Transpazifischer Streit um die japanische Kinderstube

Heute Krisengipfelgespräche Bush-Kaifu in Kalifornien / Handelskonflikte USA-Japan haben Nachkriegshöhepunkt erreicht / US-Spielwarenkette plant massenweise riesige Supermärkte in Japan / Bush verlangt Abschaffung des japanischen Gesetzes zum Schutz kleiner Läden / Japaner: Haben schon alle Barrieren eingerissen  ■  Aus Tokio Georg Blume

Die japanische Weltpolitik spielt sich zur Zeit im Spielwarenladen ab. Wenn sich die Regierungschefs der beiden führenden Weltwirtschaftsmächte heute und morgen in Kalifornien zum amerikanisch-japanischen Krisengipfel treffen, dann geht es ums bilaterale Geschäft mit den Dingen des täglichen Bedarfs für die Kleinen. Ein dummer Witz? Das wäre zu schnell geschlossen, zumal in Japan direkte Gedankengänge nur selten sehr weit führen.

Schauen wir uns zunächst einmal die Schaufenster des kleinen Spielwarenladens im Tokioter Schickeriastadtteil Jiyugaoka an. Zweifellos ein gewöhnlicher Laden für Tokioter Verhältnisse. Ausgestellt sind die obligatorischen Computerspiele, aber auch ein Puzzlespiel (Thema: die romantische Straße) und Modellbaukästen (Kampfpanzer Leopard 2). Herr Matsushita, ein aufgeweckter Geschäftsmann in den Dreißigern, erklärt sich nach dem üblichen Austausch von Höflichkeiten gerne bereit, uns seinen Laden zu zeigen. Da steht ein ganzes Regal voller Lego-Bausteine aus Dänemark. Die Schaukelpferde „Fisher-Price“ kommen aus den USA, auch fehlt es nicht an Playmobil-Sätzen aus der Bundesrepublik. In der zweiten Geschäftsetage zeigt Herr Matsushita mit berechtigtem Stolz seine große Modellsatzauswahl. Besonders gut gehen die Revell-Automodelle aus Bünde in Westfalen. Wahrhaftige Liebhaberstücke sind die einfachen Heller -Renault-Modelle aus Frankreich. Flugzeugfans kaufen hier Airfix-Bausätze aus England. Kurz und gut, das Beste aus Europa und den USA hat Herr Matsushita im Regal. Nachdem all dies gesagt ist, läßt der Geschäftsmann mit sich reden.

Die US-Spielwarenindustrie plant die Invasion in Nippons Kinderzimmer. Über seine Verbandszeitung ist Herr Matsushita seit Wochen bestens informiert: „Es ist bedauerlich, wenn die Forderungen eines einzelnen Unternehmens, von Toys 'R'Us, von den Amerikanern, in die Regierungsgespräche eingebracht werden.“ Erst im Januar kündigte die größte US -Spielwarenhauskette Toys 'R'Us an, sie werde noch in diesem Jahr ein erstes Geschäft im nordjapanischen Niigata mit einer Verkausfläche von 5.000 Quadratmetern eröffnen und plane alsbald annähernd 100 Filialen in ganz Japan zu errichten. Ein Vorhaben, das japanische Spielwarenhändler verständlicherweise in Schrecken versetzt. Der weltweite Jahresumsatz von Toys 'R'Us (5 Milliarden US-Dollar) entspricht in etwa dem Jahresumsatz der gesamten Spielwarenbranche in Japan (5,5 Milliarden US-Dollar). Da können die kleinen japanischen Händler nicht mithalten. Doch offenbar will die US-Regierung an ihnen das Exempel statuieren.

Toys 'R'Us ist die erste US-Warenhauskette, die eigene Geschäfte in Japan eröffnen will. Bislang ist dieses Unterfangen am japanischen Warenhausgesetz gescheitert, das die kleinen Händler schützt. Demnach benötigen Geschäfte, deren Ladenfläche größer als 500 Quadratmeter ist, bei der Eröffnung die Zustimmung anderer Händler aus der Gegend. Im Konfliktfall entscheiden Stadt- oder Gemeinderat. Die aber machen es Neuankömmlingen oft schwer. Bis zu zehn Jahren müssen Supermarktketten bisher auf Genehmigungen örtlicher Behörden warten. Toys 'R'Us ist dazu freilich nicht mehr bereit. Und ebensowenig ist es die US-Regierung. Bei den am Freitag vergangener Woche gescheiterten Gesprächen über den Abbau des Handelsungleichgewichts zwischen Japan und den USA hatte US-Verhandlungsleiter Lynn Williams schlicht die Abschaffung des betreffenden japanischen Warenhausgesetzes gefordert.

Herr Matsushita in Jiyugaoka schüttelt den Kopf: „Das ist nicht gerecht.“ Mit dieser Beurteilung steht er nicht allein. Fast alle Angestellten seines Hauses haben sich inzwischen um den Kassentresen beim Gespräch über die US -japanischen Handelsbeziehungen versammelt. „Wir selbst können uns nicht wehren“, wirft ein Kollege ein, „das wird jetzt in Kalifornien mit dem amerikanischen Präsidenten verhandelt.“ Die Runde nickt. Nur 130 Quadratmeter Ladenfläche besitzt Merr Matsushita, wohl aber zwölf Angestellte, die offenbar Interesse haben, über die Zukunft des Geschäfts mitzureden. „Die Amerikaner beschweren sich, daß Japan nicht genug importiert, aber unser Laden ist voll von ausländischen Produkten“, bemerkt einer von ihnen. Das Argument ist in Jiyugaoka schwer von der Hand zu weisen.

Das japanische Einzelhandelssystem, im Westen oft ob seiner Undurchdringlichkeit und komplizierten Lieferungsbedingungen kritisiert, hat seine Eigenarten, die dem US -Verhandlungspartner nicht in den Kopf gehen. Deren wichtigste ist freilich, daß knapp jede fünfte japanische ArbeitnehmerIn im Einzel- oder Großhandelsgeschäft tätig ist und daß die Zahl der dort Arbeitenden im Gegensatz zu anderen Industrieländern weiter zunimmt. Man zählt in Japan pro 48 EinwohnerInnen ein Einzelhandelsgeschäft, in den USA pro 103 EinwohnerInnen. Die Zahl der Geschäfte steigt weiter, während in den USA und Westeuropa moderne Großmarktketten die Tante-Emma-Läden verdrängen.

Nicht zuletzt das umstrittene japanische Warenhausgesetz macht das möglich. „Das gehört zu den japanischen Sitten“, meint Tatsuki Kobe, Sprecher von McDonald's in Japan. „Jedesmal, wenn eine große Firma in einem kleinen Ort ansiedeln will, sind die EinwohnerInnen dagegen.“ Damit ist das US-japanische Verhandlungsproblem benannt: George Bush schert sich nicht um Nippons Sitten. Ein möglicherweise folgenschwerer Fehler.

Selten zuvor zeigten sich Regierung und Öffentlichkeit in Japan über das Benehmen eines US-amerikanischen Präsidenten so entsetzt wie in dieser Woche. Kaum waren die Handelsgespräche zwischen beiden Regierungen gescheitert, da griff George Bush wenige Stunden später zum Telefon und verlangte die unmittelbare Einberufung eines Krisengipfels. Der findet nun am Wochenende in Kalifornien statt. Doch macht die japanische Seite keinen Hehl daraus, daß man das Treffen als übereilt betrachtet, zumal Regierungschef Toshiki Kaifu erst am Mittwoch dieser Woche sein neues Kabinett vorstellt und am Freitag morgen in Tokio seine erste Regierungserklärung als wiedergewählter Ministerpräsident plante. George Bush ließ Kaifu keine Zeit. Schon deshalb wird er vom japanischen Regierungschef in Kalifornien kaum neue Zugeständnisse erwarten können.

Nicht nur das Spielzeugdilemma, andere Streitpunkte - wie etwa die hohen japanischen Land- und Bodenpreise oder die geringen öffentlichen Investitionen für Krankenhäuser, Parkanlagen etc. - haben die amerikanisch-japanischen Handelsgespräche auf Eis gelegt. Im Grunde geht es jedoch immer wieder um das gleiche Problem. Mit den zum Beginn der achziger Jahre selbstauferlegten Exportbeschränkungen für japanische Produkte in die USA und der 1985 vereinbarten Yen -Aufwertung gegenüber dem US-Dollar haben die Regierungen in Tokio und Washington den üblichen Verhandlungsspielraum in internationalen Handelskonflikten ausgeschöpft. Traditionelle Handelsbarrieren wie Zölle oder die oft zitierten umständlichen Grenzkontrollen für ausländische Produkte hat Tokio in den achtziger Jahren nahezu vollständig abgebaut. Für ausländische Investoren gibt es in Japan inzwischen Steuererleichterungen.

Trotz alledem hat sich freilich an der Handelsstruktur zwischen den USA und Japan kaum etwas verändert. Woche für Woche ziehen japanische Unternehmen etwa eine Milliarde US -Dollar an Umsatzgewinnen aus den USA ab. Das US -Handelsdefizit im bilateralen Handel betrug 1989 weiterhin 49 Milliarden US-Dollar. Also greift George Bush zum Mittel, das ihm bleibt. Er will japanische Innenpolitik diktieren und bei der Gesetzschreibung in Tokio mitwirken.

Makoto Kuroda, ehemaliger Vizeminister im Tokioter Außenhandels- und Industrieministerium (MITI), gibt George Bush eine vorzeitige Antwort: „An welche Konzessionen denkt er eigentlich? Amerikaner glauben, Japan müsse große Veränderungen unternehmen. Wir haben doch bereits so viel geändert. Jetzt sind die Amerikaner dran.“ Dementsprechend wird Kaifu seinem Partner in Kalifornien die japanische Lektion erteilen: Die USA müßten ihre Staatsschulden abbauen, ihre Forschungs- und Investitionsausgaben erhöhen, mehr für ihr marodes Schulsystem tun. Wenn das alles erledigt sei, könne man auch mit substantiellen Fortschritten im gemeinsamen Wirtschaftsgeschäft rechnen. Hält die Tokioter Regierung diese Verhandlungslinie weiterhin so hart wie bisher ein, dann dürfte sich Herr Matsushita in Jiyugaoka umsonst sorgen. George Bush aber wird sehr wütend sein.