: „Sachlich und richtig informieren“
Prof.Dr.Ernst Achilles, Katastrophenschutzexperte und ehemaliger Branddirektor von Frankfurt, beklagt die Geheimniskrämerei der Behörden um den Abtransport ■ I N T E R V I E W
taz: Rund 4.000 Tonnen Giftgas sollen per LKW und Bahn zur Schiffsverladung nach Nordenham transportiert werden. Sie haben bereits vor Monaten vor den Gefahren dieser Transporte gewarnt.
Ernst Achilles: Aus den bislang leider nur spärlich vorliegenden Informationen geht hervor, daß der Transport auf Landstraßen, auf der Schiene und auf dem Wasserweg erfolgen soll. Daß beim Transport auf der Straße normale Armeelastwagen zum Einsatz kommen sollen, halte ich für ausgemachten Unsinn. Hier müßten Spezialfahrzeuge bereitgestellt werden, deren Container etwa mit CO2-Gas gefüllt sind, damit aus den Transportcontainern nichts entweichen kann. Auf der anderen Seite muß entsprechend geschultes Personal an den Einsatzstellen sein. Die Leitstellen der Feuerwehren müssen informiert werden, damit Schnelleinsatzkräfte bereitstehen. Darüber hinaus muß der gesamte Transport von Schnelleinsatzkräften, die auf dem Chemiesektor gut ausgebildet sind, begleitet werden.
Sind nicht die Umladestellen die eigentlichen neuralgischen Punkte?
Da kann natürlich einiges passieren, durch mechanische Beschädigung, durch Abwurf oder durch falsches Stapeln. Das ist eine extrem schwierige Sache. Die Waffen wurden lange gelagert. Es müßte eingehend untersucht werden, ob die Stahlmäntel der Granaten von innen heraus beschädigt wurden. Auch der Transport selbst ist mit einem hohen Risiko belastet: Transportunfälle durch mechanische Beschädigungen, durch unsachgemäßes Verladen des Materials, durch Verkehrsunfälle, Staus oder etwa auftretende Naturereignisse. Wir alle erinnern uns noch an die Orkane der letzten Wochen.
Die größte Strecke beim Abtransport wird ja mit der Bahn bewältigt werden, die als ein sehr sicheres Verkehrsmittel gilt.
So sicher ist die Bahn nicht. Man wird dafür sorgen müssen, daß die Züge mit einer entsprechend geschulten Transportbegleitung gesichert werden - eine Forderung, die ich für den Transport gefährlicher Güter generell erhebe. In einem Spezialwaggon müßten die entsprechenden Bergungs- und Löschmittel mitgeführt werden. Vielleicht sollte man auch einen Sicherheitszug mitfahren lassen. Immerhin verfügt die Bahn ja inzwischen über einen Tunnelrettungszug. Auch ein Laborwaggon müßte mitgeführt werden, damit während der Fahrt entsprechende Messungen, etwa der Windstärke, durchgeführt werden können. Das Bundesverteidigungsministerium hat zwar erklärt, daß alle Sicherheitsmaßnahmen in Erwägung gezogen würden, aber bislang ist die Öffentlichkeit nicht mit Details konfrontiert worden.
Notwendig wäre es jetzt, Fachleute aus der Praxis mit der Ausarbeitung der Szenarien zu betrauen. Ich habe allerdings den Eindruck, daß man hier in kleinem Kreis Entscheidungen getroffen hat. Man wollte wohl vermeiden, daß die Bevölkerung beunruhigt wird. Aber aus amerikanischen Erfahrungen heraus wissen wir, daß genau das Gegenteil gemacht werden müßte. Nur wenn die Bevölkerung sachlich und richtig informiert wird, kann eine Vertrauensbasis hergestellt werden.
Wenn man wirklich ein optimales Sicherheitsszenario für den Abtransport entwickeln will - kann dann das Giftgas überhaupt bis zum Herbst aus der Pfalz nach Übersee geschafft werden, wie es die Bundesregierung angekündigt hat?
Ich kann das nicht genau sagen, da ich nicht eingeschaltet wurde. Ich weiß nicht, ob überhaupt schon Szenarien ausgearbeitet, ob Fachleute konsultiert wurden. Wenn allerdings jetzt erst damit begonnen wird, ist es meines Erachtens dafür zu spät. Die Amerikaner haben Jahre gebraucht. Die haben von Wissenschaftlern und Praktikern Studien ausarbeiten lassen. Erst nach langen Diskussionen und nach Anhörung von Fachleuten aus allen Diszipinen, haben sie sich für eine Lösung entschieden, die ihnen optimal erschien - in Übereinstimmung und in Absprache mit der Bevölkerung.
Interview: Klaus-Peter Klingelschmitt
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