: Wird Ossietzky endlich rehabilitiert?
■ 58 Jahre nach der Verurteilung von Carl von Ossietzky beantragt seine Tochter Rosalinde heute beim Berliner Kammergericht die Wiederaufnahme des Verfahrens / Begründung: Die Gutachten, die im „Weltbühnen-Prozeß“ gefällt worden waren, seien falsch gewesen
Wird der Herausgeber und Redakteur der Zeitschrift 'Die Weltbühne‘, Carl von Ossietzky, 58 Jahre nach seiner Verurteilung durch das oberste Gericht der Weimarer Republik nun endlich juristisch rehabilitiert? Die Entscheidung darüber liegt jetzt in der Hand des Berliner Kammergerichts, bei dem Ossietzkys Tochter Rosalinde heute zusammen mit zwei Verfahrensbevollmächtigten einen Antrag auf Wiederaufnahme des „Weltbühnen-Prozesses“ beantragen will.
Der Publizist Ossietzky war am 23.November 1931 vom 4.Strafsenat des Reichsgerichts in Leipzig zu eineinhalb Jahren Haft wegen angeblichen „Verrats von militärischen Geheimnissen“ verurteilt worden. Der Schuldspruch war auch sein Todesurteil: Die Nazis hatten das Urteil zum Anlaß genommen, den Herausgeber der damals in Berlin erscheinenden Zeitschrift 'Die Weltbühne‘ wenige Wochen nach seiner vorzeitigen Entlassung aus dem Gefängnis erneut zu verhaften und ins KZ zu stecken. Ende 1936 war Ossietzky als todkranker Mann aus dem KZ Esterwegen in ein Krankenhaus verlegt worden, weil es seinen emigrierten Freunden und der Liga für Menschenrechte gelungen war, ihn gegen den Widerstand einiger Angehöriger der Familie Nobel zum Friedensnobelpreisträger zu nomieren. Ossietzky war gerade 48 Jahre alt, als er im Mai 1938 an Tuberkulose starb.
Nach mehrjähriger mühevoller Materialsuche und juristischer Feinarbeit des Berliner Richters Eckart Rottka und des Bremer Historikers Ingo Müller wollen die Rechtsanwälte Heinrich Hannover und Gerhard Jungfer heute im Auftrag von Rosalinde Ossietzky-Palm beim Kammergericht die Wiederaufnahme des „Weltbühnen-Prozesses“ beantragen. Die Materialsuche war ausgesprochen schwierig, weil der Prozeß gegen Ossietzky vor dem 4.Strafsenat des Reichsgerichts in Leipzig unter besonderer Geheimhaltungspflicht hinter verschlossenen Türen stattfand. Das Urteil wurde nie veröffentlicht, die Akten sind in der Nachkriegszeit verschollen.
Ossietzky hatte in dem Prozeß zwei Jahre lang zusammen mit dem Autor Walter Kreiser vor Gericht gestanden. Beide waren wegen „Verrats militärischer Geheimisse“ verurteilt worden, weil die Weltbühne einen Artikel Kreisers mit dem Titel „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ veröffentlicht hatte, der von der geheimen Aufrüstung der Reichswehr im Luftsektor handelte.
Rottka und Müller fanden nun heraus, daß das Reichsgericht nur den letzten Absatz von Kreisers Artikel für strafwürdig gehalten hatte. Dort schilderte Ossietzky, daß die geheime Abteilung der Deutschen Reichswehr in Johannesthal Flugzeuge unterhält. „Das“, so Rottka zur taz, „war kein Geheimnisverrat sondern schon bekannt. In dem Artikel wurden nur allgemein zugängliche Informationen über die geheime Luftrüstung verwendet. Es war ein etatkritischer Artikel, der fragte, ‘Warum werden hier Steuergelder für derartige nicht erlaubte Dinge verwendet?“
Die Antragsteller haben das Gesuch auf Wiederaufnahme des Verfahrens damit begründet, daß das Reichsgericht sein Urteil einzig und allein auf die Gutachten des Reichswehr und Reichsverkehrsministeriums sowie des auswärtigen Amtes gestützt hatten: Die Gutachter hätten falsch gelegen, weil sie zu dem falschen Schluß gekommen waren, daß in dem Artikel militärische Geheimnisse verraten worden seien. Wenn das Kammergericht nach der Prüfung des Gesuchs auf Wiederaufnahmne des Verfahren zu dem gleichen Schluß kommt wie die Antragsteller, muß der „Weltbühnen-Prozeß“ noch einmal aufgerollt werden. Nähere Details wollen die Rechtsanwälte heute auf einer Pressekonferenz verraten, an der auch Ossietzkys Tochter Rosalinde und die Liga für Menschenrechte teilnehmen wird.
Eckert Rottka möchte mit der Wiederaufnahme des Verfahrens nicht nur die „persönliche Rehablitierung“ Ossietzkys erreichen, sondern auch prüfen, „ob ein Gericht nach der Erfahrung von zwölf Jahren Faschismus heute bereit ist, sich von einem solchen Unrechtsurteil zu distanzieren“.
Plutonia Plarre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen