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Grüne Politik ist nur noch gegen die GAL möglich

Die Abgeordneten der Grünen Frauenfraktion in der Hamburger Bürgerschaft Angela Friedrich, Eva Hubert, Heide Neitsch, Krista Sager zum Austritt aus der GAL  ■ D O K U M E N T A T I O N

1. Wir wollen nicht, daß das Projekt Frauenliste auseinanderbricht. Wir stehen ausnahmslos zu dieser Frauenfraktion. Die jetzige Grüne Frauenfraktion hat in ihrer Arbeit gezeigt und erfahren, daß es möglich ist, strömungsübergreifend grüne Politik zu machen, die sich an Themen und Inhalten orientiert. Es gibt keinen Grund, wegen des Zustands des Hamburger Landesverbandes der GAL diese Arbeit nicht fortsetzen. Deshalb treten wir nicht aus der Frauenfraktion aus.

2. Wir treten allerdings aus dem Hamburger Parteiverband aus. Der Beschluß der Mitgliederversammlung vom 17.02.1990 drückt erneut eine politische Haltung aus, die nicht an der Veränderung von Gesellschaft durch politische Gestaltung interessiert ist. Sie setzt zum wiederholten Mal auf eine Polarisierung, die eine prinzipielle Feindschaft gegenüber der Gesellschaft zum Hintergrund hat. Egal, ob es sich um die Frage der Koalition mit der SPD handelte, oder jetzt um die Stellungnahme zur deutsch-deutschen Entwicklung: Regelmäßig wird durch Extrempositionen der Punkt maximaler Konfrontation gesucht. Erfolge in der Sache, die notwendigerweise Kompromißcharakter haben, werden entweder geleugnet oder als zweitrangig betrachtet. Es ist eine aus Feindschaften zusammengesetzte Welt, in der die „GAL -StrategInnen“ denken und empfinden.

3. Dieses prägt auch die inneren Beziehungen in der GAL. Wer an den für entscheidend erklärten Punkten die geforderte systemoppositionelle Haltung nicht mitvollzieht, sieht sich hemmungslosen innerparteilichen Feindschaftserklärungen ausgesetzt. Diese vergifteten Beziehungen haben die Hälfte der ehemals Aktiven resignieren lassen und zahlreiche MitgliederInnen haben inzwischen die Partei verlassen. Nur sehr wenige sind überhaupt noch bereit, sich dem peinlichen und haßerfüllten Spektakel der Mitgliederversammlung auszusetzen. Übriggeblieben sind die Borniertesten und Unempfindlichsten - wir können sie nicht mehr länger ertragen und ziehen für uns die Notbremse.

4. Die Mitgliederversammlung der GAL hat sich am 17.02.1990 für strikte Zweistaatlichkeit in Deutschland ausgesprochen. Die Teile der DDR-Bevölkerung, die einen Zusammenschluß mit der Bundesrepublik wünschen, wurden als „Untertanen“ beschimpft, die einem „reaktionären Nationalismus“ verfallen seien. Mitglieder der GAL, die gegen diesen Beschluß stimmten, wurden als „der braune Rest der GAL“ diffamiert.

Wir sind keine Anhängerinnen des Nationalstaats. Wir würden einen langsamen und vorsichtigen Weg der Annäherung gegenüber der jetzigen Anschlußpolitik vorziehen. Die blindwütige Emotionalität, mit der die politische Rechte ihre „Deutschland-über-alles-Politik“ über alle Besorgnisse unserer Nachbarn hinweg durchzupeitschen versucht, halten wir für äußerst gefährlich. Uns erschreckt aber ebenso ein negativer Nationalismus von links, der sich blind und haßerfüllt über verständliche Wünsche der DDR-Bevölkerung hinwegzusetzen versucht. Wer den Aufbruch in der DDR als einen „Aufstand von Untertanen“ diffamiert, weil dort viele Menschen keine „neue Gesellschaft“ schaffen wollen, sondern einfach hoffen, an den bundesrepublikanischen Wohlstandsvorteilen teilhaben zu können, versucht, ein neues Diktat über die DDR-Bevölkerung zu verhängen.

5. Wir sind als Frauenfraktion vor drei Jahren angetreten, um den Vorrang ökologischer Betrachtungsweise vor wirtschaftlichen Interessen in Hamburg eine Stimme zu geben. Heute sehen wir uns vor die Aufgabe gestellt, den Vorrang der Ökologie gegenüber den damaligen MitstreiterInnen zu verteidigen, denen die Bildung eines radikalen Linksbündnisses oder die Schaffung einer linkssozialistischen Partei wichtiger ist. Wir fühlen uns loyal gegenüber der Grünen Bundespartei. Wir fordern die AnhängerInnen der Systemopposition auf, das verlogene Projekt einer linkssozialistischen Partei unter dem Deckmantel der Grünen aufzugeben. Wir werden den Weg des „linken Forums“ in eine GAL-PDS nicht mitgehen.

6. Wir sind nicht länger bereit, für die systemoppositionelle Strategie altlinker sozialistischer Kader das grüne, parlamentarische Feigenblatt zu liefern. Zweimal haben die WählerInnen in Hamburg die GAL in die Bürgerschaft geschickt mit der ziemlich deutlichen Option, die SPD-Regierungspolitik ökologisch und sozial zu korrigieren - zweimal hat sich die GAL dem verweigert und grüne Wählerstimmen für systemoppositionelle Demonstrationen mißbraucht. Dieses Spiel spielen wir nicht mehr mit.

7. Wir sind auch angetreten, um die Mehrheitsgesellschaft immer wieder mit den ausgegrenzten Teilen der sozialen, nationalen, sexuellen und kulturellen Minderheiten zu konfrontieren. Innerhalb der Partei mußten wir uns immer wieder dagegen wehren, daß diese Minderheiten nur als Schwungmasse für systemoppositionellen Protest mißbraucht werden. Bis heute versuchen wesentliche Teile der GAL, aus Protestaktionen solcher Minderheiten die Rechtfertigung für den Einsatz von Gewalt in der Politik abzuleiten. Von den osteuropäischen Bürgerrechtsbewegungen läßt sich lernen, daß eine Politik der Gewaltfreiheit kein Zeichen von Schwäche, sondern Bedingung des Erfolgs ist.

8. Wir wollen, daß grüne Politik, für die diese Fraktion gestanden hat und steht, zur Bürgerschaftswahl 1991 wieder wählbar wird. Dies geht nicht mehr mit, sondern nur noch gegen die GAL. Die Mitglieder der GAL und alle anderen Menschen in Hamburg, die unsere Politik richtig finden und einen neuen Anfang für ökologische, gewaltfreie und soziale Politik in Hamburg machen wollen, bitten wir um Unterstützung.

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