Schnur und der Schmutz

DDR-Wahlkampf und DDR-Vergangenheit  ■ K O M M E N T A R E

Ganz gleich, ob nun Wolfgang Schnur ein Stasi-Mitarbeiter war oder nicht - es ist nicht nur ein „Fall Schnur“. Es ist ein Fall der DDR-Wahl, ein Fall der zunehmenden Zweideutigkeiten und politischen Nebelwerferei bei der ersten freien Wahl auf ostdeutschem Boden. Natürlich könnte man sich freuen, wenn die Rüpelgarde von Volker Rühe sich zersetzt, diese „Allianz“, deren Spitzenpolitiker sich gegenseitig hassen, weil sie nur eins verbindet, das Bonner Geld nämlich. Man muß nicht für den Sieg anderer Parteien sein, um Furcht vor einem Allianz-Sieg zu haben. Schließlich will die Allianz den Abbruch der demokratischen Auseinandersetzung in der DDR, den Verzicht auf Selbstbestimmung - sie ist die Partei der Angst, des Sprungs in die Einheit, der politische Fluchttunnel aus vierzig Jahren DDR-Geschichte. Allein, es fragt sich, ob die Entlarvungen der Allianz-Politiker noch etwas klären können; ob sie nicht nur die Paradigmen des politischen Selbstverlustes befördern, wonach eben den DDR-Politikern ohnehin die moralische Kraft und politische Autonomie von den eigenen Leuten nicht zugetraut wird, die Interessen der Bevölkerung der DDR zu wahren.

Daß es ein Schmutzwahlkampf werden wird, und zwar ein besonders schmutziger, ließ sich leicht voraussagen; ist an dieser Stelle auch vorausgesagt worden. Die Zeit bis zur Wahl war zu kurz für eine politische Willensbildung, zu kurz für eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Die Bevölkerung ist nicht vom Realsozialismus zugerichtet worden, sie hat sich auch zurichten lassen; die Unterdrückten waren zugleich Komplizen der Unterdrückung gewesen. Wahlkampfstrategen, die die Komplizenschaft mit der SED als Waffen einsetzen, treffen weniger den Gegner als die Moral des Wählers selbst. Ein entlarvter oder rehabilitierter Schnur - frische Luft wird es nicht geben. Nur ein bißchen deutlicher ist es geworden, wieviel latentes Gift in diesem Lande da ist. Mitgift DDR?

Ganz unabhängig von den Rostocker Querelen zeigen die Figuren Schnur und Ebeling, die beide - und das ist belegt der DDR-Opposition gegenüber das Spiel des Staates betrieben haben, wie weit der Weg zu einer bürgerlich-aufgeklärten oder christ-demokratischen Partei ist. Genauer: solche Politiker zerstören geradezu die politische Willensbildung der DDR-Mittelschicht, die ja mit dem soziologischen Gegenpart in der Bundesrepublik kaum vergleichbar ist. Vor allem und zu allererst hätte es einer moralischen Grundlegung bedurft, einer Moral, die aus jener Komplizenschaft mit der führenden Rolle der SED entspringt und zumindest dem Gedanken der politischen Versöhnung sich hätte zuwenden müssen. Aber gerade jene moralisch fragwürdigen Allianz-Politiker sind die letzten, die das hätten tun können. Sie sind schließlich die Exponenten der Schlammschlacht. Ob die Allianz gewinnt oder verliert - der moralische Katzenjammer wird dem der zerschlagenen SED in nichts nachstehen.

Klaus Hartung