: Der Dolch des Mörders unter der Juristenrobe
Mit einer Ausstellung zur Justiz im Nationalsozialismus versucht das Bundesjustizministerium mit vierzigjähriger Verspätung die Verbrechen der Richterschaft aufzuarbeiten / Kontinuitäten vom Kaiserreich bis heute / Faktenfülle verschleiert Parallelen zur Gegenwart ■ Von Bernd Siegler
Nürnberg (taz) - „Die Amnestie für Justizverbrechen ist eingetreten, eine Amnestie auf krummen Wegen, ein vier Jahrzehnte andauernder Prozeß des Verdrängens und Vergessens.“ - Selbstkritische Worte aus dem Hause des Bundesjustizministers. Um diesen Prozeß des Verdrängens zu beenden, hat das Bundesjustizministerium die Ausstellung Im Namen des Deutschen Volkes . Justiz und Nationalsozialismus erstellen lassen, die nach Berlin, Köln, Karlsruhe und Trier jetzt im Rahmen der „Woche der Brüderlichkeit“ bis zum 6. April im Nürnberger Rathaus gezeigt wird. Es ist schon ungewöhnlich, wenn der oberste Jurist der Republik, der Bundesjustizminister, seinen Berufskollegen, die - wie die Ausstellung beweist - durch Korpsgeist und Anpassungsfähigkeit bestechen, die Leviten liest. Mit der Ausstellung will Minister Engelhard „einen justizpolitischen Markstein“ setzen und die bundesdeutsche Justiz auffordern, sich endlich an der Diskussion über das Unrecht im Nationalsozialismus zu beteiligen. Die Flucht vor der Vergangenheit, so der Minister, sei „die Fehlleistung der bundesdeutschen Justiz“ schlechthin.
Die Ausstellung will Kontinuitäten darstellen. Sie zeigt, daß die Geschichte der Justiz der Weimarer Republik nicht im November 1918 beginnt, sondern zurückreicht in die Bismarck -Ära. Und sie will begreiflich machen, daß es für die bundesdeutsche Rechtsprechung im Mai 1945 keine Stunde Null gegeben hat, sondern eine ideologische und personelle Fortsetzung aus Weimarer Republik und NS-Zeit.
Im Namen des Deutschen Volkes beginnt mit der Abdankung des Kaisers im November 1918 und einem Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie. „Die Gefahr einer rätedemokratischen Entwicklung ist ausgeräumt - keine rote, sondern eine schwarz-rot-goldene Republik ist im Entstehen.“ Doch auch mit der schwarz-rot-goldenen Republik hat der monarchistisch-antiparlamentarisch geprägte Juristenstand seine Schwierigkeiten. Das wissen auch die vorher von den Sozialistengesetzen gebeutelten Sozialdemokraten. Doch sie setzen auf Kontinuität - im Gegensatz zu Rosa Luxemburg, die ein Revirement in Justiz und Verwaltung fordert. „Es bleiben fast alle“, resümieren die AusstellungsmacherInnen. Von 10.000 RichterInnen finden nur 300 den Weg in den Republikanischen Richterbund, der das heute immer noch hochgehaltene Bild des „unpolitischen Richters“ als Fiktion decouvrieren will.
Die Gerichtspraxis in der Weimarer Republik zeigt unübersehbar, wie die deutsche Justiz auf dem rechten Auge blind ist. In der Zeit von 1919 bis 1922 werden von Linken 22 Morde begangen. Nur vier bleiben ungesühnt, 10 Urteile lauten auf Erschießung. Von den von seiten der Rechten begangenen 354 Morden bleiben dagegen 326 ungestraft, kein einziges Mal wird ein Todesurteil verhängt. Den Ausspruch „Wir brauchen keine Judenrepublik“ hält zum Beispiel das Landgericht Gleiwitz nicht für verfolgungswürdig, er stelle „lediglich einen Ausfluß des Antisemitismus dar“. Daß heute die Parole „Juden raus!“ durch eine höchstrichterliche Entscheidung des BGH nicht als Aufforderung zu einer Straftat gewertet wird und damit straffrei bleibt, erwähnt die Ausstellung nicht. Derartige Parallelen zur heutigen Bundesrepublik finden in der streng chronologisch geordneten Ausstellung mit ihrer erschlagenden Daten- und Faktenfülle keinen Platz.
Detailliert zeichnet die Ausstellung den Weg von der Machtergreifung über die Etablierung des NS-Regimes bis hin zum Holocaust und die jeweiligen gesetzlichen Grundlagen nach. Das Strafrecht wird im Dritten Reich zum politischen Kampfinstrument, die Selbstgleichschaltung der Justiz ist schnell vollzogen. „Recht ist, was dem deutschen Volke nutzt“, lautete die Definition von Dr. Hans Frank, 1933 bayerischer Justizminister und ab 1939 Chef der Zivilverwaltung in Polen. Im Privatrecht braucht es nicht einmal Gesetzesänderungen. „Die Volksgemeinschaft wird als neue Rechtsidee herausgestellt, Rasse- und Volkstum werden als Rechtsquellen herangezogen. Auf dieser Basis lassen sich bestehende Rechtsbegriffe neu interpretieren und umdeuten.“
Bis zum Zusammenbruch des NS-Regimes arbeitet die Justiz pflichtgemäß. Doch auch 1945 war keine Stunde Null. Den einzigen Versuch, die Justiz des Dritten Reiches als Ganzes, als System unter strafrechtlichen Gesichtspunkten aufzuarbeiten, stellten die Nürnberger Juristenprozesse dar. Das Urteil in diesem Prozeß kommt 1947 zu dem Schluß: „Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juristen verborgen.“ Der Prozeß bleibt eine Ausnahme. Bis heute wurde kein einziger NS-Richter oder Staatsanwalt rechtmäßig verurteilt.
Die Gesetzgebung der jungen Bundesrepublik erweist sich dabei als Wegbereiter für Kontinuität. Im Mai 1951 verabschiedet der Bundestag einstimmig ein Ausführungsgesetz zum Artikel 131 des Grundgesetzes. Darin wird das Recht auf Wiederverwendung von Beamten aus der Nazizeit im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik geregelt. „Das G 131 bildet den Schlußstein im Wiederaufbau der bundesdeutschen Justiz. Die personelle Kontinuität, die die Entnazifizierung hat verhindern wollen, findet hier ihre rechtliche Absicherung“, heißt es dazu im Ausstellungstext. So konnte zum Beispiel mit Wolfgang Fränkel 1962 ein Mann Generalbundesanwalt werden, der vorher die Todesstrafe für einen Handtaschenräuber befürwortet hatte.
Während etwa beim Bundesentschädigungsgesetz (BEG) für NS -Verfolgte strenge Fristen für die Antragstellung gesetzt wurden, fehlen diese Fristen beim Paragraphen 131 - um „Rechtsirrtümer zu vermeiden“, wie es damals hieß. Derart wichtige Vergleiche kommen in der Ausstellung nicht vor, obwohl gerade die Entschädigungspraxis und der Umgang mit den Opfern ein entscheidendes Kriterium für die Aufarbeitung der Vergangenheit wären. Ganze Verfolgtengruppen wie Kommunisten oder nichtjüdische Zwangsarbeiter gingen bei den Entschädigungszahlungen leer aus. Entwürdigendes Gerangel um Pensionen, KZ-Haftzeiten und die Beurteilung von Verfolgungsschäden kennzeichnen die Praxis, an der nicht nur die ärztlichen Gutachter, sondern auch die Gerichte maßgeblichen Anteil hatten.
„Die heutige politische Justiz judiziert aus dem gleichen gebrochenen Rückgrat heraus, aus dem das Sondergerichtswesen zu erklären ist“, urteilte Max Güde (Generalbundesanwalt von 1956 bis 1962) über die politische Justiz in Entschädigungsverfahren in der Bundesrepublik. Ob Bundesjustizminister Engelhard dieser Aussage wohl heute noch Gültigkeit zumessen würde? Er würde abstreiten, daß es überhaupt eine politische Justiz in dieser unserer Republik gibt.
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