: Nur geknebeltes Streikrecht
■ FDGB betont nach wie vor seine Verantwortung für die Volkswirtschaft / Nach dem neuen Gesetz kann die Regierung aus Gründen des „Gemeinwohls“ einen Streik „aussetzen“ / Nur Aussperrungsverbot kann für BRD-Gewerkschaften Vorbild sein
Als einen großen Erfolg wertete die FDGB-Vorsitzende Helga Mausch vor der Volkskammer das noch in der letzten Sitzung vor der Wahl verabschiedete Gewerkschaftsgesetz. „Damit entscheiden Sie über die Voraussetzungen zukünftiger sozialer Sicherheit.“ Immerhin gab es 53 Gegenstimmen und sechs Enthaltungen in der Volkskammer.
Die Gewerkschaften haben allerdings, wie ein genauerer Blick auf das Gesetzeswerk zeigt, für ihre Interessenvertretung einige Grenzen akzeptiert. „Die Regierung kann einen Streik aus Gründen des Gemeinwohls aussetzen“ steht auf Antrag der CDU in dem Gesetz. Aber wer bestimmt, was Gemeinwohl ist? Eine derartige Generalklausel ist es in westlichen Demokratien nur als Notstandsrecht üblich, sie unterstellt ein vertrauensvolles Verhältnis von Gewerkschaften und Staat und schreibt für den Konfliktfall eine Unterordnung der Gewerkschaft vor.
Auch die Klausel, daß erst nach einem Schlichtungsverfahren - Regeln dafür gibt es bisher nicht - Arbeiter in den Streik treten dürfen, hat die CDU eingebracht. Es schwächt die Möglichkeiten der gewerkschaftlichen Interessenvertretung gegenüber zukünftigen Besitzern der Betriebe. Damit, so erklärte Siegfried Sahr vom FDGB-Vorstand, betonen die Gewerkschaften ihre Verantwortung für die Volkswirtschaft. Streiks sollen nur das „letzte Mittel“ sein. Ein Schlichtungsgesetz wird unter Mitarbeit der Gewerkschaften gerade ausgearbeitet.
Was haben die Gewerkschaften dafür an Mitsprache-Rechten bekommen? Das Streikrecht ist in den modernen kapitalistischen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts eine Selbstverständlichkeit. Dies nach 40 Jahren in die DDR -Verfassung gebracht zu haben kann kaum als Faustpfand für künftige Verhandlungen für ein gemeinsames deutsches Gewerkschaftsgesetz gewertet werden. Auf die Forderung, bei Volkskammer-Beschlüssen ein Veto-Recht zu beanspruchen, hatte der FDGB aus grundsätzlichen Erwägungen schon im Vorfeld verzichtet - Interessengruppen sollen nicht über der Entscheidung der Abgeordneten stehen. Aber auch auf direkte Mitbestimmungsrechte der Gewerkschaften in die betriebliche Leitung hat der FDGB verzichtet, die in der ursprünglichen Entwurf noch vorgesehen war. Die Erklärung Modrows zur Deutschen Einheit hatte diese alten FDGB-Vorstellungen überholt. Welche Mitbestimmungsrechte den Betriebsräten als Arbeiter-Vertretungen eingeräumt werden, muß erst in einem Betriebsrätegesetz festgelegt werden.
Was also als Erfolg des FDGB bleibt, ist das Aussperrungsverbot. Da auch westdeutsche Sozialdemokraten und Gewerkschaften ein Aussperrungsverbot fordern, hat dieser Punkt sogar eine gewisse Chance, bei deutsch -deutschen Einheits-Verhandlungen eine wichtige Verbesserung für die derzeitigen gewerkschaftlichen Rechte in der Bundesrepublik zu bringen.
db/kw
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