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Poullains Angst um die Härte der D-Mark

Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Westdeutschen Landesbank hielt in der Ostberliner „Hochschule für Ökonomie“ eine Vorlesung  ■  Von Ulli Kulke

Berlin (taz) - Da stand er vorne, der wirtschaftliche Erfolg aus der BRD, zum Greifen nahe, hinterm Rednerpult. Schon 70 Jahre, aber durchaus noch sportiv und allem Anschein nach gerade vom sonnigen Segelurlaub zurück. Er diktierte den Twens aus der Ostberliner „Hochschule für Ökonomie Bruno Leuschner“ seine Erfolgsrezepte, die den Westen reich gemacht haben, und sie schrieben lernwillig alles mit: „Man muß entscheidungsorientiert diskutieren, zum Ergebnis kommen, und dann heißt es: beschlossen und verkündet.“

Das positive an der westdeutschen Unternehmensstruktur sei noch immer die „persönliche Identität“ gewesen. „Mannesmann war eben Overbeck, und die Westdeutsche Landesbank war Poullain“. Und deshalb ist Ludwig Poullain auch nicht nur dem Sozialismus abhold, sondern mag auch „Teamwork“ nicht, was für ihn nichts ist als „Flucht aus der persönlichen Verantwortung in die des Kollektivs“. Das Auditorium nickte

-Poullains Vorlesung traf auch in dieser Radikalität offenbar den Zeitgeist, der jetzt durch die Gänge der Lehreinrichtung weht, die ansonsten trotz Nachkriegsbaus eher an jene „Schoohle“ vom „Schnauz“ aus der Feuerzangenbowle erinnert. Der Schaukasten im Flur annonciert für den Fachbereich „Allgemeine Sozialwissenschaften“ jedenfalls nur noch Veranstaltungsreihen wie „Japan - ein Modell?“, „Marktwirtschaftliche Strukturen in der Übergangsökonomie der DDR“, „Innovationen und ökonomische Leistungskraft in der Marktwirtschaft“ - und, nur ganz am Ende, „Wirtschaftsgeschichte der RGW-Staaten“.

Der einstige Chef der mächtigsten Landesbank Westdeutschlands plauderte darüber, wie familiär Kapitalismus sein kann („mein Freund Max Grundig“), ließ anklingen, daß man in der freien Marktwirtschaft auch mal Tacheles reden muß („da bin ich mit dem New Yorker Banker beim Abendessen ganz hart aneinandergeraten“) und malte im übrigen eher düstere Farben an die Wände des trostlosen Hochschulgebäudes: „Es wird sehr bald Arbeitslose geben, und nicht wenig“.

Über die Aussichten einer Währungsunion ist der Banker sehr skeptisch, zumal dann, wenn all die Leistungen in der DDR zum Kurs von 1:1 in derselben Höhe wie im Westen bezahlt werden: „Man kann nicht für eine Arbeit, die das nicht wert ist, so viel zahlen.“

In der Marktwirtschaftslehre auch nicht unkundig, erhoben die Studiosi in der sich anschließenden Diskussion keinen Einspruch: Überbezahlung minderwertiger Arbeit würde schließlich auf Pleiten in der DDR hinauslaufen. Bemerkenswert war indes Pullains Begründung für seine Rechnung: „Das ist weniger ein Kosten- als ein Stabilitätsproblem“, denn vor allem müsse die Härte der D -Mark „unangetastet“ bleiben, und die ist bei einem Kurs von 1:1 in Gefahr.

Bedenken also aus westlicher Sicht, die aber offenbar auch die Emotionen der Noch-DDR-Bürger treffen. Die heilige Westmark stößt bei ihnen schließlich auf mindestens ebensogroße Verehrung, und man hofft schließlich, sie auch bald aufs Konto überwiesen zu bekommen.

Poullain gestand also freimütig „Angst“ ein, die ihn beim Gedanken an eine Währungsunion beschleiche. So ganz konnte er darüber allerdings seinen Arbeitsauftrag nicht erfüllen, von dem er ausgegangen war: „Ich bin hergekommen, um hier den jungen Menschen zu sagen, daß sie keine Angst zu haben brauchen.“

In der Tat wurde aus den Fragen an den Elder Banksman deutlich, daß ein wenig Angst im Hörsaal herrschte, Angst vor den Folgen einer zu schnellen Währungsunion. Es waren aber überwiegend Fragen, die aus ehrlichem Informationsbedürfnis gestellt waren. Nur ein jüngeres Semester wollte die kapitalistische Logik wenigstens noch ein wenig in Frage stellen: „Warum muß eigentlich immer die Arbeit zum Kapital gehen? Das Kapital kann doch auch mal von sich aus dorthin gehen, wo die Arbeitskräfte sind“ -, mußte sich aber von Poullain darin einen „kriegsentscheidender Gedankenfehler“ bescheinigen lassen.

Sicher kein Zufall ist es, daß die im Grundsatz skeptischen Fragen von „Ausländern“ kamen: Als allerdings die Chefredakteurin eines Westberliner Blattes danach fragte, ob nicht mit einer ökologisch ausgerichteten Ökonomie in der DDR ein neues Kapitel der Wirtschaftspolitik aufgeschlagen werden könnte, kommentierte die Bruno-Leuschner-Studentin neben dem Chronisten: „Wenn du zu viele Schranken für die Unternehmen aufbaust, investiert heute doch keiner mehr.“

Die Anwesenheit des Bankers in Ost-Berlin insgesamt stellte schließlich ein anderer Westberliner indirekt in Frage: Wie es denn gemeint sei, das Gerede von der Nichteinmischung in die DDR, wenn ständig jemand sagt, was dort zu tun ist? Er gab sich auch nicht bescheiden zufrieden, als der weise Banker etwas neben der Frage antwortete: Wirtschaftsanwalt Horst Mahler hatte fundamentalen Einspruch gegen Euer Ehren Poullain.

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