: Verfassungsschutz für Antifaschisten?
Westdeutsche Sicherheitspolitiker sind nach wie vor uneins, ob die „Republikaner“ oberserviert werden sollen / Demokraten sollten indes einer innerstaatlichen Feinderklärung gegen Rechts nicht das Wort reden / Statt administrativer Ausgrenzung ist eine Verschärfung der politischen Kommunikation gefragt ■ Von Horst Meier
Sebastian Kobler zum Gedächtnis
Der Tätigkeit von Staatsorganen auch dort mit wacher Skepsis zu begegnen, wo diese sich am politischen Gegner vergreifen, erfordert nicht nur demokratisches Selbstbewußtsein, sondern schärft auch den Blick für rechtsstaatliche Formqualitäten. Wer sich politische Freiheit um taktischer Vorteile willen abkaufen läßt, verlängert die deutsche Misere in die fortschrittliche Variante des Autoritarismus hinein.
Es gehört zur List einer rechtsstaatlichen Demokratie und ihrer freiheitsverbürgenden Spielregeln, daß sie immer dort, wo von den einen der Ernstfall ausgerufen wird, für die anderen da ist. Das gilt auch für die, die sich Republikaner nennen - wobei das vergangene Jahr einmal mehr gelehrt hat, daß die freiheitlich demokratisch inspirierten Gralshüter des Grundgesetzes ebensowenig wie ihre antifaschistischen Adepten eine gute Figur bei der Verteidigung der Demokratie abgeben.
Als sich nach den Januarwahlen zum Westberliner Abgeordnetenhaus der erste Schock und auch die Empörung darüber gelegt hatten, daß es eine solche Partei überhaupt gibt, besann man sich alsbald auf deren dubiose politische Ziele. Waren diese Leute, allen voran Schönhuber - immerhin ein gestandener Soldat der Waffen-SS! - nicht irgendwie gegen Ausländer eingestellt und sogar gegen die Bewältigung unserer Vergangenheit (eine Angelegenheit also, mit der sich selbst die derzeitige Kohl-Regierung nicht ohne eine gewisse Ausgeglichenheit befaßt)?
Die Europawahlen vom Juni desselben Jahres, bei denen sich zeigte, daß „Republikaner“ auch bei bundesweiten Abstimmungen nicht von einer Fünfprozentklausel aufzuhalten sind und jedenfalls mittelfristig mit ihnen zu rechnen ist, taten ein Übriges, um bei anhaltender politischer Phantasielosigkeit den hierzulande geradezu reflexhaften Wunsch nach administrativer Ausgrenzung zu stimulieren. Sicherheitsexperten aller Art avancierten in diesen Tagen zu gefragten Interviewpartnern im Streit um die Frage, ob der Verfassungsschutz die Pflicht habe, das Treiben dieser Leute zu observieren.
Welch wohltemperierte Töne waren da zu hören! Ein ganzer Troß von Politikern, Staatssekretären und Verfassungsschützern übte sich in der bis dato im Kampf um die „innere“ Sicherheit der Westdeutschen ganz unvertrauten Tugend des Differenzierens. Welche Lehramtsbewerberin hätte es wohl in den siebziger Jahren gewagt, sich mit dem lapidaren Hinweis, sie sei nur linksradikal, bei ihrem künftigen Dienstherrn zu empfehlen?
Hier nun, in der jüngsten Sicherheitsdebatte, ging es immer wieder um die delikate Frage, ob jene „Republikaner“ eigentlich als rechtsradikal oder aber rechtsextrem einzustufen seien. Im letzteren Fall, das zu betonen wurden unsere Experten nicht müde, bleibe gar keine andere Wahl, als den mühevollen Weg der Observation zu beschreiten: denn während Extremisten immer zu weit gingen, könne man das bei Radikalen, die sich „am äußersten Rand des demokratischen Spektrums“ sammelten, eben gerade noch nicht sagen.
Weniger überraschend als jenes neue Unterscheidungsvermögen war in der Folgezeit, daß man nicht so recht darüber einig wurde, welches Prädikat der Verfassungsfeindschaft an die Schönhuber-Partei zu verleihen sei. Fast schon naturgemäß hielten es Christdemokraten und -soziale eher mit dem (durchaus bedenklichen) Rechtsradikalismus einiger national gesinnter Mitbürger, während vor allem Sozialdemokraten üblen Rechtsextremismus witterten.
Dabei besannen sich die Vertreter von CDU/CSU keineswegs darauf, rechtsstaatliche Argumente instrumentell einzusetzen, wie einst in der Debatte um das Strafgesetz gegen die sogenannte Auschwitzlüge der Jahre 1984/85. Nein, man urteilte einfach nicht so streng über die sich rechts profilierende Konkurrenz, zeigte viel Verständnis für verlorene Schafe und breitete beredtes Schweigen über den Rest.
Was sonst sollte man auch tun? Es hatten sich schnell gute Gründe für den Eiertanz der Union herumgesprochen. Gab es da nicht sehr früh schon einen Heinrich Lummer, der mit der Koalitionsfrage offen zur Sprache brachte, daß man einen potentiellen Mehrheitsbeschaffer nicht ohne Not ausgrenzt? Oder Leute vom Schlage des wackeren Landwirts und Bürgermeisters Vajen, der nach etlichen werbewirksamen Gesprächen mit Schönhuber im September 1989 die CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag verließ, um kurz darauf bei den „Republikanern“ eine neue Heimat zu finden?
Nicht zu vergessen schließlich der sorgengeplagte Innenminister Edmund Stoiber. Er, der noch im Vorfeld des Europa-Wahlkampfs eine Prüfung der „Republikaner“ befürwortete (zu einer Zeit, als man aus dem Bundesinnenministerium noch nichts „Extremistisches“ über diese „Radikalen“ zu berichten wußte), taktiert jetzt hinhaltend und hütet sich, seine bayerischen Verfassungsschützer allzu voreilig gegen eine auf heimatlichem Boden gewachsene Partei einzusetzen, die bei der Europawahl dort mit knapp fünfzehn Prozent ihren spektakulärsten Erfolg erzielen konnte.
Es macht sich einfach nicht gut, einige zehntausend Landeskinder als Verfassungsfeinde in Verruf zu bringen.
Nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten blieb es vorbehalten, sich im demonstrativ entschlossenen Kampf gegen die neue Rechte ein paar antifaschistische Sporen zu verdienen.
Nachdem eine Serie gewundener Statements quer durch die Republik zu hören war, sich Ermüdungserscheinungen unverkennbar eingestellt hatten und mit den „Sonderzügen in die Freiheit“ die ersten Turbulenzen der deutschen demokratischen Erhebung bereits die westdeutsche Aufmerksamkeit zu fesseln begannen, ermannte sich die SPD -Landesregierung zu einem forschen Vorstoß: Ohne die im September vertagte Beschlußfassung der Innenministerkonferenz länger abzuwarten, auf deren „bundeseinheitliche Regelung“ der Observationsfrage sich manch ein lavierender Innenminister oder Verfassungsschutz -Chef zurückgezogen hatte, beschloß sie, die politischen Aktivitäten der Schönhuber-Partei fortan überwachen zu lassen.
Friedhelm Farthmann, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, brachte die Sache kernig auf den Punkt: „Es genügt nicht, nur Zeitungsschnipsel zu sammeln; ich will wissen, was im Hinterstübchen dieser Partei tatsächlich geschieht. Deshalb müssen alle geheimdienstlichen Mittel eingesetzt werden“, schrieb er im Pressedienst seiner Partei vom 21.September 1989 und forderte „eine bundeseinheitliche konzertierte Aktion“ gegen die „rechtsradikalen 'Republikaner'“.
Die freilich kam bis Jahresende nicht in Sicht. Verfassungsschützer und Innenminister gingen eins ums andere Mal ohne die vielberedete Einigung auseinander. Derzeit ist zum Beispiel aus dem bayerischen Innenministerium zu hören, die Prüfung werde „mit der gebotenen Intensität fortgesetzt“. Das Kieler Innenministerium ließ Ende Dezember das Parlament wissen, man wolle für Schleswig-Holstein einen „Alleingang wie in Nordrhein-Westfalen“ nicht mehr ausschließen. Wenn die Zeichen nicht trügen, ist also auch für 199o, das Jahr der Wahlkämpfe, eine bundeseinheitliche Linie nicht zu erwarten.
Das (vorerst) Allerletzte zur Observation kommt wiederum aus Nordrhein-Westfalen und bringt diese Frage auf die Höhe der gesamtdeutschen Entwicklung. Innenminister Herbert Schnoor kündigte in den ersten Tagen des neuen Jahres an, sein Land wolle Konsequenzen aus der Entwicklung in der DDR ziehen.
Der Minister will seine Bataillone daher mit anderer Schlachtordnung in den Kampf gegen Verfassungsfeinde führen: Eine wachsende Zahl von Staatsschützern soll künftig nicht mehr bei der DKP (die ja bekanntlich auch irgendwie zur DDR gehört) spitzeln gehen, sondern bei Rechtsextremisten und Terroristen.
Solche guten Vorsätze riefen umgehend das Bundesamt für Verfassungsschutz auf den Plan. Die Observation von Extremisten sei keine Frage der Quantität, betonte dessen Sprecher, sichtlich konsterniert darüber, daß man in Nordrhein-Westfalen dem Treiben von Kommunisten einfach untätig zuschauen will. Das Bundesamt werde deshalb die DKP, „solange sie verfassungsfeindliche Ziele verfolgt“, „selbstverständlich weiter beobachten“, so, wie es der gesetzliche Auftrag eben gebiete. Dies gelte auch, wenn die in Auflösung begriffene DKP „schwächer würde, ja selbst wenn sie bedeutungslos wäre“.
Ist das nicht ein Wort? Die penible Registrierung gesellschaftlich randständiger, ja irrelevanter Dinge - erst hier gelangt wahrer Dienst an der Verfassung in seiner reinsten Form zu sich selbst.
Schließlich das Geheimpapier des Bundesamtes: Ende Januar enthüllt das NDR-Magazin Panorama einen Abgrund von Verfassungsverrat. In einem vertraulichen 78-Seiten -Gutachten vom November 1989 kommt die „Geheimdienstzentrale“, so die bedeutungsschwere Ansage des Moderators, zu jenem Ergebnis, von dem man in Sicherheitskreisen schon gelegentlich munkeln hörte: die Schönhuber-Partei sei „verfassungsfeindlich“, weil „die Agitation und das sonstige Verhalten der 'Republikaner‘ in insgesamt zehn Themenbereichen nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Einklang zu bringen ist“.
Das Belastungsmaterial, bestenfalls geeignet, ein paar Meinungsdelikte zu konstruieren, wird mediengerecht ins Bild gesetzt: Da verliest - immer dann, wenn es gilt, einen Höhepunkt der Staatsbürgerkunde anzusteuern - nicht nur ein Nachrichtensprecher im halbamtlich-prätentiösen Ton passende Stellen aus dem bisher „streng vertraulichen“ Papier, flankiert dabei vom Firmenschild des Verfassungsschutzes nebst Bundesadler, nein, sogar unser „Staatsoberhaupt“ soll von diesen Leuten „angemistet“ worden sein, was durch ein paar mäßig polemische Sätze Schönhubers untermalt wird.
Originalton Verfassungsschutz aus dem Munde des fingierten Nachrichtensprechers: „Die 'Republikaner‘ wollen durch Diskriminierung der Repräsentanten und Institutionen der Demokratie das Vertrauen und das Staatswertbewußtsein (!) der Bürger schwächen, um auf diesem Wege in Wirklichkeit die freiheitliche demokratische Grundordnung zu treffen.“ Und weiter geht es in der Kolportage mit den bekannten Gehässigkeiten gegen Ausländer und Hinweisen auf die NPD -Vergangenheit so mancher Schönhuber-Kader: Alles in allem geriet dieser Panorama-Beitrag zu einem sehenswerten Lehrstück für politische Desinformation, das keine noch so gutgemeinte demokratische Absicht zur Aufklärung erhellt. Dankbarer wurde selten einem Werk aus der grauen Verfassungsschutz-Literatur gehuldigt.
Dem Vernehmen nach soll das Bundesinnenministerium, das übrigens die Existenz des Gutachtens nicht bestreitet, in einem ebenfalls vertraulichen Brief an die Innenminister der Länder seine altbekannte Parole „Abwarten und Prüfphase verlängern!“ ausgegeben haben. Hamburg hat sich unterdessen der nordrhein-westfälischen Linie angeschlossen: Auch beim hanseatischen Landesamt baut man der drohenden Sinnkrise vor und erschließt neue Aufgabenfelder für Mitarbeiter, die vom Bespitzeln der kläglichen DKP-Reste nicht mehr ausgelastet sind.
Seit Beginn des Jahres werden also auch die Hamburger „Republikaner“ observiert, wie man Ende Januar unter ausdrücklicher Berufung auf das Kölner Papier der Öffentlichkeit verriet.
Niemand vermag heute zu sagen, wann - oder ob überhaupt einmal die sicherheitspolitischen Händel über die Verfassungstreue der „Republikaner“ zu einem Ende gebracht werden. Der jeweils neueste Stand der „Prüfphase“ ist - mit sinkendem Unterhaltungswert - der Tagespresse zu entnehmen...
Haben wir nach vierzig Jahren „freiheitlicher demokratischer Grundordnung“ eigentlich noch die politische Vorstellungskraft, uns eine demokratische Bundesrepublik auszumalen, in der es weder die Einrichtung „Verfassungsschutz“ noch die damit einhergehende Diskussion um Scheinprobleme gibt?
Es sieht ganz danach aus, als läge in der buchstäblich auf den Kopf gestellten westdeutschen Sicherheitswelt jeder nur denkbare administrative Winkelzug nahe - nur nicht die diskursiv-politische Aufarbeitung, wie sie gesellschaftlichen Konflikten angemessen ist. Dazu müßte man eben in einer guten demokratischen Verfassung sein.
Dabei könnte das Auftauchen einer neuen Rechtspartei die Politik eines Landes in Bewegung bringen: Polemiken, Analysen, Anwürfe und Kampagnen wechselten einander ab und günstigstenfalls wären hinterher (fast) alle ein wenig schlauer als zuvor. Doch fehlt in der Bundesrepublik bereits der vitale sportliche Ehrgeiz, dem innenpolitischen Kontrahenten ordentlich zuzusetzen.
Kann es da weiter verwundern, daß die ungehemmte öffentliche Debatte ihre regulierenden Selbstheilungskräfte nicht entfalten kann, sondern jedes brisante Problem unversehens zur Verwaltungsaufgabe einer staatlich betriebenen Politikhygiene mißrät?
Mit diesem grauen Brot der Depression werden wir uns bis auf weiteres zu befassen haben: statt Verschärfung der Kommunikation - ängstliches Schielen nach „Ämtern für Verfassungsschutz“. Deren Tätigkeit ist - trotz unübersehbarer Legitimationsverluste - noch immer so eng mit dem tief verwurzelten Glauben der Westdeutschen an das Märchen von der stets gefahrenumlagerten Demokratie verbunden, die aus dem Hitler-Reich bittere Lehren habe ziehen und von daher sich „streitbar“, „wehrhaft“ oder wer weiß noch alles gebärden müssen, daß selbst Kritiker der Verfassungsschutzpraxis diesen Glauben teilen, auch wenn ihnen hier und da das Observieren und Speichern entschieden zu weit geht. Man kann die Sache drehen und wenden wie man will: Die Verfassung schützen - das wollen in der Bundesrepublik irgendwie alle.
Dabei ist bis heute unklar geblieben, was das sein soll und darf: Verfassungsschutz. Schon die wie selbstverständlich gehandhabte Begrifflichkeit hat ihre Tücken. Da man eine Verfassungsurkunde nicht zu schützen braucht, muß etwas anderes gemeint sein. Aber was? Der Schutz der bürgerlichen Freiheit oder des Eigentums? Der von Ruhe und Ordnung, mithin des Staates?
Für letztere Lesart spricht einiges, zumal vor Gründung der Bundesrepublik bei innenpolitischen Sicherheitsfragen oft unverblümt von Staatsschutz die Rede war. Noch heute begegnen uns, wo es um die Verfolgung politischer Straftaten geht, „Staatsschutzabteilungen“ der Kriminalpolizei oder „Staatsschutzsenate“ von Oberlandesgerichten.
Auch im Grundgesetz findet sich keine einheitliche Terminologie. Dem Verfassungsgeber von 1949 stand wohl die terroristische Praxis einer Geheimen Staatspolizei noch klar genug vor Augen, als er in sprachlicher Abgrenzung dazu in Art.87 Abs.1 Satz 2 des Grundgesetzes formulierte, der Bund könne eine „Zentralstelle zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes“ einrichten.
Freilich war später an anderer Stelle auch von „Strafverfahren auf dem Gebiet des Staatsschutzes“ die Rede, so in Art.96 Abs.5 von 1969. Nähere Vorstellungen darüber, was denn „Verfassungsschutz“ über die herkömmliche Arbeit der politischen Polizei hinaus eigentlich werden sollte, gab es 1949 allerdings nicht.
Die heute im Grundgesetz anzutreffende Legaldefinition stammt aus dem Jahre 1972. Seitdem heißt es in Art.73 Nr. 10b, der Bund habe die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über „die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder ... zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz)“. In diesem umfassenden Sinne meint Verfassungsschutz also den gesamten Bereich der inneren und äußeren Staatssicherheit.
Es spricht einiges dafür, die Dinge klar beim Namen zu nennen. Der Versuch mag gut gemeint sein, den Begriff „Verfassungsschutz“ mit einem liberalen Verständnis gegenzubesetzen, wonach in erster Linie aufrecht streitende Demokraten die Bürgerfreiheit zu verteidigen haben. Während so das Mißverständnis unverfänglicher Bürgernähe evoziert wird, bleibt jedoch tatsächlich das institutionelle Übergewicht staatszentrierter Maßnahmen.
Deshalb ist der sperrige Begriff „Staatsschutz“ nicht nur sachlich treffender, sondern markiert auch ein sprachliches Warnsignal, in dessen Semantik das stets Prekäre jeder staatlichen Sicherheitspolitik aufgehoben bleibt.
Die heillose Verwirrung unseres Staatsschutzdenkens hängt jedoch vor allem anderen damit zusammen, daß man es in Deutschland ungefähr seit 1933 gründlich verlernt hat, in der öffentlichen Auseinandersetzung zwischen politisch anstößigen Meinungen und strafrechtlich relevanten Taten angemessen zu unterscheiden.
Es gehört indes zum grundlegenden Bestand rechtsstaatlicher Traditionen, Eingriffe in die Freiheit Einzelner oder von Kollektiven auf rational nachvollziehbare Weise zu rechtfertigen. Dies geschieht regelmäßig unter Bezugnahme auf die objektive Gefährlichkeit bestimmter Handlungen. Die entscheidende Frage lautet also: Sind die „Republikaner“ gefährlich? Politisch argumentierend kann man dies ohne weiteres bejahen (wobei freilich die eigentlich spannenden Detailfragen kontrovers sein dürften) - aber sonst?
Es hat noch niemand behauptet, daß „Republikaner“ irgendwo Gewalttaten begangen oder auch nur dazu aufgerufen hätten. Es klingt banal, und doch sei es gesagt: Wo strafrechtliche Aspekte keine Rolle spielen, es also beim Meinungskampf bleibt, müssen Demokraten lernen, mit den politischen Risiken, die eine freie Gesellschaft entbindet, auch politisch umzugehen. Anders ist Freiheit nicht zu haben.
Wo dagegen die freie gesellschaftliche Selbstregulation im Medium von Legalität und Gewaltlosigkeit, das heißt ein radikales, prozedurales Verständnis von Demokratie, nicht hoch im Kurs steht, dort veröden Ideologien „streitbarer“ Demokratie das öffentliche Leben und zementieren unter dem kümmerlichen Signum von Freiheitlichkeit eine Ordnung des Wertes und der Wahrheit.
Wenn dabei auch in sehr unterschiedlichem Umfang politische Freiheit verkürzt wird, so haben diese Konzepte allesamt eines gemeinsam: Sie verlagern staatlich-administrative Eingriffe weit in den Bereich geistiger Auseinandersetzung hinein. Wenn Teilbereiche des politischen Kampfes durch Berufung auf irgendeine Legitimitätsrhetorik virtuell von Legalitätsentzug bedroht sind, ist zutreffend von einem vorverlegten Staatsschutz die Rede.
Auf diesem Hintergrund wird deutlicher, welche Rolle die Ämter für Verfassungsschutz bei der Verteidigung des Grundgesetzes spielen. Die nicht gerade originelle Frage, ob die „Republikaner“ rechtsextrem und folglich zu observieren seien, dient gewiß nicht der staatsbürgerlichen Erbauung, sondern steht klar in einem strategischen Zusammenhang. Es geht dabei um nichts weniger als die innerstaatliche Feinderklärung gegen eine bestimmte politische Gruppierung mit all den Konsequenzen, die eine solche Ausbürgerung im Bonner Rechtsstaat haben kann.
Das Ensemble nachrichtendienstlicher Ausforschung, die jährliche publizistische Aufbereitung im Verfassungsschutz -Bericht, die Sammlung organisations- und personenbezogener Daten haben nur dann einen sicherheitspolitischen Gebrauchswert, wenn sie bei Bedarf auch als Unterfutter eines präventiven Eingriffs herangezogen werden können.
Unsere Verfassungsschützer wissen schon, was sie an der „freiheitlichsten Verfassung, die es je auf deutschem Boden gab“, haben. Nicht nur bei Art.9 Abs.2 (Vereinsverbot) und Art.18 („Grundrechtsverwirkung“ gegen Einzelpersonen) werden sie schnell fündig, sondern auch beim Parteiverbot des Art.21 Abs.2: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“
Man lese sehr genau. „Nach ihren Zielen“? „Dem Verhalten ihrer Anhänger“? „Darauf ausgehen“? Und was macht das „Freiheitliche Demokratische“ jener „Grundordnung“ aus? Und was heißt es, diese „zu beeinträchtigen“ oder „zu beseitigen“?
Ist es Zufall, daß keine andere westliche Demokratie einen solchen Verfassungsartikel kennt? Das Parteiverbot, 1948/49 zur Zeit der Berlin-Blockade im Parlamentarischen Rat beraten, ist eine einzigartige Schöpfung nachkriegsdeutschen Verfassungsgeistes, in der kalter Krieg und hilfloser Antifaschismus eine vordemokratische Symbiose eingegangen sind.
Der Sache nach handelt es sich bei dieser Antithese zur Parteienfreiheit um nichts anderes als eine Verfassungstreuepflicht für „die Parteien dieser Staatsordnung“, wie es 1956 im KPD-Urteil heißen sollte. Die einzelnen Tatbestandselemente des Parteiverbots lassen erkennen, daß hier im überschießenden Läuterungseifer eine wahrhaft synkretistische, hochbrisante Mischung in die Form des Verfassungsgesetzes gegossen wurde.
Während etwa mit dem „Verhalten der Parteianhänger“ noch so etwas wie der Gefahrenbegriff des traditionellen Hochverrats, also des gewaltsamen Umsturzes, assoziiert werden kann, kündigt sich bereits mit der außerordentlich vagen und „entkörperlichten“ Formulierung, Parteien könnten „nach ihren Zielen... darauf ausgehen“, die fdGO „zu beeinträchtigen“, jenes ideologisch aufgeladene Staatsschutzdenken an, das die Bundesrepublik der fünfziger Jahre prägen sollte.
Aus diesem Kontext bezieht die Observationstätigkeit des Verfassungsschutzes in Sachen „Republikaner“ ihre eigentliche Brisanz. Anti-Nationalsozialisten und Demokraten tun also gut daran, sehr sorgfältig zu überlegen, ob sie gerade jene Behörden, die sie im Kampf gegen Berufsverbote der Gesinnungsschnüffelei bezichtigten, heute aus durchsichtigen taktischen Erwägungen heraus für ihre anti -„republikanische“ Abwehr instrumentalisieren wollen.
Wir haben statt dessen allen Anlaß, die Kriterien eines rationalen Staatsschutzes zu diskutieren. Es käme vor allem darauf an, zwischen den Zielen und Mitteln von Parteipolitik zu unterscheiden. Parteiziele als solche, welche vermeintlichen oder tatsächlichen Inhalte auch immer damit intendiert sind, dürfen nicht zum Anknüpfungspunkt für Verbotsmaßnahmen gemacht werden; anderenfalls wird die Freiheit der politischen Parteien - und die aller Bürger vom Grund her in Frage gestellt und das Bundesverfassungsgericht zum obersten Politikzensor.
Als formale Trennungslinie zwischen Legalität und Illegalität müssen vielmehr die Mittel und Methoden des Parteienkampfes konturiert werden. Dies kann nur unter Rekurs auf den Gewaltbegriff gelingen. Ein Blick auf die Hochverratsrechtsprechung des Reichsgerichts zeigt zwar, daß auch die tatbestandlich enggeführte Eingriffsgrundlage des gewaltsamen Umsturzes - insbesondere unter Dehnung des Begriffs der Vorbereitungshandlung - von deutschen Juristen arg strapaziert werden kann.
Dennoch gibt es zum Kriterium der Gewaltanwendung als ebenso weite wie strikte Grenze des politischen Kampfes keine berechenbare, das heißt rechtsstaatliche und zugleich freiheitssichernde, das heißt demokratische Alternative.
Was es bedeutet, wenn über Politikinhalte mit einem Seitenblick auf den Einsatz staatlicher Zwangsgewalt autoritativ gerichtet wird, kann bei Friedhelm Farthmanns Argumentation besichtigt werden. Da wird (zurecht) moniert, die „Republikaner“ forderten allerhand ressentimentgeladene Gesetze gegen Ausländer: ein kurzer Blick ins Grundgesetz genügt, und schon ist die verbale Verletzung des Diskriminierungsverbots festgestellt - ein erstaunliches Propagandadelikt! Ebenso geht es weiter mit der Tarifautonomie, verschiedenen „Geschichtsklitterungen“, einem „übersteigerten Nationalismus“ und so fort.
Zu alledem findet sich irgend etwas im Grundgesetz, so daß Farthmann schließlich eine düstere Bilanz ziehen kann: „Das alles ist verfassungswidrig.“ Solch verhuschte Grundgesetz -Exegese bringt nicht nur jede politische Torheit in die Grauzone des Verdachts, sondern konzediert auch weniger Parteienfreiheit, als die fdGO erlaubt. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Definitionsformel befunden, der FdGO-Begriff umfasse keineswegs das Grundgesetz schlechthin.
Ganz abgesehen davon wurde im Parteiverbotsurteil von 1952 die „Sozialistische Reichspartei“ als Nachfolgeorganisation der NSDAP für verfassungswidrig erklärt; auch wegen dieses Präjudizes haben die „Republikaner“ aus Karlsruhe wenig zu befürchten. Wie man hört, gaben für das kürzlich in Rosenheim verabschiedete neue Parteiprogramm ein Kriminalbeamter und ein Verfassungsschützer - auch die soll es in den Reihen der Schönhuber-Gefolgschaft geben Formulierungshilfe, auf daß es fdGO-fest werde. Vielleicht nutzt Herr Farthmann die sich bietende Gelegenheit, seine recht dürftige Beweisführung ein wenig nachzubessern.
In den Dezembertagen der deutschen demokratischen Erhebung wurden nach landesweiten Besetzungsaktionen die „Ämter für Nationale Sicherheit“ geschlossen. Diese umettikettierte Nachfolgebehörde des „Ministeriums für Staatssicherheit“, die man redlicherweise „Amt für Nationale Aktenbeseitigung“ hätte nennen sollen, ist damit eine gerade wenige Tage zählende Episode geblieben.
Daß jüngst um ein „Amt für Verfassungsschutz“ (!) gestritten wurde, mit dem (nicht nur) in der SED-PDS manch einer die Hoffnung verbindet, unter den Vorzeichen des Antifaschismus undemokratische Strukturen retten zu können, kündigt freilich eine nicht gerade vielversprechende gesamtdeutsche Sicherheits-Parallele an.
Ob das Ende des kalten Krieges, der ja beileibe nicht nur im Osten Verwüstungen anrichtete, auch eines Tages über uns kommen wird? In beiden deutschen Staaten steht jedenfalls eine konsequente innenpolitische Abrüstung an. Dies um so mehr, als die Gebilde „Bundesrepublik Deutschland“ und „Deutsche Demokratische Republik“ auf beispiellose Weise, gleichsam auf einem künstlichen Experimentierfeld, dichotomisch strukturiert und aufgebaut worden sind: „In beiden Teilen des Landes hat sich fast alles, was Besatzungsmächte und deutsche Politiker nach 1945 vorfanden, nach dem Prinzip der wechselseitigen Ausschließung organisiert, das erst ist die eigentliche Teilung. Was 'drüben‘, in der Zone, die Grundlage von Staat und Gesellschaft ausmachen soll, die Diktatur der Arbeiterklasse..., macht 'hier‘, bei uns, im 'Westen‘, das Projekt des Staatsfeindes aus, und umgekehrt...“, schrieb der gebürtige Dresdner Peter Brückner 1978 in seinem Versuch, uns und anderen die Bundesrepublik zu erklären.
Dieser kontradiktorischen, jetzt mit unglaublicher Dynamik aufbrechenden Konstellation verdanken die Ämter für Verfassungsschutz ebenso ihre Existenz wie das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit. Natürlich sind beide Institutionen nicht in eins zu setzen. Die Unterschiede zwischen einer - wenn auch sehr mangelhaft - rechtsstaatlich gebundenen Behörde und einem nach den Gesetzen der Staatspartei und seiner Eigendynamik agierenden Apparat, der zudem mit exekutiven Befugnissen ausgestattet war, sind nicht zu übersehen.
Doch die Tatsache allein, daß der Verfassungsschutz nicht so häßlich geriet wie sein stalinistischer Bruder, begründet lange nicht die Existenzberechtigung der freiheitlichen Variante unserer Staatssicherheit.
So möge ein jeder von seiner eigenen Schande sprechen. Wir jedenfalls haben uns an den Verfassungsschutz zu halten und sollten einmal über dessen Wirken Bilanz ziehen. Ohne Bruch mit wohlvertrauten Gründungslegenden der Bundesrepublik, wozu an prominenter Stelle die Doktrin von der „streitbaren Demokratie“ zählt, wird dies nicht zu bewerkstelligen sein. Bis dahin bleibt jedermann irgend eines anderen Verfassungsfeind.
Der Artikel des Hamburger Rechtsanwalts Horst Meier ist die etwas erweiterte Fassung seines Beitrags in:
Claus Leggewie, „Die Republikaner - Ein Phantom nimmt Gestalt an“, Rotbuch-Verlag/Berlin, 216 Seiten, DM 16,00, das in diesen Tagen in 4. erweiterter Auflage neu auf den Markt kommt.
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