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Tote leben länger: Eine neue 'Andere‘

■ Morgen erscheint Ost-Berlins alternative Wochenzeitung wieder / Neue Redaktionsgruppe

Berlin (taz) - Die Ostberliner Alternativzeitung 'Die Andere‘ wird weiterleben, morgen erscheint planmäßig die Nummer sieben. Die Redaktion der Wochenzeitung hatte am vergangenen Donnerstag das Handtuch geworfen und dem Herausgeber Klaus Wolfram (Neues Forum) sowie dem Beirat, in dem VertreterInnen der Bürgerbewegungen vom Unabhängigen Frauenverband bis zur Initiative Frieden und Menschenrechte sitzen, Einmischung vorgeworfen. Bei der Gelegenheit räumten sie auch gleich die Räume der Zeitung leer, vom gespendeten Kassettenrecorder bis zum Küchenbesteck.

Doch Herausgeber und Beirat resignierten nicht. Sie starteten gleich am nächsten Tag einen Rundruf, um mit einer neuen Redaktion „wenigstens eine Notausgabe“ zu drucken. Klaus Wolfram und Bärbel Bohley riefen, und viele kamen. Bisherige Autoren wurden zu Redakteuren, Sekretärinnen meldeten sich als freiwillige Setzerinnen, Westfreunde verstärkten die Gruppe. „Ein rundes Dutzend waren wir das ganze Wochenende über“, berichtet Peter Grimm, der früher für das Untergrundblatt 'Grenzfall‘ gearbeitet hat.

Einer der wenigen Profis unter ihnen ist Rupert Schröter, der auch prompt von einem Kollegen als „heimlicher Chefredakteur“ vorgestellt wird, die Ehre allerdings dankend zurückweist: „Nein, eine Struktur muß sich erst entwickeln, wichtig ist doch, daß die Entscheidungen demokratisch getroffen werden.“

Wider Erwarten gab es tatsächlich die Wahl zwischen Artikeln. Statt einer Notausgabe von acht Seiten sind gestern die üblichen 16 Seiten in die Druckerei gegangen, „und wir hätten noch Material für gut zwei Seiten mehr gehabt“, erzählen die Neu-Redakteure stolz. In der Titelgeschichte geht's um die Nationale Volksarmee („wir bringen da auch noch Sachen, die der 'Spiegel‘ nicht hat“), andere Themen sind der 80.Geburtstag von Robert Havemann und die ersten Versuche, in der DDR den Paragraphen 218 wiedereinzuführen. Die Autorin? „Martina... ja, wie heißt die denn mit Nachnamen?“ Die neue 'Andere'-Redaktion ist ja noch ein zusammengewürfelter Haufen, die meisten haben sich erst an diesem Wochenende kennengelernt.

Aufbruchstimmung und gute Laune. Wenn man jetzt noch vernünftiges Arbeitsmaterial hätte! An Schreibmaschinen fehlt es, und auch die Hängeregistratur ist, zusammen mit dem gesamten Fotoarchiv, von der alten Redaktion mit unbekanntem Ziel abtransportiert worden.

Michael Rediske

Wer für das Büro der neuen 'Anderen‘ spenden möchte, rufe in Ost-Berlin unter der Nummer 0037/2/2299367 an.

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