Fliegende Fäuste und zuckende Finger

Keine Wende beim Challenge-Cup, dem Stelldichein der besten Amateurboxer der Welt Fidel Castros Fäustlinge immer noch kaum zu schlagen / DDR-Boxer begeistern DDR-Bürger  ■  Aus Berlin (West) Matti Lieske

Einen schweren Stand hat Kuba, eine der letzten sozialistischen Bastionen, in den Zeiten des grassierenden Revisionismus und der galoppierenden Vermarktwirtschaftlichung der Welt - und das nicht erst, seit Nicaragua in den Urnen der Konterrevolution begraben wurde. Auch jene kräftigen Burschen, die Fidel Castro ausgesandt hat, die Jugend der Welt zu vermöbeln, durchleben schwere Zeiten. Erst mußten sie als standhafte Südkoreaboykotteure darauf verzichten, bei den Olympischen Spielen den Sendboten des Imperialismus mit dem Fäustling heimzuleuchten, dann wurde bei der Weltmeisterschaft in Moskau ihr Aushängeschild Angel Espinosa, geschwächt von Alkohol und Minne, von einem sowjetischen Perestroiker fast aus den Latschen gehauen, und auch der Challenge-Cup in Berlin war für sie alles andere als ein Zuckerschlecken. Vor allem die Wendekapitalisten aus der DDR hatten jeden Respekt vor ihren Ex-Brüdern im sozialistischen Geiste verloren.

Zwar hatten sie sich noch gemeinsam im Ostseebad Zinnowitz vorbereitet, aber schon der zweite Kampf zeigte, daß die Gastfreundschaft damit ein Ende hatte. Kaum waren die Fliegengewichtler Rico Kubat und Pedro Reyes - als ginge es nicht zu einem Faustkampf, sondern zu einer Karnevalssitzung - von einem bärenfellbemützten britischen Militärtrommler an den Ring geleitet worden, begann der 18jährige Cottbusser, den dreizehn Jahre älteren Ringveteranen aus Havanna, der von 357 Kämpfen 336 gewonnen hatte, so emsig mit schnellen Hieben einzudecken, daß diesem Hören und Sehen verging. 49:27 Treffer registrierten die Punktrichter für Kubat, und da zuvor bereits Vizeweltmeister Marcelo Rogelio gegen Weltmeister Eric Griffin (USA) verloren hatte, schien sich ein Debakel für die Vertreter der Tabakinsel anzudeuten. Schwergewichtler Felix Savon rückte gegen Bert Teuchert aus Freiburg die Verhältnisse erst mal wieder gerade, obwohl es ihm, entgegen allen Erwartungen nicht gelang, den hohen Deutschen zu Boden zu strecken. Danach war der Bann gebrochen und die Kubaner wurden ihrer Favoritenrolle doch noch einigermaßen gerecht.

Der Challenge-Cup ist eine durchaus noble Idee. Die Vizeweltmeister erhalten Gelegenheit zu beweisen, daß ihre Niederlage nichts als ein böser Ausrutscher war, und tatsächlich kam es in Berlin zu vier waschechten Revanchen. Es stellte sich allerdings heraus, daß die Titelträger ihre Triumphe in Moskau offensichtlich doch zu Recht errungen hatten. Alle gewannen sie auch beim Challenge-Cup, wobei der spektakulärste Kampf ohne Zweifel der von Weltmeister Julio Gonzales aus Cienfuegos gegen seinen Vize Andreas Zülow war. Frenetisch bejubelt von 4.000 DDR-Bürgern unter den 6.300 Zuschauern in der Deutschlandhalle, ließ der Instandhaltungsmechaniker aus Schwerin die Fäuste fliegen, daß die Punktrichter an ihren Wertungsmaschinen fast einen Zeigefingerkrampf bekamen. Denn auch der pfeilschnelle Kubaner ließ sich nicht lange zum Schlagabtausch bitten, und hatte am Schluß zum Entsetzen des Publikums, aber zu Recht, mit 57:50 gewonnen.

Die schon bei der Moskauer WM erprobte Punktmaschine aus Leipzig, die einen Treffer nur wertet, wenn er von drei der fünf Punktrichter eingetippt wird, war in Berlin in leicht verbesserter Version im Einsatz. Sie ist inzwischen auch in der Lage, Extrapunkte für geschicktes taktisches Verhalten und technisches Können zu registrieren. Im großen und ganzen bewährte sich die Konstruktion auch beim Challenge-Cup, nur die unvermeidliche Lambada-Vorführung in der Pause sorgte für Irritationen. Sie hatte den Punktrichtern offenbar hartnäckiges Fingerzucken verursacht, denn beim folgenden Kampf zwischen Candelario Duvergel (Kuba) und Andreas Otto (DDR) fütterten sie den hilflosen Computer mit der abenteuerlichen Trefferquote von 119:113.

Der einzige der sieben angetretenen Weltmeister, der nicht gewann, war ausgerechnet Andrej Kurnyawka, jener Boxer, der in Moskau den großen Angel Espinosa besiegt hatte. „Traue nicht den Danaern, auch wenn sie Geschenke bringen“, dachte sich dessen Gegner Sven Lange aus Schwerin, als er zur Begrüßung einen hübschen Wimpel überreicht bekam, blieb wachsam und setzte dem klobigen Mann aus Frunse mächtig zu. Pech für Lange, daß zu diesem Zeitpunkt der Pokal für den „besten deutschen Boxer“ schon vergeben war, ein häßlicher Trumm, der von nun an die Vitrine von Rico Kubat verunzieren wird.

Lustig wurde es noch einmal zum Schluß, als die Superschwergewichtler Roberto Balado aus Havanna und Larri Donald aus Ohio sowas wie ein richtiges „Ballyhoo“ veranstalteten, ansatzweise schon vor dem Gong aufeinander losgingen, sich Grimassen schnitten und mit hängenden Fäusten zum Angriff herausforderten. Donald, letztlich ohne Chance gegen den Weltmeister, brachte es sogar zu einem waschechten Ali-Shuffle, woraufhin ihm Balado frech die Zunge herausstreckte.

Für Diskussionsstoff am Rande sorgte die neue Zeiteinteilung. Was den Fußballern noch ungeliebte Zukunftsmusik ist, wird bei den Boxern schon eifrig erprobt. Die üblichen drei Dreiminutenrunden wurden in Berlin von fünf Runden zu je zwei Minuten abgelöst. Dadurch soll die häufig quälende Schlußminute einer Runde vermieden werden, in der die Kämpfer oft nur noch aufeinanderhängen, um nicht umzufallen, oder windmühlenartig in der Gegend herumfuhrwerken. Bei den hochqualifizierten Challenge-Cup -Teilnehmern wirkte sich der neue Rundenrhythmus jedoch deutlich negativ aus, ein Eindruck, den der Berliner (West) Sven Ottke, der gegen den Dänen Brian Lentz gewann, bestätigte: „Immer wenn ich richtig warm wurde, war die Runde vorbei.“