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Verfahren im Startbahn-Prozeß abgetrennt

■ Drei 129a-Verfahren abgetrennt / Der Strafsenat erteilt der Generalbundesanwaltschaft eine Lehrstunde

Frankfurt (taz) - Im Startbahn-Prozeß vor dem 5. Strafsenat am Oberlandesgericht Frankfurt sind gestern die 129a -Verfahren gegen drei Angeklagte formell abgetrennt worden. Bereits in der kommenden Woche wird die Bundesanwaltschaft (BAW) gegen die Angeklagten Andreas Semisch, Ina T. und Reiner H. ihre Plädoyers verlesen. Das Verfahren um die Ermordung der beiden Polizeibeamten an der Startbahn-West, die den Beschuldigten Andreas Eichler und Frank Hoffmann zur Last gelegt werden, wird als eigenes Verfahren parallel weiterlaufen.

Zum Auftakt der gestrigen Hauptverhandlung hatten die Richter die Bundesanwälte scharf angegriffen. Der Senatsvorsitzende, Dr. Schieferstein, befragte die Ankläger detailliert nach Sinn und Zweck eines Beweisantrags, in dem ein neues linguistisches Sachverständigengutachten zur Autorenschaft von mehreren Bekennerschreiben zu Anschlägen gefordert wurde. Ein anderes Gutachten des BKA-Oberrates Perret hatte zuvor im Prozeß nicht standgehalten. Nach der Expertise von Perret sollte Andreas Semisch der Autor von vier Bekennerschreiben der Revolutionären Zellen (RZ) gewesen sein. Nachdem der Senat monatelang die Version der Anklage übernommen hatte, ließ er aber vor wenigen Tagen den Angeklagten Andreas Semisch überraschend nach zwei Jahren Untersuchungshaft frei - mangels ausreichendem Tatverdacht. Die Anklage nach Paragraph 129a (Unterstützung oder Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung) gegen Semisch stützt sich im wesentlichen auf das Perret -Gutachten.

Der Strafsenat warf der Bundesanwaltschaft vor, mit dem neuerlichen Antrag lediglich einen potentiellen Revisionsgrund schaffen zu wollen: Das Gericht solle einen Gutachter auswählen - und je nach Ergebnis werde die BAW in der Revisionsbegründung dann die Auswahl eines nichtkompetenten Sachverständigen rügen.

Zur Beurteilung des Antrags der Bundesanwälte hatte das Gericht gestern die Linguisten und Mitarbeiter des Instituts für Deutsche Sprache, Prof. Engel, als Sachverständigen geladen. Engel erklärte, daß aufgrund der Vergleiche von Bekennerschreiben und privater Post von Semisch keine Aussagen zur Autorenidentität möglich seien: „Aus diesen Texten kann niemand eine Autorenidentität ableiten.“ Bei Perrets Gutachten habe vielmehr von Anfang an die Fragestellung zu den gewünschten Ergebnissen führen sollen. Zuverlässige Aussagen über die Autorenschaft bei standardisierten Texten wie Bekennerschreiben seien wegen mangelnden individuellen Autorenmerkmalen praktisch unmöglich. Der Senat schloß sich Engels Ausführungen an und wies den Antrag zurück.

M.B.

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