: Bewegliche Ziele
Die Menschenrechte im politischen Koordinatenkreuz ■ K O M M E N T A R E
Nach der Kuba-Abstimmung in der UNO -Menschenrechtskommission, bei der er diese Woche - im Unterschied zu seinen Kollegen aus Sofia und Budapest - zur knapp überstimmten Mehrheit gehörte, beklagte der sowjetische Delegationsleiter heftig die „Politisierung“ des Themas. Exakt derselbe Vorwurf kam in den letzten Jahren immer wieder von US-Seite, wenn Chile, El Salvador und Guatemala verurteilt wurden, oder sich gar jemand erdreistete, die Behandlung der Indianer in den Vereinigten Staaten oder die dort immer noch weitverbreitete Todesstrafe anzusprechen.
Die Zwecklüge, Menschenrechtsdiskussionen auf internationaler Ebene hätten nichts mit Politik zu tun, ist auf der morgen zu Ende gehenden Tagung des Genfer UNO -Gremiums vielfach widerlegt worden. Und deutlicher, als in den Jahren zuvor, spiegelte die Konferenz die veränderte Weltlage und sich verschiebende Interessen wider.
Die vom exilkubanischen US-Botschafter Valladers im dritten aufeinanderfolgenden Jahr mit erheblichem Aufwand und wie eine persönliche Vendetta gegen Castro betriebene Kuba -Resolution ließ keine sachliche Erörterung der auch von amnesty international monierten Menschenrechtsverletzungen auf der Karibikinsel zu. Das gleichzeitige Desinteresse an einer Verurteilung von Todesschwadronen, Massenexekutionen und Folter in den für die USA aus politischen, ökonomischen oder geostrategischen Gründen wichtigen Staaten El Salvador, Irak und China straft Washingtons Behauptung vom „weltweit gleichen Maßstab“ Lügen. Anders als vor zwei Jahren, als Castro einer Abstimmung in der Kommission noch mit einer Einladung an eine UNO-Delegation zuvorkam, gab es diesmal aus Havanna nur noch Beschimpfungen des UNO-Gremiums. Washingtons Genfer Diplomaten werteten dies genüßlich als Bestätigung ihrer schon vorab aufgestellten These vom „letzten Bollwerk des Stalinismus“, das es nun schleunigst zu beseitigen gelte. Indiz für die zunehmende Isolation Castros ist jedoch auch, daß sich mit den Kommissionsmitgliedern Ungarn und Bulgarien sowie den beiden Sponsoren der Kuba-Resolution, CSSR und Polen, gleich vier osteuropäische Staaten zum erstenmal bei einem bislang immer nach klassischen Ost-West-Konfrontationsmustern behandelten Thema von der UdSSR absetzten.
Wie stark der bisherige Ost-West-Gegensatz bereits von Nord -Süd-Widersprüchen abgelöst wird, verdeutlicht die Abstimmung über China. Mit ihrer Forderung nach einer Reform der Kommission sowie nach gleichberechtigter Berücksichtigung von sozialen und ökonomischen Rechten neben den klassischen Demokratie- und Freiheitsrechten blitzten die Länder des Südens bei den westlichen Staaten völlig ab und wurden von den Osteuropäern nur lauwarm unterstützt. Angesichts dieser West-Ost-Annäherung gewinnt China wieder an Bedeutung für die Drittweltländer, auch als künftig einziger Verbündeter unter den fünf ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates. Das erklärt, warum diese Staaten eine Verurteilung Chinas wegen der Niederschlagung der Studentenproteste durch Gegenstimmen und Enthaltungen verhinderten. Ihre offizielle Begründung („innere Unruhen, vor denen kein Land geschützt ist“) liefert eine Erklärung dafür, daß zu dieser - von VertreterInnen unabhängiger Menschenrechtsorganisationen so bezeichneten „Skandalmehrheit“ auch die UdSSR und Jugoslawien gehören. Beide Staaten müssen in nächster Zeit mit „inneren Unruhen“ rechnen.
Andreas Zumach
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