: Der ökologische Umbau der DDR
Westberliner Wirtschaftsforscher skizzieren in ihrem Gutachten die Möglichkeiten einer öko-sozialen Marktwirtschaft / Alternativen jenseits einer Kopie des (Auslauf)Modells Bundesrepublik gesucht / Gegenentwürfe im Wettlauf mit dem Veränderungstempo der Industrien ■ Von Manfred Kriener
Berlin (taz) - Wie eine grüne Regierungserklärung liest sich das ökologische Umbauprogramm für die DDR, das gestern vom Berliner Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) vorgelegt wurde. Von Verkehr bis Landwirtschaft, Chemie bis Energie, Luftreinhaltung bis Gewässerschutz wird die von der SED hinterlassene Konkursmasse analysiert und die Zukunft angedacht. Für das IÖW steht die DDR vor einer historischen Weichenstellung: Kopie des Modells BRD oder der Weg in eine öko-soziale Marktwirtschaft.
In diesem Wettlauf zwischen vorwiegend ökonomischer Orientierung mit nachsorgender Umweltpolitik als Reparaturbetrieb und einem ökologischen Umbauprogramm schaffe die Industrie Fakten, indem sie bereits jetzt Milliarden-Projekte zwischen Ost und West realisiert und damit wichtige Weichenstellungen vorwegnimmt. Der Vorsprung der Ökologen, die mit ihren Ideen die Revolution und anfangs die Programme aller DDR-Parteien durchdrangen, schmilzt, zumal die Formulierung von Gegenentwürfen mit dem Veränderungstempo nicht mehr schritthalte. Wir stellen aus dem IÖW-Papier, das der Bundesvorstand der Grünen in Auftrag gab, drei Abschnitte vor.
Verkehrspolitik
Wie schwierig das Manöver eines ökologischen Umbauprogrammes wird, zeigt gerade der Verkehrssektor, trotz der relativ günstigen Ausgangssituation. „Vier Fünftel aller Gütertransporte werden über die Schiene abgewickelt (BRD: 25 Prozent). Im Personenverkehr werden 50 Prozent aller Verkehrsleistungen mit dem KFZ erbracht (BRD: 80 Prozent). Die Straßenbahn spielt im Gegensatz zur BRD in fast allen größeren Städten der DDR noch eine zentrale Rolle im Nahverkehr. Ihre Abschaffung in den meisten bundesdeutschen Städten hat sich als große Fehlentwicklung herausgestellt.“
Noch sei der Automobilismus in der DDR kein vollständig eingeführtes Lebensprinzip, seien Raumstrukturen und Siedlungsmuster nicht autogerecht angelegt. Doch gerade an das Auto sei für die DDR-Bevölkerung ein entscheidendes Moment der Revolution gekoppelt: die Reisefreiheit. „Das Auto hat in dieser Situation tatsächlich Emanzipationscharakter. Es ist Symbol für neugewonnenen Freiheiten, so wie der Trabi zum mobilen Symbol der Revolution gemacht worden ist.“
Um Straßen- und Schienennetz in der DDR gleichzeitig zu modernisieren, seien in den nächsten zehn Jahren rund 200 Milliarden DM notwendig, weit mehr als finanzierbar. Deshalb müsse gerade hier eine Entscheidung für die öffentlichen Verkehrsträger fallen. Ein Ausbau von Autobahnen erscheine absurd in einem Land mit ökologischen Notstandsgebieten, das verstärkt gegen die Luftverschmutzung kämpfe. Mit Sorge sehen die IÖW-Forscher nicht nur die Aktivitäten der Kraftfahr-Lobby, die den LKW-Verkehr puschen, sondern auch die Initiativen von BRD-Verkehrsminister Zimmermann gegen das Tempolimit in der DDR und die Null-Promille-Grenze. „Im übrigen muß daran erinnert werden, daß der Automobilismus ein in globalem Maßstab in keiner Weise verallgemeinerbares Lebensmodell darstellt: Allein die sechs größten westlichen Staaten vereinigen schon 75 Prozent des Welt -Automobilbestandes auf sich. Ein entsprechendes Motorisierungswachstum in den osteuropäischen Ländern (oder in den low developed countries) muß zwangsläufig den ökologischen Kollaps nach sich ziehen.“
Chemiepolitik
Die Bestandsaufnahme des IÖW nennt 360.000 Beschäftigte in der Chemieindustrie, die in 15 großen Kombinaten elf Prozent des DDR-Nationaleinkommens produzieren. Hauptcrux sei die Dominanz der Carbo-Chemie, also die Herstellung von Chemie -Grundstoffen aus der Braunkohle. Nach Erhöhung der Erdölpreise habe die DDR ganz auf die Kohle-Chemie gesetzt und dabei in Böhlen, Deuben, Espenhain, Leuna und Buna in „technisch bedenklichen, unrentablen, unzuverlässigen und umweltverschmutzenden“ Altanlagen produziert.
Eine grundlegende Umstrukturierung der Chemieindustrie sei unumgänglich. In vielen Fällen gebe es zur Stillegung keine Alternative. „Die Einführung der Marktwirtschaft wird zur Schließung eines beträchtlichen Teils der Chemiebetriebe führen - mit allen sozialen Konsequenzen. Nur einige wenige Betriebe werden sich der internationalen Konkurrenzsituation stellen können.“
Die IÖW-Forscher sehen die Gefahr einer künftigen Arbeitsteilung zwischen Ost- und Westchemie, bei der die (hochgefährliche) Chlorchemie, die in der BRD zunehmend an die Kapazitäts- und Akzeptanzgrenzen stößt, in der DDR neue Anstöße erhalte. Der Abbau der „überkonzentrierten“ Chemieindustrie und seine Neuorientierung biete dagegen Chancen für eine ökologisch verträglichere Produktion. Und wie soll die aussehen? Die Berliner Wissenschaftler weisen zunächst auf die notwendige Umstellung von Braunkohle auf Erdöl hin. Zukunftsträchtige Teilbereiche seien die Polymer -Chemie, die Erdölverarbeitung sowie die Chemiefaserproduktion für die sächsische und thüringische Textilindustrie. Auch im Bereich der Pharmazie bestünden Wachstumschancen. Gleichzeitig müsse aber ein erheblicher Kapazitätsabbau betrieben und Autarkiebestrebungen abgebaut werden. Technisch überholte und umweltproblematische Anlagen zu rekonstruieren, mache keinen Sinn. Auch die Stillegung von Zellstoffwerken und Viskose-Produktionsstätten biete Chancen, die Produkte Chlor und Natronlauge einzuschränken.
Landwirtschaftspolitik
Die DDR-Landwirtschaft liefere 7,4 Prozent des Bruttosozialprodukts (BRD: 2,4 Prozent) und beschäftige 10,4 Prozent der Arbeitnehmer (BRD: 5,5 Prozent). Die Sünden der Landwirtschaft wurden in der DDR perfektioniert. Die Felder seien von 3-7 Hektar auf bis zu 200 Hektar ausgedehnt worden. Durchschnittliche Schlaggröße: 38 Hektar (BRD: 6 Hektar). In Großviehanlagen würden bis zu 150.000 Schweine und 40.000 Bullen gehalten. Der Boden werde durch Monokulturen mit hohem Düngereinsatz ausgeplündert. Die Folgen: Mehr als die Hälfte der Ackerfläche sei von Erosion bedroht, die Böden seien stark verdichtet, das Grundwasser nitratverseucht, hinzu komme eine alarmierende Ausrottung der Arten. Und trotz geringerer Ernteerträge als in der BRD seien je Hektar 40 Prozent mehr Pestizide versprüht worden.
„Die Einführung marktwirtschaftlicher Regeln wird an den ökologischen Problemen wenig ändern. Vielmehr besteht für den Beginn der Umstellung die Gefahr, daß es zu weiteren erheblichen Belastungen kommt, wenn mit den neu entstehenden Konkurrenzbedingungen nochmals ökologische Aspekte der Landnutzung unberücksichtigt bleiben. Billigste Entsorgungsmöglichkeiten könnten gesucht werden, um das Überleben der Betriebe zu sichern.“
Als Schritte zu einer ökologisch orientierten Landwirtschaft verlangen die IÖW-Autoren die Abkehr von den Riesenbetrieben mit ihren überdimensionierten Ställen und Schlagflächen. Eine Stickstoffabgabe soll die Düngerorgien reduzieren und flankierend den Öko-Landbau stützen. Hat die Öko-Landwirtschaft in der DDR überhaupt eine Chance? In der BRD habe sich eine Kundenstruktur entwickelt, die bereit sei, für Öko-Produkte mehr zu zahlen. Solche Bedingungen werde es in der DDR zunächst nicht geben. „Die Insellage Berlins und die Nachfrage der Stadt nach ökologischen Produkten könnten es jedoch lohnend machen, sich in der DDR auf diesem Feld zu betätigen und zum ersten Mal eine Nahversorgung der Stadt mit entsprechenden Produkten ermöglichen. Sinnvoll wäre ein publikumswirksames Pilotprojekt.“
Gravierende Auswirkungen erwartet das IÖW von der „Rückentwicklung der Eigentumsordnung“ in der DDR. Hier könnten sich erhebliche Änderungen und ein Ende der Genossenschaften anbahnen. Mit der Währungsunion und einem Wechselkurs von 1:1 werde ohnehin die Konkurrenzfähigkeit in Frage gestellt. „Freisetzungen“ von Arbeitskräften seien in erheblichem Maße zu erwarten.
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