: CDU-Streit mit Polen um Entschädigungen
■ Kohl will Entschädigungen für ehemalige Zwangsarbeiter ausschließen / Gerster: „Wiedergutmachungslawine„/ Heftige Kritik am Junktim mit der Grenzfrage
Warschau/Berlin (taz) - In Warschau wird davon ausgegangen, daß Kanzler Kohl mit seiner Forderung, Polen solle auf jegliche Reparationen gegenüber einem wiedervereinigten Deutschland verzichten, darauf abzielt, Entschädigungsansprüche ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter zu verhindern.
Das hat gestern auch der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Johannes Gerster, klargemacht, als er von Polen „den endgültigen Verzicht auf neue Wiedergutmachungsforderungen“ verlangte. Zahlungen für ehemalige polnische Zwangsarbeiter würden, so erklärte Gerster, zu Folgeforderungen aus anderen Staaten des Ostens und Westens führen. Eine Anhörung des Bundestagsinnenausschusses habe deutlich gemacht, daß damit eine „völlig neue Wiedergutmachungslawine“ auf die Bundesrepublik zurollen würde. Berechnungen der CDU/CSU -Fraktion hätten eine „Zusatzbelastung“ von fast 300 Milliarden Mark ergeben. Es wäre, so Gerster, gegenüber der nächsten Generation „zutiefst unmoralisch“, wenn man den Arbeitnehmern von morgen derartige Lasten aufbürden wolle.
In Bonn distanzierten sich alle Bundestagsparteien außer der Union von Kohls Junktim zwischen der Anerkennung der polnischen Westgrenze und einem Verzicht auf Reparationen. Die Kommentare reichten von „abenteuerlich und unverantwortlich“ bis zur Feststellung des außenpolitischen Sprechers der Grünen, Helmut Lippelt, Kohl habe „durch seine absurden Pirouetten bestätigt, daß die Polen mit ihrem Argwohn im Recht sind“.
Da wollte auch Außenminister Genscher nicht zurückstehen und sagte dem ZDF, an früheren Verzichtserklärungen Polens sollte nicht gezweifelt werden. In einer Erklärung gegenüber der DDR hatte Polen 1953 auf weitere Reparationszahlungen gegenüber „Deutschland“ verzichtet. Darunter werden in Polen allerdings nicht die Entschädigungsansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter verstanden, wie der renommierte polnische Schriftsteller und Solidarnosc-Senator Andrzej Szczypiorski in einem taz-Interview bestätigte. Szczypiorski sagte, man versuche, über solche Entschädigungen „mit Deutschland in einen Dialog einzutreten“. Das stehe aber „in überhaupt keinem Zusammenhang“ mit der Grenzfrage.
Der Senator kritisierte auch Kohls zweite Forderung, nach einer vertraglichen Regelung der Rechte von in Polen lebenden Deutschen. Daß die deutsche Minderheit „ihre eigenen Schulen, Bücher, Kirchen und Organisationen bekommt, wird völlig unabhängig von dem, was Kanzler Kohl heute sagt, geschehen.“
KB/mr Interview Seite 10
Tagesthema Seite 3
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen