: Den Blick nach Osten
■ Die Quadriga vom Brandenburger Tor wird im Museum für Verkehr und Technik öffentlich restauriert / Im Sommer 1991 soll sie wieder in ihrem alten Glanz erstrahlen
Am 6. August 1991, zu ihrem 200.Geburtstag, soll sie wieder „in altem Glanze erstrahlen“. Nike, die Siegesgöttin in der Quadriga auf dem Brandenburger Tor, errichtet nach einem Modell von Schadow, im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört und 1958 nach der Rekonstruktion von Gipsabgüssen erneuert, muß nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht restauriert werden. Die Kosten für die Restaurierung des tonnenschweren Denkmals und seines Unterbaus, so der Erste Stellvertretende Bürgermeister von Ost-Berlin, Roland Tränkner gestern im Roten Rathaus, belaufen sich auf 1,5 Millionen Mark der DDR. Von Ende März bis Oktober diesen Jahres müssen die Berliner und die Mauertouristen aus aller Welt auf dieses „emotional hochbeladene Objekt“ verzichten. In Kooperation mit dem Westberliner Museum für Verkehr und Technik wird es in dessen Lokomotivschuppen - und damit der Verlust nicht allzu schmerzlich wird, vor den Augen der Öffentlichkeit (jeder, der will, darf zugucken) restauriert.
In der Silvesternacht, als Betrunkene über eine Videowand des DDR-Fernsehens das Tor und die Quadriga erklommen hatten, ist es dort, so Tränkner, zu „vandalistischen Ausschreitungen“ gekommen. Am Stützgerüst des Streitwagens sind schwere Schäden entstanden - begünstigt auch durch jahrelange Korrosion -, Teile der Pferde wurden beschädigt, der Lorbeerkranz von Nikes Haupt gestohlen. Auch die Kupferabdeckung des Tores wurde stark beschädigt und muß erneuert werden. Bei der Restaurierung, so der Ostberliner Chefdenkmalpfleger Weiß, soll der ursprüngliche kunsthistorische Zustand wiederhergestellt werden. Und der besteht trotz hartnäckiger Legendenbildung keineswegs darin, die Quadriga „wieder“ nach Westen in Richtung Tiergarten blicken zu lassen. Wie der Koordinator für die Restaurierung, der amerikanische Kunsthistoriker Cullen, gestern auch noch einmal betonte, hat sie immer in Richtung Stadt, also nach Osten geblickt - auch wenn's den Westberlinern das Herz bricht.
Vielmehr besteht die ursprüngliche Version darin, die Göttin wieder mit den Siegesattributen Adler und Eisernem Kreuz zu versehen, die ihr der Baumeister Schinkel nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon noch verliehen hatte. Die DDR hatte bei der Neuaufstellung der Quadriga im Jahr 1958 auf diese Attribute als Ausdruck preußischen Militarismus verzichtet. Dafür soll in Zukunft auf die Fahnenstange nebst Flagge verzichtet werden.
Verantwortlich für die Sanierung zeichnet der VEB Ingenieurhochbau Berlin und die Abteilung Denkmalpflege des Ostberliner Magistrats. Da sie aber viel Geld kostet, und die Spenden, zu denen der Magistrat aufgerufen hatte, bei weitem nicht ausreichen, mußten Sponsoren im In- und Ausland gefunden werden. Bis vorgestern seien 33 Angebote eingetroffen, so der Stellvertretende Oberbürgermeister, 15 davon außerhalb der DDR, auch fünf Westberliner Firmen seien darunter. Unter anderem wird ein bekannter westdeutscher Elektrokonzern für sorgen, daß „das Wahrzeichen in neuem Licht erstrahlt“, und eine Beleuchtungsanlage errichten. Der Vorschlag eines Ostberliners zur Beilegung des alten Richtungsstreits wird allerdings keine Anwendung finden: Man solle doch die Quadriga auf eine Drehscheibe stellen, so daß beide Teile der Stadt sie von vorne betrachten können.
Kordula Doerfler
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