: „Es gab schon etliche Rätsel“
■ DDR-Oppositionelle über den Stasi-Verdacht gegenüber ihrem ehemaligen Anwalt Schnur nicht sehr überrascht
Berlin (taz) - Roland Jahn, Bärbel Bohley, Stefan Krawczyk, Freya Klier, Vera Wollenberger - die Liste der prominenten Mandanten des Rechtsanwalts Wolfgang Schnur ist lang. Beinahe alles, was Rang und Namen hatte in der DDR -Opposition, wurde von dem Rostocker Rechtsanwalt in enger Zusammenarbeit mit der Kirche verteidigt. Dennoch verwundert es viele nicht, daß nun der Stasi Verdacht gegen einen Mann erhoben wurde, der immer als „integre Figur“ galt. „Mich würde es überhaupt nicht überraschen, wenn er wirklich für die Stasi gearbeitet hat“, sagt Bärbel Bohley, langjährige Mandantin Schnurs. „Wenn man in der DDR lebt, hat man so etwas immer im Hinterkopf.“ Allerdings, so fügt sie hinzu, träfe dieser Verdacht wohl auf viele DDR-Anwälte zu. „In dem Moment, wo sie politische Gefangene vertraten, hatten sie automatisch Kontakte zur Stasi, und man wäre naiv zu glauben, sie hätten dort immer nur Sachen im Interesse ihrer Mandanten verhandelt.“ Auch in ihrem Fall gab es „etliche Rätsel, die Schnur auch in langen Gesprächen nie aufgeklärt hat“. So habe Schnur, obwohl er wußte, daß sie auf keinen Fall in den Westen ausreisen wollte, ohne ihr Wissen mit den DDR-Sicherheitsbehörden ihre Quasi-Abschiebung nach England ausgehandelt. Die jetzigen Vorwürfe gegen Schnur, so meint Bärbel Bohley jedoch, müßten ganz genau geprüft und bewiesen werden, „sonst gibt es kurz vor den Wahlen eine üble Schlammschlacht“.
Die Schauspielerin Freya Klier - 1988 mit dem Liedermacher Stefan Krawczyk unter Druck in die Bundesrepublik ausgereist - ist in ihren Vorwürfen gegen ihren früheren Anwalt Schnur härter. Sie sei fest davon überzeugt, daß Schnur zumindest in ihrem Fall „gemeinsame Sache“ mit der Stasi getrieben habe. Er habe Krawczyk und sie während ihres Gefängnisaufenthaltes gegeneinander ausgespielt. So habe er ihrem Mann wahrheitswidrig mitgeteilt, sie stehe kurz vor dem Selbstmord. Damit habe er Krawczyk die Einwilligung zur „freiwilligen“ Ausreise abgepreßt. In einem offenen Brief an den Konsistorialpräsidenten Stolpe hat Freya Klier schon im Herbst 89 eine ganze Reihe von Vorwürfen gegen ihren Anwalt Schnur und die DDR-Kirchenleitung erhoben und bisher vergeblich Aufklärung verlangt. Schnur sei für viele Oppositionelle ein „unantastbarer“ Mann gewesen, berichtet Freya Klier, erst hinterher, als die meisten längst unfreiwilig im Westen waren, hätten sie gemerkt, daß er „uns unheimlich geleimt hat“ und es in allen Fällen eine verdächtige Kontinuität gab. Dabei sei eigentlich schon immer merkwürdig gewesen, daß Schnur einen „dicken Westwagen“ fuhr und trotz aller seiner Aktivitäten von den DDR-Behörden nie belangt wurde.
Vera Gaserow
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