: 100.000 laufende Meter Akten...
■ ... heißt viele Millionen Einzelseiten - und Einzelschicksale / Vernichten - oder aufarbeiten?
Niemand weiß, was daraus werden soll: Die „personengebundenen Akten“, die in 40 Jahren staatssicherheitlicher Daumenschrauben zu einer Halde schwoll, die nicht nur in den Himmel gewachsen ist - sondern auch dorthin stinkt. Was tun mit 4.000 bis 5.000 laufenden Metern Akten je ehemalige Stasi-Bezirksverwaltung und mindestens 50.000 bis 60.000 weiteren laufenden Metern in den zentralen Diensteinheiten. Und wenn man bedenkt, daß ein „laufender Meter“ etwa 25 Kilogramm Papier entspricht und daß das personengebundene Schriftgut nur etwa zwei Drittel des gesamten Stasi-Schriftguts ausmacht, kriegt man vielleicht mal eine vage Ahnung vom Umfang der Beobachtungen, denen ein DDR-Bürger ausgesetzt war. Viele plädieren jetzt dafür, die Akten einfach zu vernichten. Ganz abgesehen davon, daß das schon rein technisch eine gigantische Aufgabe wäre, würde dies unter anderem auch die Rehabilitierung Betroffener ausschließen und die Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung von Mitarbeitern des ehemaligen MfS. Die Arbeitsgruppe „Sicherheit“ hat dem Runden Tisch am 23. Februar einen Verfahrensvorschlag vorgelegt, der einen Stufenplan zum Umgang mit diesen Akten vorsieht. Nämlich in der ersten Stufe die sofortige physische Vernichtung aller magnetischen Datenträger und in der zweiten die vollständige Feststellung und nachfolgende Vernichtung der Mehrfachausfertigung der personengebundenen Akten auf allen Leitungsebenen, um dann in der dritten Stufe die Voraussetzung zu schaffen für eine sichere Verwahrung aller Akten in einmaliger Ausfertigung unter Kontrolle der nach dem 18. März zu bildenden Regierung. Und eine sehr viel weitergehende Frage wird sich nach dem immanenten Zusammenschluß der beiden Staaten stellen - im Hinblick auf ausländische und BRD-Geheimdienste.
Viel im Gespräch ist derzeit die Variante, jedem Betroffenen seine eigene Akte auszuhändigen. Das wiederum könnte unter Umständen zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen, wenn die bis dato anonymen Stasimitarbeiter identifiziert und in der Bevölkerung „gerichtet“ würden. Desgleichen würfe es Probleme auf, wenn über Leute, die von sich behaupten, schon immer dagegen gewesen zu sein, rein gar nichts in diesen Akten zu finden wäre, denn das hieße ja, daß sie sich prächtig ins System eingefügt hatten.
Heidi Harmat
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