: Kralle und Schlund
Nach mehrjährigem Exil im Reich der Mitte ist der ehemalige König Kambodschas Prinz Norodom Sihanouk am Wochenende auf kambodschanisches Terrain zurückgekehrt. In seiner Pekinger Residenz, unweit des Tiananmen hat er sich kurz zuvor in einer dreitägigen Aussprache über seine politischen Forderungen Vergangenheit und Zukunftspläne geäußert. Durch seinen „wertvollsten Mitarbeiter“ und Pressereferenten Chorn Hay wurden der taz die Aufzeichnungen zugespielt. Dortselbst erklärt sich die sonderbare Personalpolitik des Prinzen irritierten Kennern seiner Biographie: „Unter den drei Fraktionen des kambodschanischen Widerstands sind die Khmer Rouge tatsächlich die fähigsten und zugleich die unmenschlichsten. Das ist die traurige Wahrheit. Ich weiß, daß Herr Chhorn Hay ein Spitzel ist, aber er hat mich in Gefangenschaft der Roten Khmer gut behandelt. Damals konnte er jedes unserer kritischen Worte hören, und keines hat er Pol Pot kolportiert. Hätte er das getan, wäre zumindest mein Personal zur Rechenschaft gezogen worden. Nicht nur, daß ich ihm vertraue, ich habe keine andere Wahl. Der getreuen und fleißigen Arbeit Chhorn Hays nicht vermöge, ziehen es meine Verwandten vor, in der Pariser Gesellschaft hausieren zu gehen. Sicher, Chhorn Hay ist ein Spion der Roten Khmer, aber ich habe keine Geheimnisse - im Gegenteil - ich will, daß jeder hört was ich sage.“ Es liegt in der Natur der Sache, daß die Koloraturen mithin die Höhen und Tiefen der hier abgedruckten Einlassungen nicht wiedergegeben werden können.
andantino Im November 1953 erlangte Kambodscha die Unabhängigkeit von Frankreich. Damals sah ich mich gezwungen, diplomatische Beziehungen zu den Supermächten, zu den USA und Großbritannien aufzunehmen, also lernte ich Englisch. Bis dahin sprach ich überwiegend Französisch, und da ich nun einmal den Ehrgeiz besaß, mich ohne Übersetzer unterhalten zu können, entschloß ich mich Englisch zu lernen. Sonst hätte ich mein Land nicht wirksam in der internationalen Arena vertreten können.
Wie Sie wissen, bin ich sehr eigensinnig, lernte die Sprache also autodidatkisch mit Büchern und BBC oder „Voice of Amerika“. Ich habe mir ja auch das Klarinettenspiel selbst beigebracht. Und als Gefangener der Roten Khmer, als „Special Guest“ Pol Pots, hatte ich Zeit zu Genüge. Alle anderen wurden aus dem Palast vertrieben, nur ich durfte mit meinen zwei Kindern und meiner letzten Frau bleiben - ich hatte zuvor andere... (Lachen)
Mein Volk mußte sehr schwer arbeiten. Ich dagegen durfte weder arbeiten noch zurücktreten. Ich habe mich zwar gewehrt, dieses Spiel mitzuspielen, doch de facto war ich im Palast isoliert und hatte nichts zu tun. Und ich liebe nun einmal Sprachen. Schon im Lyzeum in Saigon hatte ich außer Französisch noch Latein- und Griechisch-Unterricht. Später lernte ich noch Russisch und Spanisch, ja sogar Deutsch. Aber seit meiner Befreiung durch China 1979 bin ich zu beschäftigt, um mich weiteren Sprachstudien zu widmen.
Zu den Roten Khmer
moderato Mein Volk nennt mich „Monseigneur Papa“. Ich habe keinen Grund, die Interessen meines Volkes aufs Spiel zu setzen. Wie so viele kambodschanische Familien wurde auch meine Opfer der grausamen Pol-Pot- und Teng-Sary-Clique. Unter der Herrschaft Pol Pots von 1976 bis 1978 habe ich fünf Kinder verloren, 14 Enkel und andere Verwandte, schließlich die Elite meiner Gefolgsleute. Sie alle wurden von Pol Pot und Teng Sary liquidiert. Nicht nur die neuen amerikanischen Staatsbürger wie Herr Haing S. Ngor, der durch den Film Killing Fields Berühmtheit erlangt hat, nicht nur diese Leute fühlen mit dem kambodschanischen Volk, wie Oskarrrr-Preisträger Dr. Haing S. Ngor gegenüber dem französischen Magazin 'Paris Match‘ erklärte: „Sihanouk ist kein Kambodschaner, früher war er Franzose, heute ist er Chinese und morgen wird er Vietnamese sein.“
stakkato Ich werde unter allen Umständen Kambodschaner bleiben, weder bin ich französisch, vietnamesisch noch amerikanisch gesonnen. Die Attitüde derjenigen, die mich beschuldigen, scheint mir allerdings sehr amerikanisch. Ich respektiere ihre Entscheidung, die US-Staatsbürgerschaft anzunehmen, ihre Anschuldigung weise ich jedoch aufs schärfste zurück.
Es ist die Tragödie des kambodschanischen Volkes, daß uns nur die Wahl zwischen dem Tiger und dem Krokodil bleibt. Wir befinden uns zwischen zwei schreckliche Nachbarn, die uns im Laufe der Geschichte immer wieder angegriffen haben. Wie man weiß, gehörten einige thailändische Provinzen früher einmal zu Kambodscha, ebenso das heutige Südvietnam. Wir nennen es noch immer „lower Cambodia“. Für uns ist Vietnam also das Krokodil. In den Sechzigern formierte sich dann die grausame kommunistische Partei unter Führung von Pol Pot und Teng Sary, die wir Tiger nennen. Wir haben also die Alternative mit dem Khmer Tiger gegen das vietnamesische Krokodil zu kämpfen, oder mit dem vietnamesischen Krokodil zu kooperieren, das uns verschlingen will. Die Phnom Penher Führung unter Premier Hun Sen und Präsident Heng Samrin hat sich für das Krokodil entschieden.
Zur vietnamesischen Expansionspolitik
Wenn die Vietnamesen behaupten, sie seien nur einmaschiert, um Kambodscha von dem Völkermörder-Regime der Roten Khmer zu befreien, ist dies nichts als ein Vorwand. Denn mit dieser Invasion beabsichtigte Hanoi das Land der Khmer zu kolonisieren.
alegro Tatsache ist, daß sie antikommunistische Kambodschaner zwingen, Kommunisten zu werden. Aber nicht nur das - hier leben mehr als eine Millionen Vietnamesen, die unsere Ressourcen plündern, unsere Seen und Flüsse ausfischen. Und sie geben vor, nur 80.000 zu sein. Allein schon in Phnom Penh finden sich 200.000 Vietnamesen, und jeder weiß das.
Die Vietminh haben auch Kambodscha ein striktes Regime oktroyiert. Doch in Phnom Penh brüstet man sich mit Nachtclubs, Prostitution und Diskotheken, auf daß der Westen „Bravo, nun gibt es Freiheit und Mönche“ klatscht. Aber selbst die Mönche sind zum Kommunismus verpflichtet, was unseren religiösen Grundsätzen übrigens gänzlich widerstrebt.
Phnom Penh ist ein reiner Schaukasten, um naive Westler zu täuschen. Wer sich allerdings ins Landesinnere begibt sieht, daß es den Leuten hier an allem fehlt. Inzwischen beherrscht die Sihanoukarmee (ANS) einen Teil der Battambang-Provinz, und dort verteilen wir Lebensmittel und Medizin. Die US -Administration hat uns, den nicht-kommunistischen Widerstand, mit Medizin, mit Lebensmitteln und Kleidung versorgt. Mit Einverständnis unserer patriotischen Kämpfer verteilen wir nun, was uns Onkel Sam geschickt hat, an die Bevölkerung. Und die Roten Khmer werden von den Chinesen nicht schlecht ausgestattet.
martellato Da mag mich die ganze Welt verdammen, ich werde die Vietnamesen bis zum letzten bekämpfen. In diesen Kreuzzug gegen die vietnamesischen Kolonisateure muß ich jedoch die Roten Khmer einschließen, selbst wenn ich sie hasse. Niemals werde ich das vietnamesische Fait accompli in Kambodscha akzeptieren. Ich habe schon den französischen Kolonialismus bekämpft, als mich die Franzosen auf den Thron ihres Protektorats setzen wollten - eine Ehre, für die ich mich nie bedankt habe. Ich habe den US-Imperialismus an der Seite der Vietnamesen bekämpft, und nun kämpfe ich gegen die Vietnamesen. Solange Hun Sens Regime überlebt, wird es Groß -Vietnam gehorchen. Le grand Vietname, comme Hitler avec son reve de Grand-Allemagne. Und deshalb brauchen wir die Roten Khmer, als militärisch stärkste Widerstandsfraktion. Ich verdamme die Roten Khmer als Killer, aber ich achte sie als Patrioten noch immer mehr als Hun Sen und Heng Samrin. Die westliche Welt kann mich in diesem Punkt nicht verstehen, denn sie hat andere Werte - die des Kollaborateurs.
Zu meinen Bedingungen
Um nun zu vermeiden, daß die Roten Khmer an die Macht kommen, habe ich sehr präzise Bedingungen formuliert. Ich traue zwar nicht den Roten Khmer, aber ich traue China, den Hintermännern der Roten Khmer. Was ich fordere, ist die Entwaffnung aller beteiligten Konfliktparteien durch eine internationale Friedenstruppe, die bis zu zehn Jahren in Kambodscha bleiben und die Kambodschaner vor den Roten Khmer schützen soll. Lange haben China und die Roten Khmer gezögert, inzwischen können sie sich mit diesem Vorschlag arrangieren. Vorerst ist also eine Demilitarisierung angesagt. Später können wir dann wieder eine kambodschanische National-Armee aufbauen. Aber zunächst müssen wir die vietnamesischen Siedler nach Hause schicken. Ein internationaler Kontrollmechanismus soll den Abzug der vietnamesischen Truppen wirklich nachweisen. Die Vietnamesen behaupten zwar, im Oktober abgezogen zu sein, davon kann indes keine Rede sein. Viele dienen noch immer in der Hun Sen Armee. Darüber hinaus bedarf es einer internationalen Friedenstruppe zur Entwaffnung. Die Vereinten Nationen sollen die Verteidigung Kambodschas übernehmen.
Seit jeher war ich ein Champion nationaler Unabhängigkeit, aber nun befinde ich mich in der tragischen Situtaion, zugeben zu müssen, daß man den Kambodschanern - den bewaffneten - nicht trauen kann. Sind die Roten Khmer erst entwaffnet, können sie dem kambodschanischen Volk nicht mehr schaden. Man kann sie zwar in einem internationalen Tribunal auf dem Papier ächten, dadurch wird man mit ihnen allerdings längst nicht fertig. Die Vietnamesen haben es in elf Jahren nicht geschafft. Sollen die Herren im US-Kongreß und die Journalisten doch die US-Armee entsenden, wenn sie die Roten Khmer kaltstellen wollen.
Natürlich findet der Vorschlag der vollständigen Entwaffnung keine Anhänger. Denkbar wäre hingegen eine Truppenreduzierung aller beteiligten Konfliktparteien auf je 10.000 Mann. Wenn man dann die 10.000 Leute Son Sanns, meine 10.000 und die 10.000 von Hun Sen addiert, kommt man auf 30.000 Mann, die sich zwar nicht Freund sind, jedoch eines gemein haben - sie alle sind gegen die 10.000 verbliebenen Roten Khmer.
Inzwischen hat auch die internationale Gemeinschaft die Notwendigkeit zur Entsendung einer bewaffneten Friedenstruppe erkannt, um die Roten Khmer in den Griff zu bekommen. Man kann sich natürlich fragen, warum die Roten Khmer gerade jetzt diese Bedingungen akzeptieren sollten. Aber China hat wohl begriffen, daß eine Rückkehr der Pol Potisten nur in die Hände Vietnams spielen würde. Vietnam hätte dann wieder allen Grund, die Kolonisierung Kambodschas zu betreiben.
Zum Ende der Widerstandskoalition
Es ist vernünftiger, eine Vierparteienregierung anzustreben, in der die Roten Khmer in der Minderheit sein werden. Wir werden Wahlen abhalten, wie in der fünften französischen Republik. Sollte ich zum Präsident gewählt werden, dann wie Mitterrand für eine Legislaturperiode von sieben Jahren. Wir haben eine französische Erziehung genossen, warum sollten wir nicht auch ein französisches Mehrparteiensystem zustande bringen. Ich beabsichtige, nur meine Partei die FUNCINPEC (Front Unit National Cambodie Independant Neutre Pacifique et Cooperatif) in die Wahlen führen. Damit wird die Ära der Widerstandskoalition endgültig beendet sein. Niemals werde ich mich vor die Roten Khmer stellen. Selbst Son Sann wird alleine auftreten müssen. Kürzlich saß Henri Kissinger bei mir auf dem Sofa und fragte, ob ich den Roten Khmer traue. Wie gesagt, ich habe kein Vertrauen in die Roten Khmer, aber ich habe keinen Grund den Chinesen zu mißtrauen. Und China hat begriffen, daß dies der einzige Weg ist, nach Indochina zurückzukehren.
Als Kissinger mir 1979 nach meiner Befreiung erzählen wollte, er sei Sihanoukist, mußte ich ihn daran erinnern, daß die USA Lon Nols Putsch gegen mich lanciert hatten. Heute akzeptiere ich zwar die amerikanische Freundschaft, aber wie soll ich China ignorieren? Ich werde die Roten Khmer niemals von einer Übergangsregierung ausschließen, es liegt beim kambodschanischen Volk dies zu tun.
Der Kambodschakonflikt ist bekanntlich ein internationaler Konflikt. Nicht zwischen Hun Sen und dem Widerstand besteht das Problem, denn Hun Sen ist nichts als eine Kreatur Hanois, nicht anders die nationalistische KPLNF-Partei Son Sanns, der von den Vereinigten Staaten, Thailand, ja sogar dem Europaparlament in Straßburg getragen wird. Ohne diese Ausländer hätte die KPLNF keine Chance. Das gleiche gilt für Pekings Proteges, die zwar durch die Bank Khmer, und damit Kambodschaner sind, aber von ihren eigenen Reihen einmal abgesehen, kann die Roten Khmer keiner ausstehen. Weder die KPLNF, noch das Regime Hun Sen, noch die Roten Khmer könnten ohne ausländische Unterstützung bestehen.
furioso „It is absurd, foolish, it is mad, pure madness - I get mad - when I hear those westerners telling me that this problem is among Cambodians.“
Und da verwundert nicht die harsche Reaktion der Volksrepublik. Ich bin zwar unabhängig, aber sämtliche Sihanoukisten sind pro-westlich, pro-Kanada, pro-Australien etc. (Lachen), Hun Sen orientiert sich an der UdSSR und Son Sann an den USA, den ASEAN-Saaten und Westeuropa. Japan ist selbstverständlich auch dabei, wenn man eine Übergangsregierung aus diesen drei Fraktionen zusammensetzt. Sämtliche dieser Mächte hätten damit ihre Marionetten in der neuen Regierung. Wie sollte die Supermacht China eine solche Regelung akzeptieren? Peking hat ökonomische, kulturelle und nicht zuletzt strategische Interessen in Kambodscha. Deshalb schlage ich eine Vierparteien-Übergangsregierung vor - der einzige Weg um aus diesem Alptraum zu erwachen.
Es sind Rote, aber Khmer
Wenn man die Roten Khmer ausschließt, und ich wiederhole, es sind Khmer, zwar Rote aber doch Khmer, kauft man sich damit nichts als einen grausamen Bürgerkrieg ein. Selbst wenn die 50.000 Mann unter Hun Sen, meine 20.000 und die 16.000 Leute Son Sanns zusammenstehen, werden sie alle Mühe mit den hervorragend ausgestatteten und ausgebildeten 40.000 Roten Khmer-Guerillas haben. Sie gehören zu den besten Guerillas der Welt, und es sind Khmer. Ich bin stolz auf sie, selbst wenn ich sie nicht mag. Die westliche Welt ist zwar sehr zivilisiert, aber im Falle Kambodscha benimmt sie sich wie ein Kind. In wenigen Tagen können die 40.000 Roten Khmer die 86.000 Gegner überwältigen. Die USA und der CIA höchstselbst, haben das Kambodschaproblem noch nie verstanden. Und heute lassen sie sich von neuem täuschen, indem sie Hun Sen den Gefallen tun und die Roten Khmer samt Koalition verdammen. Heute will jeder wissen, daß wir uns der Roten Khmer zu entledigen haben. Warum haben die USA nichts unternommen, als die Roten Khmer meine Familie getötet und das Land mit den „Killing Fields“ übersät haben. Allein Macgovern forderte damals das Einschreiten einer Friedenstruppe. Wenige Minuten später kam Carters Antwort über BBC: „Wir müssen die Souveränität Kambodschas wahren.“ Es darf aber keine Grenzen geben, wenn ein Volk Gefahr läuft, dem Genozid zum Ofer zu fallen.
China wird die Roten Khmer nie fallen lassen. Aber von Li Peng bis Yang Shangkun haben mir die Chinesen versprochen, meinen Plan zu unterstützen. Was also verlangt die westliche Welt von uns - auch die Franzosen haben ihre Rechts- und Linksextremisten. Vor Jahren haben die USA Lon Nol gegen mich eingesetzt, und nun setzen sie auf mich gegen ich weiß nicht wen. „Les etats sont monstres froids“.
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