heute andauert. Sowohl die Qualifikation zur Europameisterschaft 1988 als auch die zur Weltmeisterschaft 1990 ging kläglich in die Hose, Besserung deutete sich erst an, als der große Michel Platini persönlich in die Teamchef-Fußstapfen eines Franz Beckenbauer stieg und dem Stolz der französischen Nation langsam wieder eine vielversprechende Gestalt verpaßte. Siebenmal in Folge blieb das Team zuletzt ohne Niederlage, die Gesellenprüfung in Hinblick auf die schwierigen Qualifikation für die EM 1992 gegen Spanien, die CSSR, Island und Albanien soll heute in Montpellier gegen die Bundesrepublik abgelegt werden.

Mit Amoros, Papin und Ferreri sind nur noch drei Spieler aus dem WM-Team von 1986 dabei, Letzterer, der seit fast einem Jahrzehnt als potentieller Platini-Nachfolger gehandelt wird, soll nun endlich wenigstens einem Teil seiner Vorschußlorbeeren gerecht werden. Neue Namen wie die der Mittelfeldspieler Pardo und Deschamps, des Torwarts Martini oder der Abwehrrecken Di Meco, Sauzee und Casoni bestimmen die Aufstellung, die Stärke der Franzosen aber liegt - wie sollte es bei einem Coach Platini anders sein im Angriff.

Neben dem gereiften Papin vom Meister und Pokalsieger Olympique Marseille, der in Mexiko vorwiegend durch das Versieben klarster Torchancen auffiel, ist es vor allem der 23jährige Eric Cantona aus Montpellier, auf dem die Hoffnungen ruhen. „Ich träume von Harmonie und der Freude am Spiel. Ich suche Sinfonien, aber die Musik des aktuellen Fußballs ist der Hardrock. Als ich jung war, wurde der Fußball aus der Freiheit des Ausdrucks geboren. Ich spielte instinktiv, ohne Restriktionen. Was ich auf dem Feld schuf, war eine Art Suche nach einer besseren Welt. Dann wurde ich Profi. Sie bezahlten mich und hatten daher das Recht, mich ihren Ideen zu unterwerfen. Aber das Resultat ist Roboterfußball ohne Inspiration.“ Sätze Cantonas, die einem wie Michel Platini natürlich wie Honig heruntergehen müssen.

Andere waren weit weniger einfühlsam. Mit dem früheren Coach Henri Michel verkrachte sich der junge Mann, der zuweilen auch schon mal kahlköpfig auf Torjagd ging, rasch, bezeichnete ihn als „einen der inkompetentesten Nationaltrainer der Welt“ und wurde dafür vom Verband fürs Nationalteam gesperrt. Eine der Bedingungen Platinis für die Übernahme des Teamchef-Jobs war Cantonas Rehabilitierung.

Auch in seinen Vereinen sorgte der reizbare Goalgetter für Trubel. Als er in Marseille spielte und in einem Freundschaftsspiel gegen Torpedo Moskau ausgewechselt wurde, warf er sein Trikot auf den Boden, packte seine Sachen und stand am nächsten Tag beim FC Barcelona auf der Matte. Der wollte ihn nicht, weil er froh war, gerade Bernd Schuster losgeworden zu sein, und Marseille-Manager Michel Hidalgo schob ihn als unverbesserlichen Choleriker nach Bordeaux ab. Dort verdarb es sich Cantona auf der Stelle mit den Fans, weil er Pokal-Elfmeterschießen gegen einen Zweitligisten unbedingt den entscheidenden Strafstoß ausführen wollte, diesen aber bei starkem Gegenwind so lasch schoß, daß der Torwart hinterher erzählen konnte: „Er gab mir Zeit, mich in eine Ecke zu werfen, wieder aufzustehen und in die Mitte zurückzulaufen, um den Ball zu halten. Aber er wäre wohl auch sonst nicht hineingegangen.“

„Ich bin verrückt, und das gefällt mir“, pflegt Cantona von sich zu sagen. Inzwischen lebt er seine Marotten in Montpellier aus und kann heute vor heimischem Publikum nach einer Wiederholung dessen trachten, was ihm schon vor zweieinhalb Jahren in Berlin beim 1:2 gegen die Bundesrepublik gelungen war. Damals erzielte er in seinem ersten Länderspiel sein erstes Tor für Frankreich.

Matti

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