: Einer im Tremens
■ Gerhard Falkner und sein letzter Gedichtband „wemut“
Die Zeiten, in denen das Gedicht das Leben schönte oder es zu verändern hoffte, sind vorbei. Hat es sie je gegeben? Die Altersgenossen von Rimbaud waren Sigmund Freud, Petain und Buffalo Bill. Falkner und seinesgleichen (ich rechne mich, wenig älter, dazu) sind aufgewachsen mit Kiesinger und Kissinger, mit Anti-Springer-Demonstrationen, mit Nonos Fabbrica Illuminata und Brinkmanns Westwärts 1&2. Wir wissen um paradigmatische Schönheit: Kost auf gläsernem Sarg. Wir lernten: ein verheißungsvolles Nein. Celan hat das Gedicht zu einem point of no return gebracht, und Brinkmann uns ein für allemal vorexerziert, was Formlosigkeit heißt. Das Gedicht heute kann nur etwas anderes sein: zunächst ein eigensiniges Beharren bei seinem Autor. Es gibt nur noch den Weg von der Authentizität zur Tradition, nicht umgekehrt: also eine Bewegung durch das eigene Dickicht auf einen sprachlichen Zsutand, der immer noch absolut sein möchte, das heißt immer noch wähnt, die Fülle der Beziehung zur Welt ausdrücken zu können.
Gerhard Falkner hat das in drei großen Entwürfen, in den drei Gedichtbänden So beginnen am körper die tage, der atem unter der erde und - jetzt wemut auf intensive und exemplarische Weise versucht. Neben die (subjektive) Substanz eines sich durchhaltenden Lebens sind mehr und mehr die Reflexion über die eigene (die deutsche) Sprache und die Artistik der Form getreten, ohne daß das eine das andere oder noch andere ausschlösse.
Liest man die Gedichte des bandes wemut, so fällt einem auf Anhieb der romantische Stau, eine unerbittliche Schönheitssuche und Trauerspannung auf, doch in gebändigter Sprache, in bewußt coolen, gegossenen, geschmolzenen Formen. Kontrolliert elektrisierende Erhellungen der sinnlichen Welt kennen wir aus seinen früheren Gedichtbänden. Sie waren die dort dominierende Qualität. In wemut ist etwas dazugekommen: daß Falkner sich der autonomen Suche seiner Sprache gefügt hat und von radikaler Subjektivität her nun bei der Tradition angekommen ist. In dem Abschnitt gebrochenes deutsch, der den Band eröffnet, hat er versucht, sich von diesem Anspruch auf Reinheit zu stellen. Zwar nähert sich das den Mallarmeschen Prinzipien, doch auch nicht ganz, weil Falkner die Metapher ausschließt, die Form zwar streng ist, aber durch die grammatikalische Destruktivität das Berichtbare zerstört wird:
leicht wie luft, das weckte mich dann, von den fremde
der morgen hatte sich wunderbar in gewalt, gelöst
wie die schiffe, freilich wer war ich, beschattete bäum
ich sah nicht lange hin, oder tod, herabgekomme
nur die zunge, ich es nicht länger, glücklich verwirr
Auf diese Weise möchte Falkner ein klassisches Vokabular für zeitgenössisches verkraftbar werden lassen. Diese so abgebundenen großen Wörter kommen aus der Ruhe ihres Alleinstehens wieder zu ihrer eigentlichen Intensität, stehen im Sinn mit sich selbst.
Was in diesem dritten Band „dazugekommen ist“ und ihn in meinen Augen wichtig macht, kann auch noch anders formuliert werden: Falkner hat seine frühere Unbekümmertheit weitgehend verloren und „als Schlimmstes“ erkannt, „daß intensiv Erworbene oder Erlebte auf die Straße des Sagbaren“ zu führen. Um, wie er, bei der Tradition anzukommen, ohne seine Eigenständigkeit verloren zu haben, muß man seinen Weg an allen Großen vorbei und durch sie hindurch finden, und es ist gräßlich (jeder, der schreibt, weiß das), wie dicht neben allen die Aberration bereits liegt, das Konfuse, Nutzlose, Veraltete, das Überzogene, das Leere und was immer sonst es ist. Merkwürdigerweise verliert aus dieser Position das Experiment, für sich genommen, mehr und mehr an Bedeutung. Deshalb wohl gibt es in diesen letzten Gedichten auch klassische und vorklassische Anklänge, Pindar grüßt, Horaz, aber auch der Goethe der Venezianischen Epigramme. Falkner hat sich „wie einer im tremens“, wie er sagte, gefühlt, „der das gereichte kristallklare Wasser verchloren mußte“. Uns, den ZeitgenossInnen, ist es frisch, und es mundet.
In vielen der neuen Gedichte, deren Ausgangskern nach wie vor Erlebtes ist, herrschen neben der Auseinandersetzung mit den Klassikern nun prozeßhaft reflektierende Elemente vor. Sehr deutlich wird dies in dem Langgedicht ich, bitte antworten!. Dieser Text, mit seiner Länge ein Novum bei Falkner, fordert dem Leser viel Konzentration ab. Selbst in diesem von neuer Philosophie und Sprachtheorie fast zu gesättigtem Gebilde weiß Falkner die Anfälle von grauer Theorie doch immer wieder zu vermeiden. Bei Gefahr wird er sinnlich, in der Sprache selbst, und im Wechsel der gedanklichen Ebenen des Ich-Beantworters. Dadurch bleibt die Spannung des Anfangs über zehn Seiten erhalten, und das ist vielleicht das Beste, das sich einem langen Gedicht nachsagen läßt.
dann die du-zelle wieder, nachpulsend
zeitchen, tödchen: rettungsverkleinerungen
eine schneewehe starrt schweigebrocken davor
Ein Mangel dieses Gedichtbandes, womöglich sein einziger, ist der Anschein des Disparaten. Falkner hat zu lange mit der Publikation dieses Bandes gewartet - sechs Jahre -, so daß sehr unterschiedliche Zyklen in wemut zusammengeleimt wurden und nach außen den Eindruck des eher ratlosen als stringenten Suchens vermitteln. Ich hätte mir gewünscht, daß weit ausgreifende Zyklen wie materien, ich, bitte anworten!, vaterländische gedichte oder auch gebrochenes deutsch separat und für sich veröffentlicht worden wären; es wäre ihrem Anspruch viel gemäßer gewesen und hätte die anderen Gedichte in ihrer Konkretheit und Pointiertheit belassen. Dennoch: Durch fast alle diese Gedichte geht ein hoher und letzter und niederschmetternder Ton, ein grundverschiedener von dem, der uns heute aus den meisten Poesiebänden und bis vor kurzem aus den Kästchen der FAZ anwehte.
zeitgebundener Mund orpheus&osiris
mit lauter zunehmenden dingenlauter zerrissene
immer zeitgebundener t e x t s p e i c h e r
ein rot, das gladiolen drängt, zu glühnporen
stürzt auf uns zusteinreiche nacht
o doch, die schönheit soll sich nochmal zeigen
bevor wir sie verloren geben
Ich wünschte mir, daß die Leute, die zu den Konzerten von John Cale oder Blixa Bargeld gehen, auch LeserInnen von wemut werden. Diese Poeme haben alles, um frühere Funktionen der Poesie zurückzuerobern und auswendig hergesagt zu werden:
alle wollen mit der sprache, meiner mutte
um die fahne raufen
ich soll der heimat aus dem wortschaft
land verkaufen
den rhein hab ich vergiftet, weil ich ih
betrachtet habe
und für ein dunkel blüh ich, das ich nich
umnachtet habe
Joachim Sartorius
Gerhard Falkner: wemut. Gedichte. Luchterhand Verlag, 176 Seiten, 26 DM
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