: „Die Wiedervereinzelung in den intellektuellen Grenzen von Kohl“
■ Ein Interview mit dem DDR-Kabarettisten Peter Ensikat - „Der scharfe Kanal“, Samstag 21.45 Uhr, DDR 1
taz: Sie machen jetzt im Fernsehen eine Sendung, „Der scharfe Kanal“, eine Anlehnung an Herrn von Schnitzler...
Peter Ensikat: Ja, das ist so entstanden. Ich mußte innerhalb von zwei Tagen einen Titel für die Sendung finden, und da bot es sich einfach an, daß man diesen Kanal parodiert. Die Idee für die Sendung war schon vor dem Titel. Ich hatte das Angebot der Münchener Lach- und Schießgesellschaft, bei Schimpf vor zwölf mitzumachen, was ich angenommen hatte. Denn es war immer mein Traum, mit Hildebrandt etwas zusammen zu machen. Da bekam ich zwei Tage später das Angebot vom DDR-Fernsehen, ich könnte nun hier im Fernsehen Kabarett machen. Und da fand ich nun einfach, ich bin moralisch verpflichtet dazu. Das war Silvester. Es war von Anfang an vorgesehen, sechs solcher Sendungen im Jahr zu machen.
Kann man Sie mit, sagen wir, dem „Scheibenwischer“ vergleichen?
In der Kritik der 'Berliner Zeitung‘ stand drin - das fand ich sehr angemessen -: man sieht, daß der Ensikat seinen Hildebrandt studiert hat, so wie man gesehen hat, daß der Hildebrandt seinen Werner Finck studiert hatte. - Das finde ich keine Schande, ein Vorbild zu haben.
Sagen Sie bitte etwas zu dieser Sendung.
Ich trete in einen Rahmen, dann kommt so 'ne Art Liedertafel: „Lieder zur Niederlage“...
Wessen Niederlage?
...der Linken. Denn aus dieser linken Revolution - wenn man sie so nennen kann - ist ja nun alles Linke raus. Es ist ja im Augenblick wirklich gefährlich, öffentlich linke Positionen zu vertreten. Und linke Positionen sind ja eigentlich soziale Positionen. Der Titel der Sendung ist Prost Wahlzeit, liegt ja nahe. Und als Gast werden wir diesmal das Kabarett aus Magdeburg dabeihaben.
Was Sie sagen, klingt sehr melancholisch, pessimistisch. Ist so Ihre Stimmung zur Zeit?
Ja, ganz richtig: melancholisch-pessimistisch, genauso ist es. Das ist meine persönliche Situation. Bloß: Ich brauch nicht auf die Bühne zu gehen, um mich auszuheulen. Das brauchen die Leute nun wirklich nicht. Sondern ich versuche
-seit ich schreibe, mache ich das -, mir meine Ängste von der Seele zu schreiben und sie mit den Leuten aufzunehmen. Seit dreißig Jahren finde ich es erstaunlich, daß über mein Zeug gelacht wurde. Ich meine das doch so furchtbar ernst!
Mit welchen Gefühlen sehen Sie der Sendung entgegen?
Mit Angst, der Bildschirm stand ja bisher für uns nicht zur Verfügung. Und Satire übern Bildschirm ist ja was völlig anderes als Kabarettprogramm in einem Haus. Wir haben einen sehr ungünstigen Sendeplatz, nach dieser Unterhaltungssendung Ein Kessel Buntes, Sonnabendabend. Wir wollten ja eigentlich am Vorabend der Wahl, am 17. März, rauskommen. Das hat uns der Runde Tisch untersagt.
In Anlehnung an westliche Gepflogenheiten?
Ja, im Westen sind es ja sechs Wochen vor der Wahl, daß so was nicht mehr gebracht wird, hier ist es noch eine Woche, das wird sich auch noch ändern. Die werden auch da noch die subtileren Formen der Zensur übernehmen.
Gibt es denn schon wieder Zensur bei Ihnen?
Ja doch, natürlich. Die wird bloß nicht von einem ausgeübt, sondern von ganz vielen.
Gibt es Beispiele?
Ich weiß es von einem Kollegen, der beim Rundfunk arbeitet. Den fragte ich vor vierzehn Tagen: Wie ist es denn jetzt so, zu arbeiten ohne Zensur? Und da sagt der: viel schlimmer! Weil jetzt haben wir nicht nur einen Zensor, sondern jetzt sitzen alle Parteien mit der Stoppuhr und mit dem Metermaß da und messen aus, wie lange über welche Partei gesprochen wird, und beklagen sich dann, daß über ihre zu wenig gesprochen wird. Es sind alles so bekannte Sachen, die da neu sind.
Ist das Zensur in dem Sinne, daß da Verbote ausgesprochen werden?
Naja, noch sind es nachträgliche Beschwerden. Aber die Journalisten haben furchtbare Angst davor, irgendeinen zu übervorteilen oder irgendeinen nicht zu erwähnen. Wir haben ja nach unserer ersten Sendung, die eine Zuschauerbeteiligung hatte, mit der wir nie gerechnet hatten, eine ungeheure Menge von Post bekommen. Die waren zu 60 Prozent begeistert ohne jede Einschränkung. Die anderen 40 Prozent waren böse: Wir wären das Mieseste, was je über den Bildschirm gelaufen ist. Das kam zum großen Teil von älteren Leuten. Man kannte Satire ja bisher nur in dieser gebremsten Form. Und daß wir nun plötzlich nicht nur die Dinge, sondern die Menschen, die Politiker beim Namen nannten, das war für viele ganz erschreckend.
Waren das Anhänger der konservativen Pareiten, die Ihnen da schrieben?
Nein, das wird vermutlich diesmal kommen. Es gab so Altstalinisten, würde ich mal sagen. Ehemalige Zensoren vom Fernsehen zum Beispiel, die warfen mir über unsere Redakteure vor, wieso ich nicht Gysi und Modrow angreife, sondern ausgerechnet Gerlach oder Kohl.
Würden Sie denn Gysi oder Modrow angreifen wollen?
Selbstverständlich kann ich mir das vorstellen. Nur sehe ich im Moment rein sachlich keinen Angriffspunkt. Erst mal wäre es töricht, eine so schwache Regierung anzugreifen. Modrow verwaltet etwas, so gut es nur geht. Und der Gysi ist für mich ein absolut intelligenter und integrer Mensch. Daß ich manche seiner Meinungen nicht teile, ist was anderes. Aber der muß mir, um ihn angreifen zu können, erst mal das Material liefern.
Wer ist denn für Sie ein dankbares Objekt?
Ja, das ist ganz schade: im Augenblick müssen wir leider mit ganz groben Mitteln arbeiten, daß wir auf Kohl gehen müssen, was eigentlich gegen den guten Geschmack ist. Aber es bleibt uns gar nichts weiter übrig. Unsere Politiker hier, die haben ja noch kein Profil, die können es auch noch gar nicht haben. Es sind ja schlimme Leute drunter. Trotzdem zögere ich, weil ich mir sage: Gott, sie hatten ja nie 'ne Chance, es zu lernen. Wenn ich so einige sehe, die nach kurzem Bonn-Aufenthalt wieder einen neuen Satz gelernt haben und immer mehr den Westpolitikern zu gleichen versuchen, dann ist das natürlich ein Armutszeugnis. Und wie hier die Wahl ausgeht, das ist ja fast egal, das ist ja das Schlimme. Das ist ein Stellvertreterkrieg. Wie beim Fußball, wenn die Jugendmannschaft erst mal spielt, zur Aufheiterung, und dann erst geht's richtig los.
Können Sie uns sagen, wie Ihr Programm „Wahlzeit“ ablaufen wird?
Also, ich vergleiche zunächst den Wahlkampf von jetzt mit dem Wahlkampf von früher. Früher kam es ja nicht darauf an, wen man wählte, sondern wann man wählte. Möglichst früh. Ich lag immer noch im Bette, da hatte die Mehrheit schon gefaltet. Und jetzt ist der Unterschied, daß es im Grund völlig egal ist, wen wir wählen - der Kohl macht's schon! Und wenn der nicht, dann macht's eben der Vogel, und wenn der nicht, dann der Lambsdorff. Ich beschäftige mich also in meiner ersten Conference mit der Frage, was wir eigentlich mit unserer Stimmabgabe noch bewirken. Und in der Abschlußconference gründe ich dann meine eigene Partei, die PRE: die „Partei der Radikalen Einfalt“, und verlange die Wiedervereinzelung des deutschen Volkes in den intellektuellen Grenzen von Kohl. Damit die Welt keine Angst zu haben braucht: Es wird nichts Großes.
Wen erhoffen Sie sich als Wähler oder Mitglied?
Keinen! In meine Partei darf keiner. Ich kandidiere auch nicht. Ich war nie Mitglied einer Partei. Jetzt möchte ich endlich mal 'ne ganze Partei für mich haben. Es ist ein bißchen in Anlehnung an Werner Finck. Der hat doch mal die Partei der radikalen Mitte gegründet. Witze sind uralt.
Wie sieht für Sie die Zukunft aus? Wie wird es dem DDR -Kabarett künftig ergehen?
Die Satire geht goldenen Zeiten entgegen. Weil die Zeiten schlimm werden. Andere gehen weniger goldenen Zeiten entgegen. Wenn ich zum Beispiel an unsere Lyriker denke.
Wie wird man Kabarettautor, gibt es dafür eine Ausbildung?
Nein, zum Glück nicht, das wäre ja schrecklich. So wie ich zum Kabarett gekommen bin, das halte ich für den ganz normalen Weg: Ich war an der Schauspielschule, schrieb meine Primanerlyrik, brechtelte furchtbar, und dann hab ich zwischenzeitlich mal gekästnert, und dann gab's ein Studentenkabarett, das hieß Der Rat der Spötter, und einer meiner Kommilitonen leitete das, und der sagte: Schreib doch mal was, was man brauchen kann.
Gibt es auch Gedrucktes von Ihnen?
Es gab einmal ein Bändchen, das einzige was gedruckt werden durfte und uns furchtbar viel Ärger einbrachte. Mal hier und da ein Artikel im 'Eulenspiegel‘. Aber auch da ging ja kaum was. Jetzt stürzen sich die Medien auf mich. Reclam war schon da. Merkwürdigerweise der Dietz-Verlag, ich hab da erst mal gar nicht geantwortet, das hat mich aus der Fassung gebracht.
Fühlen Sie sich wohl als Satiriker im Augenblick?
Nein, ganz und gar nicht. Das hat mit ganz realen und mit eingebildeten Ängsten zu tun. Unsere soziale Sicherheit war ja die Zensur. Das Bändchen, das ich mit dem Wolfgang Schaller herausgebracht habe, war im Handumdrehen vergriffen, nur weil „Kabarett“ draufstand. Jetzt ist das anders.
Die Kabaretts sind aber noch voll.
Ja, erstaunlicherweise, und wir haben eigentlich etwas zu leisten, was wir die ganze Zeit geleistet haben, merk ich immer mehr: Lebenshilfe. Daß die Leute nicht still im Kämmerlein verzweifeln, sondern über unser eigenes Elend lachen können. Ich habe jetzt seit langem wieder einen politischen Witz gehört: In Leipzig sind jetzt die meisten Taxifahrer ehemalige Stasiangehörige. Das hat einen Riesenvorteil: man braucht nur noch seinen Namen zu sagen, und sie fahren einen sofort nach Hause.
„Angst“ und „Ausverkauf“ sind gängige Begriffe geworden. Kommt da nicht das Befreiende zu kurz, das sich bei Ihnen ereignet hat?
Das ist erschreckend, wie schnell es von der Euphorie zum Katzenjammer gekommen ist. Das hat aber mit der Geschichte dieses Landes zu tun: daß man sich immer unterschätzt hat und nie anerkannt wurde. Einen DDR-Bürger im Ausland erkannte man sofort an seiner Unterwürfigkeit. Daß er Dinge immer hingenommen hat - wie sollte sich das plötzlich ändern. Kein Mensch wird mehr von der DDR sprechen - aber es wird noch den DDR-Bürger geben. Mit allem Miesem, mit allem Guten aber auch. Der DDR-Bürger ist im Guten wie im Schlechten die Inkarnation des „Kleinen Mannes“. (Die DDR -Bürgerin hoffentlich nicht! d.S.) Dieses sich so beeindrucken lassen von westlichen Politikern, auch wenn sie so einen Schnee reden, aber eben gekonnt daherreden! Oder die Wirtschaft, lächerlich: Das Brot sieht besser aus, es schmeckt bloß nicht so gut wie unseres. Und auch wenn sich das alles mal normalisiert - diese Normalität wird nicht besser sein als das, was wir vorher als normal empfanden.
Werden Sie jetzt ein neues Publikum in Ihre Kabaretts bekommen?
Es wird nicht mehr jedermann im Kabarett sein, sondern nur noch der, der sich für dieses Genre interessiert. Diese Leute sind ja bisher meistens außen vor geblieben. Die hatten nicht die Zeit, sich anzustellen. Wir hatten eigentlich meistens so einen Fleischermeister drin, der auch mal seinen Frust loswerden wollte, ein sehr kleinbürgerliches Publikum. Auch viele Funktionäre waren drin und lachten heimlich über das, was sie draußen selber getan hatten. Das war schon ein bißchen pervers. Das Publikum wird schrumpfen. Aber das Kabarett hat ja nun mal was mit Intellekt zu tun.
Und es ist links. Hat es das von Natur aus?
Das ist, glaube ich, ein deutsches Problem. In Frankreich gab es meines Wissens auch gute rechte satirische Zeitungen. Tucholski sieht darin eine anatomische Merkwürdigkeit des Deutschen: schreibt mit der Linken, tut mit der Rechten. Andererseits beobachte ich an der Bundesrepublik mit Staunen, daß die CDU-regierten Länder oft wesentlich kulturfreundlicher sind als die SPD-regierten Länder.
Ein Hinweis, daß es Ihnen in Zukunft doch besser gehen wird?
Auf jeden Fall glaube ich, daß sich alles sehr schnell angleichen wird. So wie der Bundesbürger sich nach '45 sehr schnell Demokrat nannte, ohne es zu sein, so wird der DDR -Bürger sehr schnell Bundesbürger werden, indem er sich einfach anpaßt. Es ist ja jetzt schon zu beobachten in West -Berlin, daß die Leute, wenn sie rüberfahren, sich so anziehen, daß sie nicht als Ostler erkannt werden. Umgekehrt genauso.
Also noch eine Angst?
Berührungsangst, ja. Angst ist nie ein guter Ratgeber. Aber wir werden im Augenblick von der Angst beraten. Ich merke es an mir selber, daß ich manchmal Ängste habe und mir sagen muß: Was soll das, was für ein Unsinn ist das!
Resultiert daraus auch die Tonlage, mit der Sie augenblicklich Kabarett machen? Mir ist aufgefallen, daß sie ernsthafter und 'besinnlicher‘ sind als die meisten unserer Kabarettisten.
Ja, schrecklich ist es ja, um jeden Preis ankommen zu müssen. Das muß der Humorist. Beim Satiriker ist das anders. So schwer es ist, wenn er auf der Bühne steht - ich stehe selber manchmal da - und jemand türenschlagend rausrennt. Das wünschte ich mir immer als Autor. Aber wenn ich auf der Bühne stehe, ist es schon schwierig. Dann habe ich Angst, daß sich das gegen mich richtet. Ich bin doch ein Angsthase wie alle. Ich schrei doch bloß so laut, weil ich so viel Angst habe. Das große Maul habe ich doch nur deswegen.
Interview: Christian Deutschmann
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