: Bismarck junior
■ Kohls Äußerungen zur polnischen Westgrenze lösen in Frankreich Fassungslosigkeit aus
Eine falsche Politik ist schlimm - eine schlechte Politik ist unverzeihlich. Nicht nur in Frankreich, aber gerade dort. In seinem Wahn, als neuer Reichsgründer in künftigen Geschichtsbüchern unselig aufzufallen, hat der große Aussitzer Herr K. das Kunststück fertiggebracht, eine durchaus sympathisierende Öffentlichkeit mit wenigen Sätzen zu vergraulen. Einen „Zehn-Punkte-Plan“ zu verkünden, ohne Mitterrand zu informieren, das wurde noch verziehen; und selbst, als der großdeutschen Mark gegenüber dem Ecu offensichtlich der währungspolitische Vorrang gegeben wurde, war dies zwar bedauerlich, aber - m'enfin! - noch zu verstehen. Doch der Eiertanz von Bismarck junior um die Anerkennung der polnischen Grenzen löst in Frankreich vor allem Fassungslosigkeit aus.
Der Besuch des französischen Außenministers Dumas in Berlin war eine nicht überhörbare Warnung. Und was geschah? Mit der Sensibilität eines Kaufhausdetektivs begann der Oggersheimer, von Polen Gegenleistungen dafür zu verlangen, daß es weiter in seinen Grenzen existieren darf. Schon wird der Bundeskanzler von den Karikaturisten wieder mit Pickelhaube und Kaiser-Wilhelm-Bart gezeichnet. Die Frage ist nicht mehr 'Wer hat Angst vor Deutschland?‘ oder - wie eine Radiodebatte am Wochenende resümierte: 'Wer hat Angst vor Helmut Kohl?‘ Frankreich hat traditionell große Sympathien für Polen und ein nicht weniger großes 'München -Trauma‘, nachdem es 1938 die Tschechoslowakei an Hitler auslieferte. Aber das ist es nicht allein: die französische Öffentlichkeit scheute sich, in der Erklärung der bundesdeutschen Innenpolitik auf alte Kategorien zurückgreifen zu müssen. Was von den Medien lange, zu lange, als - im besten Fall - verfassungsrechtliches oder - im schlechtesten Fall - wahltaktisches Zögern verstanden wurde, ist inzwischen kaum noch zu begreifen, ohne mit den Vokabeln zu hantieren, die unter dem dünnen Eis der deutsch -französischen Freundschaft noch überwintern: Revanchismus, Großmachtpolitik - Teutomanie. Kohl mag das nicht anfechten auf seinem Ritt gen Osten. In Frankreich erzielt er damit verheerende Wirkung.
Alexander Smoltczyk
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