: Verwickelte Kulturinitiative
■ Unabhängiger Regionalausschuß Kultur in Gründung / Ein fortgesetzter Versuch
Laurentia Bienenwachs
Oh, wie wir sie lieben: die Gründungen von Initiativen, Aktionen und Projekten. Fieberhaft erleben wir die Niederkunft einer Idee in Form einer schriftlichen Einladung. Am Soundsovielten treffen sich alle Engagierten dieser Welt und verfassen einen Gründungsaufruf, eine umrißhafte Konzeption, suchen und finden einen Konsens mit Konsequenzen.
Am ersten Freitag, (dem letzten im Februar), an dem sich ein Regionalausschuß Kultur von Unten gründen wollte, platzte der Ballon. Übrig blieben die Ideen von der Bildung einer Öffentlichkeit all derjenigen, die nicht den „kulturellen Bereich“, verwalten, sondern die ihn in direkt gestalten. Das sind Künstlerverbände und -gewerkschaften. Und die, die sich um kulturelle Alltäglichkeiten wie Jugendzentren, Kommunikationsorte wechselnder Minderheiten und Mehrheiten, Sozialarbeit bemühen.
Außerdem wollten sich KulturarbeiterInnen von weiterher und aus Berlin (beiden Teilen) verbünden, um dem schon existierenden Regionalausschuß Kultur „von Oben“ sanft, kooperativ und deutlich die Augen über tatsächliche Nöte der kulturellen Szenen zu öffnen. Den regierenden Vertretungen sollten fachkompetente Forderungen unterbreitet werden.
Der konzentrierte Ort des Geschehens ist seit zwei Freitagen die Köthener Straße 44 in Berlin West. Da die Administratoren im seit dem 22. 12. 1989 existierenden Regionalausschuß (mit Regierungsvertretern der DDR, der BRD, mit Magistrats- und Senatskollegen und Mitarbeitern der Räte der Bezirke Frankfurt/O. und Potsdam) ihre Arbeit in aller Stille aufgenommen haben, haben sich die ausgeschlossenen Kulturleute, Kunstgewerkschaftler, Kunstverbreiter und Sozialarbeiter zu einem komplikationsreichen Gründungsgeschehen zusammengefunden.
Keiner leugnet, daß ein Regionalausschuß Kultur „von Oben“, existent seit dem 6. 2. 1990, wichtiges zu behandeln hätte. Dem gewollten und ungewollten Einigungsprozeß beider deutscher Völker fehlt öffentliche Diskussion und eine entsprechende Realität kultureller Annäherung. Sei es der Zugang zu Kulturveranstaltungen für DDR-Bürger im Westen oder das grundlegende beiderseitige Verständnis für gewachsene kulturelle Identitäten.
Zumindest der Zugang der westlichen Opern- und Theaterbesucher im Osten ist gesichert, mitgetragen von den Betriebsinteressen der östlichen Kunsttempel, während der Osten die nächste Gewöhnungsphase kultureller Aushungerung erlebt. Am Horizont künden Videotheken und Beate-Uhse-Shops von sozialtherapeutsichen Gemeinsamkeiten. Mehr kulturelle Annäherung ist zur Zeit nicht zu haben.
Während sich die RegionalausschüsslerInnen „von Oben“ vor allem über Mauern und Tische zwischen der ost- und westdeutschen Hochkultur ziehen (wollen), droht in der DDR die Schließung von Jugendzentren und anderen Kommunikationsorten, die nicht auf Eigenfinanzierung vollständig umstellbar sind. Die Ost- und Westkünstler unterlaufen sich gegenseitig mit ihren Gelegenheitsjobs. Interessenvertretungen wie die IG Druck und Papier stehen vor einem aussichtslos gewordenen Kampf um eine 35-Stunden -Woche, wenn Druckereien in der DDR für DM alle Aufträge in 43-Stunden-Wochen annehmen. DDR-Publikationen hingegen sind wegen mangelnder Druckkapazitäten mehr als in Gefahr ...
Die Forderung nach durchschaubarer Arbeit des Regionalausschusses Kultur, die Bildung einer Gegenöffentlichkeit, welche kulturpolitische Probleme einer zusammenwachsenden Metropole bündelt und gestaltet, drängen zur Gründung eines Unabhängigen Regionalausschusses Kultur von Unten.
Doch die Gründung selbst gerät zum Erlebnis verschiedener politischer und kultureller Mentalität in Ost und West. Der erste Freitag (23. 2.):
Die breite Interessenlage des zu gründenden Regionalausschusses schien in Modellen der Zusammensetzung und der paritätischen Ost-West-Vertretung nicht aufzugehen. Unabhängige Westberliner KulturarbeiterInnen bekamen Platzangst bei der geplanten personellen Zusammensetzung des Ausschusses (2/3 Gewerkschaften und Verbände), der doch ein Forum für einen kulturpolitischen Dialog werden sollte, und verließen wütend den ersten Gründungsort.
Die ebenso strukturneugierigen wie -naiven DDR -VertreterInnen bestaunten den Eklat. Hinter den ehemaligen Mauern klappt auch nicht alles und löst sich freiwillig im Aktionismus auf. Mußte durch den vorgeführten Streit die Gründung andauern? Offensichtlich.
Einwöchige Geduldsprobe: Jetzt ist der zu gründende Regionalausschuß von Unten offen für alle Sachfragen. Ein Kontaktbüro hat sich gebildet bei der IG Medien in der Dudenstraße 10 in Berlin 61 und bei der Gewerkschaft Kunst, Kultur und Medien in 1020 Berlin, Wallstraße 61-65. Der entstandene Themenkatalog des Regionalausschusses von Unten:
-Eine Bestandsaufnahme der kulturellen Infrastruktur der Region ist nötig. Eine Art Kulturlandkarte über Probenraum und atlierbedarf, Kulturzentren, Ämter usw., einschließlich der Probleme der Grundstückspreisentwicklung (beispielksweise am Kreuzberg)
-Gemeinsame Projekte (Brauerei Prenzlauer Berg, Babylon -Filmtheater u. ä.) sind in die öffentliche Diskussion zu bringen. Die Formen der Selbstverwaltung kultureller Arbeit (Umgang mit Fonds, Stützungen) sind in Ost und West gänzlich unterschiedlich, deshalb schnell gegenseitig klarzumachen und zu nutzen.
-Die soziale Lage der Künstler und Kulturarbeiter, die Umwelt- und Stadtgestaltung und die Forschung über Kultur.
-Erfahrungen in der künstlerischen und kulturellen Aus- und Weiterbildung, Förderprogramme für Künstler und soziale Gruppen sind auszutauschen.
-Jugend- und Kinderarbeit, Mitsprache in der Medienordnung in und um Berlin.
In allen Stichpunkten sind zugleich die bohrenden Fragen der Kulturfinanzierung enthalten.
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