: Ausländerbeauftragte auf Abruf
Die Ostberliner Pastorin Almuth Berger will vor allem bei Abschiebungen von ihrem Einspruchrecht Gebrauch machen ■ I N T E R V I E W
Vor wenigen Tagen ernannte DDR-Ministerpräsident Hans Modrow die Ostberliner Pastorin Almuth Berger zur ersten Ausländerbeauftragten der DDR. Ein kleiner Erfolg der Kommission für Ausländerfragen des Runden Tisches, die die Einrichtung eines solchen Postens gefordert hatte, doch möglicherweise wird die Ernennungsurkunde am 18. März schon wieder Makulatur sein. Denn wie es nach den Wahlen in Sachen Ausländerpolitik weitergeht, weiß niemand. Die taz sprach mit der Pastorin, Vertreterin von „Demokratie Jetzt“ in der Kommission sowie Mitbegründerin des Ostberliner Cabana -Zentrums, einer Begegnungsstätte für Ausländer und Deutsche.
taz: Ist Ihnen nach Gratulationen zumute?
Almuth Berger: Mir ist eher etwas merkwüdig zumute. Ich spüre, daß hohe Erwartungen da sind - und weiß nicht, ob ich die erfüllen kann. Hinzu kommt die Schwierigkeit, daß ich das Ganze nur noch für knapp vierzehn Tage mache. Das ist eine Berufung bis zur Wahl. Wir hoffen, daß diese Einrichtung auch unter einer neuen Regierung bestehen bleibt.
In der Bundesrepublik gibt es mittlerweile den Begriff des „Beauftragtenunwesens“. Da sind Drogenbeauftragte, Frauenbeauftragte und Ausländerbeauftragte, deren Kompetenzen ziemlich ärmlich sind. Sie können in der Regel nur appellieren. Sie rücken dagegen in den Rang einer Staatssekretärin. Welche Kompetenzen werden Sie haben, welche wünschen Sie sich?
Ich habe die Möglichkeit, jederzeit Informationen von allen staatlichen Stellen einzufordern, Ministerien, Betrieben etc. Ich habe ein Mitspracherecht beim Gesetzgebungsverfahren - also zum Beispiel bei der Frage, wie ein neues Ausländergesetz aussehen sollte. Das wichtigste in der aktuellen Situation ist mein Einspruchsrecht mit aufschiebender Wirkung bei allen Ausweisungsangelegenheiten und Abschiebungen. Zur Zeit ist das eine enorm wichtige Sache, weil viele AusländerInnen Angst haben, nach Hause geschickt zu werden. So etwas muß jetzt über meinen Schreibtisch gehen. Auf diese Weise kann man doch einiges erreichen.
Was werden Sie als erstes in Angriff nehmen?
Ein ganz konkreter erster Schritt wird sein, daß wir in allen größeren Städten „Telefone des Vertrauens“ für Ausländer einrichten. So eine Art Krisentelefon. Ganz gleich, worum es geht.
Zwischen allen Stühlen sitzen zur Zeit die AusländerInnen, die aufgrund von Regierungsabkommen für einige Jahre in der DDR arbeiten.
Für die haben diese Regierungsabkommen nunmehr Schutzfunktion. Denn die Verträge sind völkerrechtlich bindend. Die DDR kann sie nicht einseitig kündigen; ebensowenig kann ein Betrieb die Arbeiter kündigen.
Das klingt schon paradox. Man hat diese Abkommen vehement kritisiert, weil sie eine menschenunwürdige Behandlung zulassen...
Keine Frage, die Abkommen dürfen in dieser Weise nicht fortbestehen, aber im Augenblick haben sie Schutzfunktion. Sie verhindern, daß willkürlich Leute entlassen werden. Betriebe versuchen das bereits, weil sie in große ökonomische Zwänge geraten. Wenn ein Betriebsleiter weiß, er muß 30 oder 40 Leute entlassen, dann ist ziemlich klar, wen das zuerst trifft. Hinzu kommt die Stimmung bei den Arbeitskollegen und in der Bevölkerung. Es gibt Fälle, wo mit Streik gedroht wurde, falls die Ausländer nicht rausfliegen; Einwohner haben Unterschriften gegen Ausländer gesammelt.
Was soll mit den Menschen passieren, die aufgrund von Regierungsabkommen bereits in der DDR arbeiten, aber nicht mehr zurück wollen? Mehrere tausend Vietnamesen sind bereits nach West-Berlin geflüchtet...
Das Problem ist: Wenn wir jetzt, zum Beispiel durch ein Asylverfahren, diesen Menschen die Möglichkeit zum Bleiben eröffnen, dann werden Länder wie Vietnam und Mosambik ihre Leute sehr schnell abziehen. Deswegen muß man sich gründlich überlegen, wie wir einerseits den Menschen helfen, andererseits unseren Vorstellungen von Menschenwürde und Menschenrechten gerecht werden.
Unter den mittlerweile zahlreichen Ausländergruppen wird diskutiert, inwieweit die DDR ein Einwanderungsland werden soll. Andererseits liest man in DDR-Zeitungen, daß die Leipziger Innenstadt während der Montagsdemos „ausländerfrei“ ist, weil die Ausländer sich nicht mehr auf die Straße trauen. Da klafft doch ein Abgrund zwischen Realität und Utopie?
Ich halte trotz alledem eine Menge von Utopien und Visionen - das bringt schon mein Beruf mit sich. Und ich halte nichts von dem Argument, eine multikulturelle Gesellschaft schon deshalb auszuschließen, weil die Leute hier so ausländerfeindlich sind. Das ist natürlich ein Lernprozeß, der sehr lange dauert und von Öffentlichkeitsarbeit, Erziehung und Bildung begleitet sein muß. Solche Initiativen von verschiedenen Gruppen, die jetzt Begegnungszentren einrichten wollen, die ermutigen mich auch.
Aber diese Aktivitäten stehen unweigerlich im „Ruch“ des Internationalismus, ein Begriff, der nach vierzig Jahren SED völlig diskreditiert ist.
Das trifft leider auch auf den Begriff der Solidarität zu. Wir können nur versuchen, mit dem Begriff nicht auch die Inhalte zu verlieren. Internationalismus, multikulturelles Leben oder Solidarität sind Inhalte, auf die eine Gesellschaft nicht verzichten kann. Anders kann ich mir eine Zukunft hier nicht vorstellen.
Was Ihre Kompetenzen betrifft, so haben Sie etwas mehr aufzuweisen als Ihre Kollegin im Westen, Liselotte Funcke. Nach der Vereinigung - welche Ausländerbeauftragte bleibt im Amt?
Die Frage ist, ob dieser Posten nach der Wahl noch bestehen bleibt. Ich möchte mir erst einmal ein paar Vergleichsmöglichkeiten suchen - nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in Holland, in Belgien. Daraus kann man sich dann das beste Modell für einen zukünftigen gemeinsamen Staat übernehmen - oder ein ganz neues entwickeln.
Interview: Andrea Böhm
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