: Zinsen in Argentinien bei 22 Prozent - täglich
Peronisten regieren allein weiter / Schon wieder ein neues Wirtschaftsprogramm ■ Aus Buenos Aires Gaby Weber
Ihr neues Wirtschaftsprogramm muß die peronistische Regierung alleine in die Tat umzusetzen versuchen - am Montag platzten Pläne, mit der oppositionellen „Radikalen Bürgerunion“ eine Koalitionsregierung einzugehen. Unmittelbar zuvor, in der Nacht zum Montag, hatte der argentinische Wirtschaftsminister Gonzalez die vierte wirtschaftspolitische Kurskorrektur innerhalb von drei Monaten bekanntgegeben: Entlassung von 230.000 Angestellten (darunter 136 Staatssekretäre), Schließung der staatlichen Bausparkasse, Steuer- und Gebührenerhöhungen. 2,6 Milliarden US-Dollar will der Staat dadurch sparen, hatte Gonzalez angekündigt.
Überrascht haben die ökonomischen Ankündigungen niemanden, allenfalls die Tatsache, daß die peronistische Regierung immer noch an ihrem neoliberalen Modell festhält, das vollkommen außer Kontrolle geraten ist. Letzte Woche wurden in Buenos Aires 22 Prozent Zinsen gezahlt - pro Tag! Kredite seien damit unbezahlbar, der Sturz der Industrie in eine bodenlose Rezession unaufhaltbar geworden, schlug der Unternehmerverband Alarm.
Der Binnenmarkt ist praktisch zusammengebrochen, fast 70 Prozent der Kapazitäten brach. Die Gewinner der Krise sind die Soja- und Weizenexporteure. Die meisten ArgentinierInnen aber haben auf den letzten Schock kaum reagiert, hilflos wird mit den Schultern gezuckt. Sie fühlen sich nicht betroffen, weil sie ohnehin keine Steuern zahlen und keinen Job zu verlieren haben.
Die Glaubwürdigkeit der Menem-Regierung ist in den acht Monaten ihres Wurstelns auf den Nullpunkt gesunken. Kabinettssitzungen werden anberaumt, finden aber nicht statt, Dekrete werden einen Tag nach ihrer Bekanntgabe wieder annulliert, ein Dementi jagt das andere. Im Oktober hatte Menem seine Ehre darauf verwettet, daß sich der Dollar bis März bei 650 Australes halten werde, heute liegt er bei 6.000. Er gelobte, die Gebühren für Strom, Gas und Telefon nicht zu erhöhen, brach aber dreimal sein Versprechen. Im Oktober hatte er die Hyperinflation für „erledigt“ erklärt, noch vor Weihnachten gäbe es Deflation - aber im Februar war die monatliche Inflation wieder dreistellig. Im Dezember drohte er, alle Streiks gegen sein Modell mit Entlassungen zu beantworten, aber den streikenden Eisenbahnern passierte nichts. Silvester hatte er 1,8 Milliarden Dollar fest angelegter Ersparnisse konfisziert und in Schatzbriefe (Bonex) verwandelt, um „die Spekulation endgültig zu zerschlagen„; vor zehn Tagen kündigte die Regierung an, Festanlagen wieder zu genehmigen. Im Januar war die Dollarisierung beschlossen, aber bereits eine Woche später das Auszeichnen von Ware in Dollars verboten worden. Im Februar durfte dann plötzlich alles in Dollars angegeben werden, letzte Woche wurde es wieder verboten.
Laut Meinungsumfragen haben nur noch knapp 20 Prozent der ArgentinierInnen ein positives Bild von der Regierung; im letzten Juli waren es noch 80. 15 Prozent haben heute ihre Hoffnungen auf Mohamed Ali Seineldin gesetzt, den Führer der Carapintadas, des faschistischen Teils der Armee. Am Sonntag sprach der Oberst zum ersten Mal in einer öffentlichen Veranstaltung in der Gewerkschaftszentrale in Mendoza. Er rief zur Bildung einer „Front aus Zivilisten und Militärs“ auf, die gegen die „Herrschaft der beiden imperialistischen Staaten, USA und UdSSR“ kämpfen solle.
Die „Carapintadas“ sind die politischen Gewinner des Auflösungsprozesses der Demokratie. Nicht die Parteien seien die Säulen der argentinischen Tradition, so Seineldin vor den Gewerkschaftern, sondern die „Kirche, die Streitkräfte, die Gewerkschaften und die kleinen und mittelständischen Unternehmen“. Das Militär müsse „gegen die Subversion“, nie jedoch gegen das Volk eingesetzt werden. Wenige Tage zuvor hatte die Regierung in Hinblick auf die zu erwartenden Plünderungen ein Dekret erlassen, wonach die Militärs bei „inneren Unruhen“ und „zum Schutz von Leben, Freiheit, Eigentum und Sicherheit“ eingesetzt werden dürfen.
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