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Ausländergesetz zwischen Theorie und Praxis

Italiens Parlament verabschiedet trotz regierungsinternen Widerstands das hochgelobte „Förderungsgesetz“ / Währenddesssen hungerstreiken bei Bari verzweifelte asiatische Boat people, die zurückgeschickt werden sollen  ■  Aus Bari Werner Raith

Die Szene erinnert, freilich nur auf den ersten Blick, an eine Slapstick-Komödie: Von der nahe der Mole angetäuten „Europa II“ lösen sich zwei Silhouetten, plumpsen hinunter ins milchigtrübe Adriawasser, und wie eine Kettenreaktion platschen nun von einem Dutzend anderer Schiffe und auch von der Mole weitere dunkle Schatten ins Meer - als würde eine Froschkolonie aufgescheucht das Weite suchen.

Doch die Sache ist beileibe nicht zum Lachen: Ins Hafenwasser gestürzt haben sich zwei Asiaten, Mitglieder der 54köpfigen Exilantengruppe (6 Frauen, 48 Männer), die vor einer Woche nächtens von einem zypriotischen Schiff herunter die Strandpromenade der apulischen Regionalhauptstadt zu gewinnen und sich danach als Fremdarbeiter zu verdingen hofften. Zweitausend Dollar pro Kopf haben die Fluchthelfer für die Aktion schon in Sri Lanka, Pakistan, Bangladesch und Indien kassiert, mehr als drei Wochen dauerte die Fahrt - in Griechenland, dem ersten Ziel, wurden sie sofort weitergeschickt, in Italien will man sie aber auch nicht.

Die drohende und im ersten Moment von den Behörden auch verfügte sofortige Ausweisung in die respektiven Herkunftsländer hat die Gruppe am Samstag zu einem strikten Hungerstreik veranlaßt; seit Montag nehmen die Männer auch keine Getränke mehr zu sich. Daß sich zwei Tamilen ins Wasser gestürzt hatten, war von den Aufpassern ringsum als erneuter Landeversuch aufgefaßt worden; doch wollten sie wohl Selbstmord begehen. So hat sie am Ende keiner der Polizisten herausgezogen, sondern ein mutiger griechischer Matrose.

Absurdes Zusammentreffen: Während sich in Bari die Ausgewiesenen von Bord stürzen, hat am selben Tag der Senat mit Unterstützung auch der kommunistischen und grünen Opposition das regierungsintern umstrittenene Immigranten -Gesetz verabschiedet, das offiziell goldene Zeiten für Arbeitswillige aus Nicht-EG-Ländern verspricht - eine Generalamnestie für die gut 900.000 bereits im Land weilenden Afrikaner und Asiaten, sofern sie sich bei den Behörden melden, dazu die Zuweisung von 15 Prozent staatlicher Sozialwohnungen, Krankenversicherung, Pensionskasse. Doch „genau dieses Gesetz verhindert nun, daß die an Land dürfen“, jammert der federführende Staatsanwalt Nicola Magrone, „denn danach sind sie zu spät gekommen“ wer seine Ankunft vor Dezember 89 nicht nachweisen kann, kommt nicht in den Genuß der Gesetzesvorteile.

Die freilich schätzen Sprecher von Einwandererorganisationen sowieso ziemlich gering ein - die Hilfe durch die Sozialversicherung wird durch die dafür notwendige Anmeldung bei den Steuerbehörden mehr als aufgehoben - bei Tageseinkommen von oft gerade 10.000 Lire (13,50 DM - für 16 Stunden Arbeit auf den Feldern oder den Fischkuttern) wissen die meisten nicht einmal, woher sie das Geld für die Formulare und Steuermarken (jeweils zwischen 3.000 und 5.000 Lire) für die Dutzende von Anträgen nehmen sollen. Und die vollmundig versprochenen Sozialbauten müssen zuerst mal erstellt werden - und auch dann prophezeien keineswegs nur faschistische Scharfmacher schwere soziale Unruhen, wenn Zuwanderer den derzeit zwei Millionen wohnungssuchenden italienischen Familien vorgezogen werden sollten.

Sozialversicherung - mit dem Wort schon wissen die Flüchtlinge nichts anzufangen. Selbst die böse Geschichte vom Faschingsdienstag, als in Florenz vier Dutzend Männer in Karnevalskostümen farbige Händler angefallen und schwer verletzt haben, beunruhigt die Leute auf dem Schiff nicht: „Wir tun niemandem Böses“, sagt ein Tamile, „wir wollen nur arbeiten und in Frieden gelassen werden.“ Daß man, ohne jemandem Böses zu tun, schon wegen seiner Herkunft verfolgt werden kann, hält er offenbar für eine Exklusivität seiner Heimat.

Am Donnerstag vormittag riß dem Staatsanwalt unvermittelt die Geduld: „Also das kann ich nicht weiter ansehen.“ Dann schickte er zwei Amtsärzte aufs Schiff, die den besorgniserregenden Zustand von mehr als der Hälfte der Flüchtlinge feststellten: bei einem war nicht einmal mehr Atem zu spüren, bei zwei weiteren mußte die Tür zur Kabine aufgebrochen werden, weil sie sich nicht mehr bewegen konnten. Eine Stunde später waren die schweren Fälle alle von Bord, und Staatsanwalt Magrone hat verfügt, daß sie auch nach der Entlassung nicht wieder dorthin müssen, sondern an Land untergebracht werden - „bis die Fälle, nach gründlicher Prüfung, entschieden sind“. Das wird dauern, und bis dahin, hofft er, wird das neue Gesetz entweder novelliert oder eine Ausnahmegenehmigung für die 54 Menschen aus Asien durchgesetzt - „notfalls auf Druck der öffentlichen Meinung“.

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