„Die BRD zwingen, die Sozialkosten zu bezahlen“

■ Im Ostberliner „Haus der Demokratie“ diskutierten kritische Experten über ein Vorhaben, das gar nicht klappen kann: die Währungsunion

Berlin (taz) - „Als kritische Wissenschaftler haben wir erst einmal geschluckt“, gestand der Westberliner Politökonom Elmar Altvater. Auch die Zunft, die bis in den Februar dieses Jahres hinein noch die Konvertierbarkeit der DDR-Mark diskutiert hatte, war überrascht worden, als Kanzler Kohl die SPD-Idee aufnahm, möglichst schnell eine Währungsunion einzuführen. Welche Konsequenzen der schlagartige Übergang hat, versuchte die „Inititaive kritischer Ökonomen in Ost und West“ am Mittwoch im Ostberliner „Haus der Demokratie“ zusammenzufassen. Thema der Podiumsdiskussion: „Wenn die D -Mark kommt“.

Zwar warnte Altvater davor, „gleich in einen Elendsdiskurs zu verfallen“. Ganz unklar sei aber derzeit, wie die außerordentlich hohen Aufwendungen finanziert werden sollen, die zur Angleichung des niedrigen Produktivitätsniveaus der DDR und zur Sicherung des Sozialsystems nötig werden. Altvater lakonisch: „Die Rechnung geht nicht auf“ - wenn nicht die Steuern erhöht und die Steuerreform in der BRD rückgängig gemacht werden. Doch auch dann werde es noch deutliche Unterschiede zwischen Ost und West geben, die ohne neue Mobilitätsschranken weitere Wanderungsbewegungen in den Westen auslösen werden. Welche Schranken da noch denkbar werden, deutete Altvater mit „neuen Formen der Meldepflicht“ nur an.

„Im Prinzip hat Altvater recht“, stimmte Rudolf Zwiener vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) der ökonomischen Kurzanalyse zu - „Wirtschaftswissenschaftler können nur einen Währungsverbund machen, wegen der internationalen Konkurrenz, in die die DDR geriete, aber keine Währungsunion“. Die Gegengründe seien politisch: Die DDR-Bevölkerung wollen mit der West-Währung ihre eigenen Bürokratien zerschlagen, die Institutionen kippen und dafür auch, zumindest kurzfristig, ein wirtschaftliches Chaos in Kauf nehmen. Weil die Währungsunion aber auch im Westen gewünscht wird, müsse eine Sozialunion analog zur BRD aufgebaut werden: „Die BRD muß gezwungen werden, die hohen Arbeitslosenkosten zu bezahlen. Das müssen sie unterschreiben.“ Einen Tip an die neue DDR-Regierung hatte Zwiener auch: möglichst schnell und möglichst billig möglichst viel Volkseigentum an die Bevölkerung zu verkaufen, weil sonst nach der Währungsunion die reichen Westler unmittelbar mit den Aufkäufen beginnen werden.

Von der Arbeitslosigkeit - er geht von einer Zahl zwischen einer halben und drei Millionen DDR-BürgerInnen aus - würden vor allem berufstätige Frauen getroffen. In der BRD werde der „soziale Sprengstoff“ sich vor allem in einer „echten Wohnungsnot“ zeigen, noch verschärft durch die Zinserhöhungen auf den Kapitalmärkten, die zu einer Begrenzung des (kreditfinanzierten) Wohnungsneubaus führen werden. „Im Zweifel“ - darüber waren sich fast alle Experten des Abends einig - „wird es ein höheres Wirtschaftswachstum geben“. Das, so Zwiener, werde sich aber vor allem (durch die angeheizte Nachfrage) in höheren Preisen, (durch die notwendigen Transferzahlungen in die DDR) in höheren Steuern und (durch die neue Arbeitslosigkeit und den damit verbundenen Lohndruck) in stagnierenden Realeinkommen niederschlagen - alles bei deutlich höheren Unternehmergewinnen.

Rudolf Mondelaers, Ökonom an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin, entwarf Szenarien für die künftige politische und wirtschaftliche Situation in Mitteleuropa. Danach wird durch die Währungsunion einerseits die formelle D-Mark-Zone ausgeweitet, andererseits aber die D-Mark als dominante Währung der EG substantiell geschwächt. Aus dem Widerspruch zwischen einer destabilisierten Leitwährung und dem realen politischen Machtzuwachs für die BRD könne resultieren, einen Teil der Kosten auf die anderen EG-Währungen abzuwälzen. Eine noch weitergehende Unterbewertung der D -Mark, um die Exporte in die EG weiter anzukurbeln, könne aber nur Gegenmaßnahmen der anderen Länder zur Folge haben. Damit werde die europäische Integration stagnieren. Die Konsequenz, so Mondelaers: „Die sozialen Konflikte in Süd und Osteuropa werden durch eine destabilisierte EG nicht gelöst, aber zugleich wächst der Einfluß Mitteleuropas. Das ist eine Konstellation wie vor dem Zweiten Weltkrieg.“

So weit sei es noch nicht, meinte demgegenüber der Westberliner Ökonom Klaus Voy. Die überwiegende Mehrheit in beiden Staaten sei gegen einen Anschluß. Der sei allerdings weder für den Staatshaushalt noch für die Gesellschaft ein finanzielles Problem - schließlich verfüge die DDR über hohe Eigentumsbestände. Die könnten zwar nur billig verkauft werden, „aber einige Jahre ginge es wohl“. Problematisch sei vielmehr, wie die völlig ausgelastete bundesdeutsche Industrie überhaupt schnell in die DDR liefern könne. „Vom einzelwirtschaftlichen Standpunkt aus mag das gehen, makroökonomisch aber nicht.“

Da konnte Pavel Strohner, Wirtschaftsiwssneschaftler und Aktivist beim Neuen Forum, auch nur Sanierungssubventionen in großem Maßstab durch die Staatshaushalte fordern, damit die strukturelle Arbeitslosigkeit stark gedämpft werde. Ein Stufenprogramm, das mit der Stärkung von Mittelstand und Handwerk beginne, forderte der (Ost-) Grüne Dietrich Rostowski, räumte aber ein, daß es mit der Umstrukturierung der Kombinate „schwieriger“ werde. Ähnlich hilflos plädierte Reinfried Mund von der Vereinigten Linken für eine „streifenweise Einführung der D-Mark“, bei der in Schritten erst Importgüter und Benzin, dann Lebensmittel und Dienstleistungen und bis zum Jahresende der Rest der Wirtschaft auf D-Mark-Basis ge- und verkauft werden sollen. Einen Watschenmann hatte die Veranstaltung auch: Lothar Pawliczak von der (Ost-) SPD mochte die allgemeine „miesepetrige Einschätzung der Währungsunion nicht teilen. Auch die Auslastung der BRD-Industrie gebe Zeit; andererseits biete die DDR einen guten Zugang vor allem zum UdSSR-Markt. Zudem würden „Sanierungskonzepte konkret vorbereitet“. Und er verwies ausgerechnet auf eine SPD -Konferenz, „auf der die bedeutendsten europäischen Unternehmensberater anwesend sein werden“. Wenig bemerkt, setzte aber auch der Volkswirt Peter Sellin von der Westberliner Alternativen Liste auf positive Folgen der Währungsunion: „Der Investitionsboom führt schnell aus dem Zusammenbruch heraus.“

An der Einführung der Währungsunion, dem Ende vom Ende der DDR, mochte in der Runde kaum noch einer der Redner zweifeln. Welche Handlungsspielräume für inner- wie außerparlamentarische Gruppierungen oder die Gewerkschaften noch bleiben, stand ebensowenig zur Diskussion wie ein Szenario, das die gesellschaftlichen Folgen der Mobilitätsschranken hätte beschreiben können.

Willi Brüggen von der AL sorgte denn auch für zynische Erheiterung in düsterer Stimmung, als er sagte: „Wer sich jetzt schon hinstellt und sagt, die Währungsunion kommt, würgt alles ab, was es an demokratischem Aufbruch hier gegeben hat.“

diba