: Rechtsradikale auf Montagsdemos
■ Die Zahl der DemonstrantInnen hat kräftig abgenommen / 'adn‘ meldet Hetzjagden auf DDR-Linke in Leipzig Altkanzler Willy Brandt vor 45.000 in Dresden: DDR-Bürger sollen Erfahrungen einbringen
Berlin (ap/dpa) - Die traditionelle Montagsdemonstration in Leipzig stand wieder ganz im Zeichen des Wahlkampfes für die Volkskammerwahlen am 18. März: Vor über 10.000 Menschen ergriffen regionale Parteienvertreter das Wort. Schwerpunkt der Forderungen waren die rasche Vereinigung Deutschlands und die Einführung von D-Mark und sozialer Marktwirtschaft in der DDR. Auf Transparenten hieß es: „Deutschland, einig Vaterland“ und „Zerschlagt den Kommunismus“. Die Ankündigung einer CDU-Sprecherin, daß Bundeskanzler Helmut Kohl am kommenden Montag in Leipzig auftreten wird, wurde von der Menschenmenge mit Jubel aufgenommen. Zuvor hatte der Runde Tisch in Ost-Berlin zum Verzicht auf Wahlkampfauftritte während der Leipziger Messe aufgefordert.
Auch in anderen DDR-Städten gab es am Montag Demonstrationen für die schnelle deutsche Einheit und die soziale Absicherung der DDR-Bevölkerung. In Leipzig machten rechtsradikale Skinheads nach Angaben der DDR -Nachrichtenagentur 'adn‘ während der Demonstration Jagd auf eine Gruppe junger Menschen, die DDR-Fahnen mit Hammer und Zirkel hochhielten. Nachdem die Skins die Flaggenträger vertrieben hatten, riefen sie „Rotfront verrecke“. Beobachter registrierten, daß auch wieder zahlreiche Anhänger der NPD und der rechtsradikalen „Republikaner“ aus der Bundesrepublik in die Messestadt gereist waren.
Die Zahl der Demonstranten in Leipzig hatte sich an den letzten Montagen immer weiter verringert. Im Herbst waren montags mit Sprechchören wie „Wir sind das Volk“, „Freie Wahlen“ und „Neues Forum zulassen“ bis zu 300.000 Menschen auf die Straße gegangen. Ausfall in Karl-Marx-Stadt: Als dort nach einer halben Stunde kein Redner ans Mikrofon gegangen war, löste sich die Demonstration auf.
Der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt hat vor rund 45.000 Menschen auf dem Dresdner Altmarkt eine Wirtschafts- und Währungsunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR noch 1990 gefordert. Brandt sagte nach einer 'adn'-Meldung auf der Wahlkundgebung am Montag weiter, die Diskussion um die Ostgrenze betrübe ihn, da es doch nicht um eine Wiedervereinigung zu einem Reich, sondern um eine Neuvereinigung ginge. Brandt warnte vor einer Radikalisierung des Wahlkampfes in der DDR. Der SPD -Politiker erklärte, daß es bei der Einheit Deutschlands nicht um einen Anschluß eines kleinen Teils gehe, sondern um einen Zusammenschluß, in den die Bürger der DDR ihre Erfahrungen und Interessen einbringen müßten. Beide Volksteile sollten über eine gemeinsame Verfassung abstimmen.
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