: Na, dann verkaufen Sie sich mal!
■ Eklat bei der Wahl der „Miß Leipzig 1990“ im Nobelhotel Merkur am letzten Sonntag / Schmierige Veranstalter, dubiose Verträge / Leipzigerinnen ließen sich nicht für dumm verkaufen
Leipzig (taz) - Über hundert leichtbekleidete junge Leipzigerinnen strömen ins Hotel Merkur. Ihr Ziel: der Bankettsaal im ersten Stock, wo die Vorrunde zur Wahl der „Miß Leipzig 1990“ stattfindet. Die erste freie Wahl in der DDR, wie der Veranstalter angekündigt hat. Am Kopfende des Bankettsaals sitzen an einem langen Tisch die Wahlberechtigten: sieben westdeutsche Unternehmer wie aus dem Bilderbuch. Dicke Bäuche, Doppelkinne, Dauerwellen und Zigarren im Mundwinkel.
In einer Ecke des Saals werden die Preise präsentiert: selbstgemalte Gutscheine über eine Reise nach Monte Carlo, zwei Schwarzwaldreisen, ein Farbfernseher und ein Videorecorder von Quelle, billigste Ausführung, und 50 Schachteln Pralinen. Alle Kandidatinnen haben bei ihrer Anmeldung eine Nummer erhalten, in deren Reihenfolge sie nun einzeln von Sunnyboy Pasqual, dem Türsteher, am Arm in den Saal geführt werden. Moderator Peter Rieschke nimmt sie entgegen und redet mit aufgesetztem Jahrmarktlächeln auf sie ein: „Sie sind also Cellolehrerin. Vielleicht könnte ich ja auch mal zu Ihnen kommen. Dann können Sie mir ein bißchen Flöte spielen beibringen.“ Er erntet ein Lächeln der Jury. Nach dem „Kurzinterview“ muß jede Frau eine Runde durch den Saal laufen und sich präsentieren. Die Herren verteilen je nach Größe der bevorzugten Körperteile Noten. Rieschke: „Verkäuferin? Dann verkaufen Sie sich mal! Laufen Sie! Laufen Sie!“
48 Frauen haben schließlich die Endrunde erreicht. Die ausgeschiedenen Kandidatinnen werden mit dem Versprechen getröstet, drei Tage lang Gast des Hauses zu sein. Was sie später in der Bar erlebte, erzählt Martina (Name geändert): „Daß ich nicht Miß Leipzig werde, war mir eigentlich von Anfang an klar. Ich habe wegen der angekündigten drei tollen Tage mitgemacht. Aber in der Bar war viel zuwenig Platz. Es hieß nur, eßt schnell, damit die anderen sich auch hinsetzen können. Dann haben uns die Kellner das Essen regelrecht hingeschmissen; ein Essen, ein Getränk, mehr war nicht. Das war reine Abfertigung.“
Bevor die Damen am Abend der Endausscheidung - im Badeanzug - auftreten, müssen sie erst einmal Maß nehmen lassen. Von einem Mann, versteht sich, der gelegentlich mit der Bemerkung: „Ist doch alles echt, oder?“ zupackt. Während die Frauen vermessen werden, drückt ihnen ein anderer einen Vertrag in die Hand. Die Frauen sind verunsichert, unterschreiben.
Der Inhalt des Vertrages ist schnell beschrieben. Die Frauen verkaufen ihre Foto- und Interviewrechte an die Agentur Caribbean Ltd., Media Sektion W.-Germany, vertreten durch H. Schneider. Gagenabrechnungen erfolgen grundsätzlich nur durch die Agentur, ebenso wie die Vermittlung von Tätigkeiten. Bei einem Verstoß gegen diesen Vertrag wird den Frauen eine Konventionalstrafe zwischen 10.000 und 1.000.000 DM angedroht. Die Unterzeichnende erklärt sich mit den „üblichen Betriebskontrollmaßnahmen“ einverstanden. Vertragsende. Kein Wort über ein Engagement der Frauen, über die Art der Aufnahmen oder die Bezahlung. Unterschrieben ist der Vertrag so: „Spaß am Genuß! Clubmaster“.
Nach den ersten 16 Frauen wird eine kleine Pause eingelegt. Herr Rieschke muß wieder einmal eine kleine Panne gestehen. In die Endausscheidung seien nicht 48 „Stück“, sondern 51 „Stück“ gekommen. Die sowieso schon recht strapazierten Gäste, die 300 DM für eine Eintrittskarte hinblättern mußten, schauen sich peinlich berührt an. “ Die Stimmung unter den Kandidatinnen ist spürbar schlecht. Der Vertrag hat sie verunsichert.
Die Endrunde mit den fünf „höchstdotierten“ Frauen, das „Stechen“ naht. Die halbe Jury ist betrunken. Herr Schneider kann kaum noch geradeaus gucken und greift wahllos nach Notenkarten. Das Publikum ist sauer und quittiert die Entscheidungen der Jury abwechselnd mit Buh- und Pfuirufen. Einige skandieren „freie Wahlen“. - Die Wahl ist gelaufen, aber das Lächeln der Siegerinnen wirkt gequält. Als die Viertplazierte, die 26jährige Juristin Simone Stiegler, ihr Mißkrönchen aufgesetzt bekommt, schnappt sie sich Rieschkes Mikrophon: „Ich möchte meine Krone zurückgeben, denn von diesen Verträgen, die diesen blutjungen Mädchen angeboten worden sind, die überhaupt keine Ahnung haben und nicht wissen, was sie da unterschreiben, kann ich allen nur abraten.“ Zum ersten Mal applaudiert das gesamte Publikum. Rieschkes Rettungsversuch: „Meine Damen und Herren, wir haben Meinungsfreiheit, und das durfte sie selbstverständlich sagen. Deshalb haben wir ihr auch gestattet, daß sie das sagen darf. Dennoch fahren wir weg, ähm... fahren wir weiter, meine Damen und Herren...“
Ellen Petry
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