: SPD: Einheit durch Volksabstimmung
■ Sozialdemokraten aber auch für Anschluß nach Artikel 23 offen / Vogel und Lafontaine zu Deutschlandpolitik: Sofortmaßnahmen für soziale Absicherung gefordert / Osteuropa soll wirtschaftlich nicht abgehängt werden
Bonn (ap/taz) - Über die Vereinigung beider deutscher Staaten soll nach dem Willen der SPD auf jeden Fall in einer Volksabstimmung entschieden werden. Der SPD -Bundesvorsitzende Hans-Jochen Vogel sagte nach einer Präsidiumssitzung seiner Partei am Mittwoch in Bonn, auch wenn die DDR oder neugebildete DDR-Länder ihren Beitritt zur Bundesrepublik nach Artikel 23 des Grundgesetzes beantragten, solle letztendlich „die Einheit vom deutschen Volk begründet werden“.
Die Sozialdemokraten ziehen allerdings den Weg über eine vom Volk beschlossene neue Verfassung nach Artikel 146 des Grundgesetzes vor. Eine gemeinsame Verfassung solle jedoch vom Grundgesetz ausgehen und es in den Punkten ändern oder ergänzen, in denen das durch die Zugehörigkeit der DDR notwendig werde „oder die besonderen Gegebenheiten der DDR das geboten erscheinen lassen“.
Entscheidend sei aber vor einer Vereinigung, unabhängig vom eingeschlagenen Weg, daß zuvor die Einzelheiten sowohl zwischen beiden Staaten als auch die Einbeziehung in eine europäische Friedensordnung geklärt würden, sagte Vogel. In vom Parteipräsidium beschlossenen „Schritten zur deutschen Einheit“ wird unter anderem vorgeschlagen, die bestehenden militärischen Bündnisse durch ein europäisches Sicherheitssystem zu ersetzen, an dem die USA, die Sowjetunion und Kanada beteiligt sein sollten. Anstelle einer Friedenskonferenz solle dieses System mit „friedensvertraglicher Qualität“ die abschließende Regelung eines Friedensvertrages ersetzen. Und wirtschaftlich sollen ärmere Nachbarn nicht abgehängt werden: „Der zügigen Einbindung der Wirtschaft der DDR müssen alle mittel- und osteuropäischen Länder folgen können.“
Als Sofortmaßnahmen schlug die SPD Hilfen für die Versorgung und soziale Sicherung der Bevölkerung „für Fälle dringenden Bedarfs“ vor. Es gehe darum, die Beweggründe zur Übersiedelung in die Bundesrepublik abzubauen und die „soziale Absicherung nicht aus dem Auge zu verlieren“, sagte der voraussichtliche SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine.
Ebenso wie die SPD in der DDR sprachen sich die Sozialdemokraten für die Bildung eines „Rates zur deutschen Einigung“ aus, dem Vertreter von Parlamenten und Ländern aus beiden deutschen Staaten angehören sollten. Der Rat solle den Einigungsprozeß „mit gestaltenden Vorschlägen begleiten“ und Entwürfe für die notwendigen Verfassungsbestimmungen ausarbeiten.
Auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte sich (in der 'Financial Times‘) gegen Bundeskanzler Kohl gewandt und betrachtet Artikel 23 Grundgesetz nicht als einzig gangbaren Weg zur deutschen Einheit.
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