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Bürger David kämpft gegen den Goliath Stasi

■ Gespräch mit dem Leiter der Arbeitsgruppe „Sicherheit“ des Runden Tisches / Die Mammutaufgabe, den Stasiapparat aufzulösen, zeigt den engagierten Bürgergruppen die Grenzen ihrer Möglichkeiten / Vieles ist bis heute undurchsichtig - und wird es vielleicht für immer bleiben

Die Schlange vor dem Gebäude der ehemaligen Staatssicherheit in der Gotlindestraße in Ost-Berlin formiert sich jeden Tag aufs neue. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis sich auch der letzte der offiziell über 85.000 Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes den neuen Verordnungen zufolge hat entlassen lassen.

Was passiert mit all den Leuten, deren Anzahl inoffiziell noch weitaus höher liegen dürfte? Darauf eine schlüssige Antwort zu finden, ist nur eines von vielen Problemen, mit denen sich Peter Neumann, Leiter der Operativgruppe der Arbeitsgruppe „Sicherheit“ des Runden Tisches derzeit konfrontiert sieht. Wohin mit den Stasileuten?

Die Möglichkeit, alle ehemaligen Stasi-Leute in die Produktion zu schicken, sei keine, sagt Neumann. Schon unter normalen Umständen könne man kaum 500 bis 700 neue Arbeitsplätze täglich schaffen. Und in diesem Falle sei es ganz unmöglich, denn die Betriebe hätten selber Probleme, und so etwas sei wirtschaftlich nicht vertretbar. Außerdem seien diese Leute natürlich verhaßt in der Bevölkerung, und viele wollen auf keiner Ebene mit denen etwas zu tun haben.

Die sozialen Probleme verschärften sich in Familien, in denen beide Partner plötzlich arbeitslos würden, und bei älteren ehemaligen Stasi-Mitarbeitern. Neumann sagt, daß man nun ja keinesfalls Rache üben wolle, sondern objektiv den Wust von Problemen lösen.

Einige dieser Geächteten können jedoch von „Organen“ übernommen werden, die durch die Umstrukturierung der Gesellschaft an Personalmangel leiden, wie das MfIA (Ministerium für Innere Angelegenheiten), der Zoll und die Grenztruppen. Um aber das Vertrauen der Bevölkerung nicht wieder einzubüßen, können nur solche Leute dort übernommen werden, die bestimmten Kriterien genügen. Diese Kriterien sind von der Arbeitsgruppe „Sicherheit“ aufgestellt worden, um zu gewährleisten, daß die ehemalige Staatssicherheit auch tatsächlich aufgelöst wird - und nicht einfach unter einem anderen Namen weiteroperiert. Offenbar werden viele dieser Richtlinien jedoch ignoriert, sagt Peter Neumann. Es entstehen Grauzonen

Die Operativgruppe stellt immer wieder fest, daß alte Stasileute in neuen Stellungen auftauchen, in denen sie nichts zu suchen hätten. Um dies sofort zu unterbinden, hat am 22. Februar der Koordinator zur Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit (operativer Name für die ehemalige Staatssicherheit), Werner Fischer, einen Brief an Minister Ahrendt, DDR-Minister für Innere Angelegenheiten, geschrieben, worin diese Praktiken begeklagt und die Einhaltung der bestimmten Übernahmekriterien gefordert werden. Voraussetzung für die Übernahme der Leute ist beispielsweise das Vorhandensein eindeutiger moralischer Integrität und die Notwendigkeit für einen Spezialisteneinsatz für bestimmte Aufgaben. Der Übernahmekandidat darf auch keine leitenden Funktionen ausüben und nicht Teil einer geschlossen übernommenen Struktur sein.

Die Mißachtung dieser Punkte - nicht nur seitens des Innenministeriums - macht Peter Neumann und seiner Truppe ständig zu schaffen. So stellte sich kürzlich etwa heraus, daß der VEB Wissenschaftlicher Gerätebau ganze Betriebsteile übernommen hat, die unter dem alten Regime Spionage- und Nachrichtentechnik hergestellt hatten. Es handelt sich dabei um insgesamt rund 1.500 Beschäftigte, die jetzt vom „Gerätebau“ zentral verwaltet werden. Die Operativgruppe „Sicherheit“ vermutet unlautere Praktiken und eine Verschleierung der Tatsache, daß es sich dabei um eine Fortsetzung der ehemals staatssicherheitlichen Entwicklungs und Forschungstätigkeiten unter einem anderen Mäntelchen handelt. Denn noch am 21.2., einen Monat nach der Übernahme, konnte der Gerätebau-Betriebsdirektor keine klare Auskunft darüber geben, wieviele Objekte denn nun wirklich übernommen worden sind - und was genau mit den leitenden Angestellten passiert ist. Das legt den Schluß nahe, daß die alten Stasileute dieser Objekte noch immer genau das tun, was sie auch schon vorher taten. Solcherart globale Rechtsträgerwechsel erscheinen den Operativleuten als hochgradig suspekt. Peter Neumann plädiert dafür, alle Übernahmeobjekte in kleine, überschaubare Einheiten zu zerlegen, die örtlich auch von Bürgerkomitees kontrolliert und nicht wieder zentral verwaltet werden. Amateure als Kontrolleure

Überhaupt spielen die Bürgerkomitees eine wichtige unterstützende Rolle für die Arbeitsgruppe Sicherheit, und sollten nach Meinung von Peter Neumann auch nach den Wahlen auf keinen Fall aufgelöst werden, denn die regionale Kontrolle der Unzahl solcher Objekte muß auf jeden Fall sichergestellt werden. Die Operativgruppe wird diese Aufgabe nicht übernehmen, denn sie verstehen sich nur als Überbrückungsoperative. Alle Mitarbeiter rekrutieren sich aus verschiedenen Berliner Betrieben. Die meisten wollen nach Ablauf ihres Mandats auch wieder dahin zurück und keine Profibürokraten werden.

Alle sind sie Amateure, inklusive Peter Neumann, der Fernmeldemechaniker im WBK ist, und mit seiner Truppe nun nach Kräften versucht, der maßlos vielen Probleme Herr zu werden, ohne in die übliche Bürokratenroutine zu verfallen. Er sagt aber auch, daß alles ein bißchen professioneller werden muß, um wirklich rationell und vor allem effektiv arbeiten zu können. Zu viel wird einfach aus dem Ärmel geschüttelt, und es sind auch nicht genügend Leute da. Eigentlich sollten alle Oppositionsparteien und Organisationen des Runden Tisches Vertreter dabei haben. Bislang kämpfen aber nur das Neue Forum und die Initiative für Frieden und Menschenrechte an vorderster Front. Speziell Werner Fischer, bei dem alle Hinweise von allen Oppositionsgruppen zusammenlaufen und der alle Querschüsse an die AG Sicherheit zum sofortigen Handeln weitergibt.

Peter Neumann meint, daß es jetzt an der Zeit wäre, solche Leute mit den Problemen der Arbeitsgruppe Sicherheit zu betrauen, die das später hauptamtlich machen wollen. Alle Organisationen sollten überprüfen, ob es Leute gibt, die aktiv mitarbeiten wollen und nicht nur von ferne meckern ob des zögerlichen Fortschrittes. Offenbar hat sich schon herumgesprochen, daß die Probleme, mit denen sich die AG „Sicherheit“ herumschlagen muß, zu denen gehören, an denen sich selbst Profis die Zähne ausbeißen könnten.

Und das ist erst der Anfang der Probleme in den verschiedensten Konstellationen. Peter Neumann und seine Truppe jedenfalls bemühen sich redlich und mit Erfolg, den Filz durchsichtig zu machen. Sie schaffen damit die Voraussetzung für die demnächst demokratisch gewählte Regierung, die Säuberung systematisch zu Ende führen zu können.

Heidi Harmat

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