„Keinen Pfennig von Gaddafi“

Schwere Vorwürfe gegen englischen Minengewerkschaftsboß: Privathaus mit Geld aus Libyen?  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

Der ehemalige Geschäftsführer der britischen Bergarbeitergewerkschaft NUM, Roger Windsor, hat schwere Anschuldigungen gegen NUM-Boß Arthur Scargill erhoben. In einem Interview mit dem 'Daily Mirror‘ und dem Fernsehsender 'ITV‘ behauptete Windsor, Scargill und Generalsekretär Peter Heathfield hätten während des großen Bergarbeiterstreiks 1984/85 die Hypotheken für ihre Privathäuser mit NUM-Geldern bezahlt. Das Geld sei über einen Mittelsmann von der libyschen Regierung gespendet worden. Insgesamt habe der libysche Staatschef Gaddafi 163.000 Pfund (ca. 450.000 Mark) für die streikenden Bergarbeiter gestiftet. Darüber hinaus hätten sowjetische Gewerkschaften eine Million Pfund für die NUM auf ein polnisches Konto eingezahlt, zu dem laut Windsor nur Scargill und Heathfield Zugang hatten. Windsor sagte, er habe Gewissensbisse, weil sein Überbrückungskredit in Höhe von 29.500 Pfund vom NUM bezahlt worden sei. Scargill habe ihm das Geld 1985 mit der Bemerkung überreicht, er solle es als Geschenk aus Libyen ansehen. Die NUM wies am Montag in einer Presseerklärung Windsors Behauptungen als „bösartige Verleumdungen“ zurück. Die Gewerkschaft habe keinen Pfennig aus Libyen oder der Sowjetunion erhalten. Während des Bergarbeiterstreiks sei das Gewerkschaftsvermögen ins Ausland transferiert worden, um es vor einer Beschlagnahmung zu retten, heißt es in der Presseerklärung. Scargill sagte, weder er noch Heathfield besäßen Häuser. Es sei seit Jahrzehnten üblich, daß die NUM den Gewerkschaftsführern Häuser zur Benutzung überlasse. Die Renovierungskosten in Höhe von 6.000 Pfund habe er an die NUM zurückgezahlt. Das sei durch unabhängige Wirtschaftsprüfer bestätigt worden, sagte Scargill.

Windsors Behauptung, Scargill habe Gaddafi um eine Pistole und eine Schrotflinte „zu seinem persönlichen Schutz“ gebeten, bezeichnete der NUM-Präsident als „skurril“. Scargill muß zu den Vorwürfen am Freitag bei einer Vorstandssitzung der Bergarbeitergewerkschaft Stellung nehmen. Windsors Behauptungen haben in der NUM große Unruhe ausgelöst. George Bolton vom schottischen NUM-Zweig bezeichnete den Fall als „extrem ernst“. Er sagte: „Falls das so weitergeht, muß eine Untersuchung der NUM-Finanzen eingeleitet werden, um die Fakten zu klären.

Die Beziehungen zwischen Scargill und Windsor hatten sich bereits im letzten Jahr drastisch verschlechtert, nachdem Windsor gegen den Willen des NUM-Vorstands die gewerkschaftseigene Firma „Oakedge“ gegründet hatte, die das NUM-Haus in Sheffield mit Büromöbeln ausstattete. Auf Rat eines Rechtsanwalts ließ Scargill damals die Bücher der Firma von der Polizei überprüfen. Windsor kündigte im vergangenen August und leitet seitdem ein Hotel in Südfrankreich. Der 'Daily Mirror‘ ist offenbar im Besitz der Exklusivrechte für Windsors Anschuldigungen. Anderen Zeitungen sind Interviews bisher verweigert worden. Als die Boulevardpresse ihn in einem Hotel in Wakefield entdeckte, flüchtete Windsor in einem Ruderboot über den Hotelsee.