: Schnur: Bin kein Stasi-Mann
Rostocker Untersuchungskommission hat angeblich belastende Papiere gegen den Vorsitzenden des Demokratischen Aufbruchs / Wirbel auch um DSU-Chef Ebeling ■ Aus Berlin Brigitte Fehrle
Führende Politiker des konservativen Wahlbündnisses der DDR „Allianz für Deutschland“ geraten in die öffentliche Kontroverse. Gestern verteidigte sich der Vorsitzende des Demokratischen Aufbruchs, Wolfgang Schnur, mit einer „Ehrenerklärung“ gegen den Vorwurf, er sei Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen. Er habe „nie für die Stasi gearbeitet“, ließ Schnur gestern durch seinen Parteifreund Eppelmann verbreiten, habe auch nie dafür Orden oder Auszeichnungen bekommen.
Der Parteivorsitzende reagierte damit auf Erkenntnisse der unabhänigen Untersuchungskommission Rostock. Die war nach Einsicht in die Akten zu dem Schluß gekommen, Schnur habe „regelmäßig und erfolgreich“ mit der Stasi zusammengearbeitet und dafür auch vom Stasi-Chef Mielke Orden und Auszeichnungen bekommen, den letzten noch am 7.Oktober vergangenen Jahres zur Feier des 40.Jahrestags der Republik. Dies habe die Untersuchungskommission dem Demokratischen Aufbruch mitgeteilt, berichtete gestern Eppelmann. Nicht die Untersuchungskommission, sondern der Demokratische Aufbruch selbst ging mit den Erkenntnissen an die Öffentlichkeit. Eppelmann: „Manchmal ist Angriff die beste Verteidigung.“ Ihm sei bekannt, daß mehrere Journalisten in dem Fall recherchierten. Dem Vorstand seiner Partei gab Schnur am Mittwoch abend die gestern veröffentlichte „Ehrenerklärung“ ab, die mit „überwiegender Mehrheit“ angenommen wurde. Dann legte er sich mit „Kreislaufversagen“ ins Bett.
Für die Partei sind die Informationen der Rostocker Kommission reine Wahlkampfpropaganda. Es handle sich um eine „Schlammschlacht“ und „Gipfelpunkt einer Verleumdungskampagne“, ließ Schur gestern den Journalisten übermitteln. Er erstattete Anzeige gegen Unbekannt.
Der Rostocker Anwalt hatte in den letzten Jahren als Rechtsanwalt unter anderem Bärbel Bohley und Ulrike Poppe verteidigt, auch die Verhafteten der Luxemburg-Liebknecht -Demonstration 1988. Damals war ihm von seiten der Oppositionellen vorgeworfen worden, die Gefangenen nicht über die Solidaritätsbewegung im Lande informiert und sie damit indirekt zur Ausreise Fortsetzung auf Seite 2
bewegt zu haben. Schnur hat als Verteidiger von Oppositionellen in jedem Fall mit der Staatssicherheit Kontakt gehabt. Inwieweit sich die Erkenntnisse der Rostocker Untersuchungskommission darauf beziehen, läßt sich, da die Kommission derzeit keine Auskünfte gibt, nicht feststellen.
Wirbel um einen Allianz-Politiker gab es gestern aber auch in Leipzig. Der Generalsekretär der Deutschen Sozialen Union, DSU, Pfarrer Wilhelm Ebeling, mußte sich vor seinen
Kirchenkollegen für seine Darstellung rechtfertigen, er sei es gewesen, der die friedliche Revolution in Gang gesetzt habe. Nun ist inzwischen über die Grenzen Leipzigs hinaus bekannt, daß die Türen der Thomasgemeinde, an der Ebeling sei Anfang der 70er Jahre Pfarrer ist, bis zum 9.Oktober für das traditionelle Friedensgebet am Montag geschlossen waren. Ebeling hatte mehrfach öffentlich behauptet, dies sei eine „Absprache“ zwischen den Leipziger Pfarrern. Man habe sich geeinigt, das Gebet „punktuell“ zu machen, damit die öffentliche Wirkung größer sei. In einem Interview des ZDF vom Mittwoch abend brach sein Kollege Führer, Pfarrer der Nikolaikirche, das Schweigen: „Eine solche Absprache hat es nie gegeben.“ Ebeling hätte seine Kirche, hätte er gewollt, für die oppositionellen Gruppen öffnen können.
Erbost hat die Leipziger Pfarrer auch Ebelings selbstgefällige Behauptung, es sei sein Verdienst, daß am Abend des 9.Oktober alle Leipziger Kirchen für zufluchtsuchende Bürger geöffnet gewesen seien. Denn das Gegenteil ist richtig. Ebeling war der einzige, der dagegen war, am Abend der Demonstration die Kirchen zu öffenen. Auf einer Konferenz der Leipziger Pfarrer am Donnerstag vor dem 9.Oktober kündigte Ebeling an, seine Kirchentür geschlossen zu halten. Dies berichteten mehrere Leipziger Pfarrer unabhängig voneinander der taz. Erst auf Druck des Bischofs habe er nachgegeben.
Ebeling, der „Kaiser Wilhelm“, wie er in Kirchenkreisen wegen seines Vornamens und seines Auftretens genannt wird, hat gestern eine geplante Reise nach West-Berlin um einen Tag verschoben.
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