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„Unser Grundgefühl ist Ratlosigkeit“

■ Die Frauen in der DDR haben Angst, von den Veränderungen überrannt zu werden. Sie sind verunsichert, wissen aber, daß sie sich politisch einmischen müssen. Hamburger GAL-Frauen trafen sich in Dresden mit autonomen Fraueninitiativen

Ich bin hier, weil ich Lust auf Selbstfindung habe“, sagt eine Lehrerin, „ich möchte die Teile von mir wiederfinden, die kaputtgegangen sind, beziehungsweise kaputtgemacht wurden.“ Damit spricht sie vielen Besucherinnen der ersten Veranstaltung des „internationalen Frauenkulturzentrums“ in Dresden aus der Seele. Doch Zeit und Ruhe für Selbsterfahrung zu fordern, das erscheint angesichts des hektischen Tempos, in dem sich das Leben in der DDR zur Zeit ändert, als unerhörter Luxus. Die sechzig, siebzig Frauen, die gekommen sind, lassen sich zwar begeistern von der Vorstellung, anderen Kulturen zu begegnen, Sprachen zu lernen, alternative Erziehungsvorstellungen zu diskutieren oder Frauen-Sportgruppen aufzubauen - doch was sie wirklich bewegt, das ist die Angst vor einer ungewissen Zukunft.

Am Tag zuvor haben sich die Frauen mit der ersten Frauendemo Dresdens einen Platz am Runden Tisch des Bezirks erstritten, ein Tag später folgt die Eröffnung des Frauenkulturzentrum. „Ich würde gerne mal über andere Formen der Kindererziehung diskutieren und vielleicht einen eigenen Kinderladen aufmachen“, sagt eine Frau an diesem Abend. Sie provoziert damit sofort Widerspruch bei einer anderen. „Diese Woche sind schon die ersten Kinderkrippen geschlossen worden, und manche Kindergärten nehmen keine neuen Kinder mehr auf. Wir müssen jetzt erst mal darum kämpfen, daß die Kinderbetreuung überhaupt gesichert bleibt.“ Um ihre Forderungen zur Kindererziehung zu formulieren, müßten die Frauen sich jetzt zunächst über ihre eigenen Vorstellungen verständigen. Bis jetzt gab es nur die staatlichen Krippen, in denen viele Frauen ihre Kinder notgedrungen zehn Stunden am Tag abgaben, oder die Alternative, die eine Frau aus dem kirchlichen Umfeld beschreibt: „Wir haben unsere Kinder aus Protest zu Hause behalten und zum Teil einen regelrechten Mütterlichkeitskult entwickelt. Psychologie und Soziologie waren bei uns ja bislang Geheimwissenschaften, so daß jetzt eine tiefe Verunsicherung da ist, was eigentlich richtig ist, was kleine Kinder in ihrer Entwicklung wirklich brauchen.“ Ellenbogen sind verlangt

Die Fortbildungsangebote des Demokratischen Frauenbunds Deutschlands (DFD) haben da bislang wenig helfen können. 33.000 Frauen waren allein in Dresden in dem Verband organisiert, der mit Kursangeboten zwischen „Moderner Gardinengestaltung“ und „kleinen Osterbäckereien“ am Frauenbild der fünfziger Jahre häkelt. Jetzt stellte der DFD seine Räume auch für das Wochenendtreffen zwischen Hamburger GAL-Frauen und den autonomen Fraueninitiativen Dresdens zur Verfügung. (Die GAL-Frauenfraktion war nach Dresden gereist, um Kontakt zur Frauen- und Ökologiebewegung in der Partnerinnenstadt Hamburgs zu pflegen.) Während die Westlerinnen zwischen Empörung und Hohngelächter über das biedere Frauenprogramm des DFD schwanken, gehen die Dresdner Schwestern eher milde mit dem DFD um: „Wir müssen jetzt halt sehen, was wir zusammen machen können.“ Hier wird vorläufig weder Schuld noch Staatsknete verteilt.

„Die Männer organisieren die Politik, das heißt, sie legen Orte und Zeiten so, daß wir nicht teilnehmen können. Die Männer planen die Städte - das heißt, sie denken an Autos, aber nicht an Kinderwagen“, im Radio läuft ein Bericht über die Gründung des Unabhängigen Frauenverbandes. Vertraute Sätze, doch es ist so viel einfacher, die Verhältnisse zu analysieren als jetzt einzugreifen. „Unser Grundgefühl ist Ratlosigkeit - aber wir wissen um die Notwendigkeit, sich jetzt noch mit Ellenbogen ein Stück von Kuchen sichern zu müssen, der zur Zeit verteilt wird“, sagt eine der Frauen, die sich zur Zeit für den Aufbau eines Frauenhauses in Dresden stark machen. Da gibt es zum Beispiel die ehemaligen Stasi-Villen, die zur Zeit vergeben werden. Die Frauen haben sich beim Bauamt in die Schlange gestellt und sind mit der Auskunft weggeschickt worden, für die wenigen verbleibenden Gebäude seien sie als Anwärterinnen an 18. Stelle notiert. Strukturen im Untergrund gewachsen

Sie wissen, daß sie sich jetzt mit Macht vordrängeln müßten, „aber wir fühlen uns nach all den Jahren einfach wahnsinnig ausgelutscht und erschöpft“. Fast alle Frauen, die in der Dresdner Frauenbewegung mitmischen, haben mehrere Kinder, einen Beruf, kein Auto, kein Telefon - und Männer, die nach übereinstimmender Auskunft im Haushalt kaum einen Finger krumm machen: „Die sagen, dafür habt ihr Frauen doch einen Haushaltstag im Monat.“

32 Abgeordnete sitzen seit der Wende als basisdemokratische Fraktion mit Beobachterstatus in der Stadtverordnetenversammlung Dresdens, darunter drei Frauen. Eine von ihnen ist Maria Jacoby, die seit Jahren in der kirchlichen Ökologiebewegung aktiv ist. „Wenn ich diese Männer so sehe, wie sie plötzlich mit Schlips und Kragen herumlaufen, wie sie eine Rolle angenommen und sich an die Gepflogenheiten dieses Hauses angepaßt haben, um damit Sicherheit und Ordnung auszustrahlen, habe ich eigentlich gar keine Lust, mich in diese Form von Politik einzumischen“, sagt sie. Viel lieber würde sie in den Arbeitskreisen der Grünen Liga weiterarbeiten, „mit den ganz jungen Leuten, die da mitmachen und denen es wirklich noch nicht um Geld oder Macht geht“ - genau das aber wird zur Zeit im Rathaus neu verteilt.

„Unsere Strukturen sind bislang im Untergrund gewachsen“, sagt Karin Dauenheimer, eine Theologin, die als Journalistin arbeitet und sich seit Jahren offen als Lesbe bekennt. „Eigentlich kommen auch nur diejenigen, die schon vorher politisch aktiv waren, mit der neuen Situation einigermaßen zurecht.“ Doch auch Frauen wie Karin Dauenheimer haben Angst, von der neuen Situation einfach überrannt zu werden und mit ihrer eigenen Geschichte und Identität auf der Strecke zu bleiben. Lesbische Existenz als kreatives Modell soll eine Arbeit heißen, an der sie bereits Jahre gesessen und für die sie zahlreiche Interviews mit Lesben in der DDR geführt hat. Jetzt fürchtet sie, ihr Thema könnte schon veraltet sein, bevor sie überhaupt die Chance hat, es zu veröffentlichen. Noch drängender ist die Angst vor den sozialen Folgen der Revolution, vor dem Verlust der existenziellen Sicherheiten, die Frauen in der DDR bislang hatten. „Es wird uns regelrecht ins Gesicht geschleudert: Ihr wolltet doch die Revolution, jetzt müßt ihr auch sehen, daß ihr mit den Folgen zurechtkommt.“ Vor dem Nichts

Die Frauen aber stehen vor dem Nichts. Es gibt keinen Sozialplan, und sie wissen nicht, ob ihre Qualifikation noch irgendwo gefragt sein wird. Die Organisation ihres Familienlebens verkraftet einen Arbeitsplatzwechsel kaum. Denn auch die Kinderbetreunung ist schon heute nicht mehr so gesichert, wie sie es jahrzehntelang war. Sechs Kinderkrippen seien in der vergangen Woche in Dresden geschlossen worden, berichten verschiedene Frauen. Man habe Asbestplatten in den Gebäuden „entdeckt“. „Natürlich ist Asbest eine schlimme Sache“, sagt eine, „aber solche Kritikpunkte werden zur Zeit allzugerne zum Anlaß genommen, die Einrichtungen einfach ersatzlos zu schließen. Und die Mütter sitzen mit ihren Kindern jetzt zu Hause und können nicht zur Arbeit gehen.“ Ähnlich verhält es sich mit der Schulspeisung. Nachdem vor einiger Zeit die Schulküchen aus Kostengründen geschlossen wurden und das Essen aus zentralen Betriebsküchen geliefert worden sei, sei es bereits am Rande des Genießbaren und völlig jenseits einer gesunden Ernährung gewesen. Viele Kinder blieben von sich aus der kostenlosen Mahlzeit fern. Doch jetzt steht nicht mehr zur Debatte, die Qualität dieser Angebote zu verbessern, sondern diese Sozialleistungen gleich ganz abzuschaffen. Morgen kann alles vorbei sein

Angst vor der Zukunft hat auch Gisela P. Seit zehn Jahren arbeitet sie als Journalistin bei einer Lokalzeitung und zieht nebenbei alleine eine Tochter groß. Jetzt hat sie erfahren, daß sich der Verlag Gruner und Jahr darum bemüht, ihr Blatt aufzukaufen, wie überhaupt alle Zeitungen Dresdens. „Die werden sich vom Chefredakteur vielleicht drei oder vier Leute nennen lassen, die sie dann übernehmen“, vermutet Gisela, „da bin ich als alleinerziehende Mutter bestimmt nicht dabei. Es ist schon merkwürdig: Einerseits denkst du, jetzt hättest du vielleicht die Chance, in deinem Beruf noch mal das zu machen, wovon du früher geträumt hast, andererseits kann von heute auf morgen alles vorbei sein...“ Dann bleibt vielen Frauen wohl nur der Weg ins Dienstleistungsgewerbe: Schlecht bezahlte Verkäuferinnen und Serviererinnen werden in Dresden fast überall gesucht.

Mit einem Bündel von Frauenforderungen gehen die GAL-Frauen schließlich ins Gespräch mit Wolfgang Berghofer. Der Dresdner Oberbürgermeister, der selbst noch vor kurzem gegen einen Sitz für den Unabhängigen Frauenverband am Runden Tisch stimmte, entdeckt offenbar rasch die Chance, in seinen vorläufig letzten Tagen als Politiker noch einmal an Profil zu gewinnen: Ein Runder Tisch nur für Frauen, die Beteiligung der autonomen Frauenbewegung beim Aufbau eines Frauenreferates im Rathaus, die bezahlte Freistellung der dafür notwendigen Frauen von ihrer Berufstätigkeit und die Vergabe eines Hauses zum Aufbau eines Frauenzentrums - dies alles, erklärte er, sei noch vor dem 18. März zu realisieren. Die GAL-Frauenreferentin Heidi Burmeister entscheidet daraufhin, erst mal in Dresden zu bleiben, um bei der Umsetzung dieser Zusagen als Beobachterin und Vermittlerin am Ball zu bleiben.

Irene Stratenwerth

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