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Corn Island: Hummer, Waffen, Kokain

Der Hurrikan „Joan“, der Ende Oktober 1988 Nicaragua verwüstete, hat in Corn Island nicht nur den Urwald entwurzelt und sämtliche Häuser plattgemacht, er hat auch die Lebensgrundlage der InselbewohnerInnen nachhaltig verändert. Vor der Katastrophe lebte die Insel von der Hummerproduktion, ihren Kokosnüssen und dem sanften Polittourismus. Davon ist nur die Hummerfischerei geblieben.

Fast alle leben heute von dem einträglichen Geschäft mit den großen Schalentieren. Wo sonst in Nicaragua schafft es schon ein junger Mann ganz allein, für das Auskommen seiner Familie zu sorgen - und eine Familie besteht oft aus vier Generationen, die unter einem Dach leben. Nur werden, wie Greenpeace/USA befürchtet, die Hummerbestände zur Zeit massiv überfischt. Und niemand weiß, wie lange es so weitergehen kann.

Außderdem sind die beiden Schwesterinseln, Corn Island und das benachbarte Little Island, seit dem Hurrikan voll von Drogen. Vor allem Kokain kommt von der nahegelegenen, zu Kolumbien gehörenden Insel San Andres. Denn die Schmuggler zahlen nun lieber mit Kokain als in US-Dollar. Und wenn sie doch in Dollar zahlen - der Währung, in der seit einigen Monaten auch die staatliche Fischfabrik ihre Arbeiter entlohnt - dann bieten sie sechs bis sieben Dollar pro Pfund Hummer. Und da die Fabrik nur fünf Dollar bezahlt, lohnt es sich schon, die Ware auf hoher See den Schmugglern anzubieten, die (anders als der Staat) auch den Ankauf von Jungtieren nicht ablehnen.

Mit etwas Glück kann ein Fischer an einem Tag bis zu 50 Pfund aus den versteckt gelegenen Riffen holen. Meist wird getaucht, auch wenn das verboten, weil lebensgefährlich ist. Die Angst wird oft mit Drogen betäubt. Die jungen Männer tauchen bis über zehn Meter tief, ohne jede Ausrüstung. Jedes Jahr sterben einige dabei.

50 Pfund Hummer, das sind mindestens 250 Dollar bar auf der Hand. Eine unvorstellbar hohe Summe. Zumal es auf der Insel kaum etwas zu kaufen gibt. Sogar Grundnahrungsmittel fehlen in den wenigen Kleinläden. Dafür bekommen die Fabrikarbeiter - und es gibt kaum einen Haushalt, der nicht einen Familienangehörigen in die Fabrik schickt - dort monatlich ein Lebensmittelpaket. (Niemand weiß natürlich, ob das nach dem Rgierungswechsel so bleibt.) Da lohnt sich für die wenigen Händler das Risiko nicht, auf der Insel ein Geschäft zu eröffnen. Denn meistens ist genug Geld da, um einmal im Monat nach Bluefields oder sogar zum Dollarsupermarkt in Managua zu fliegen.

In Corn Island, das vom Hurrikan am stärksten betroffen wurde, sind dank des Hummers die meisten Häuser wiederaufgebaut worden, sie glänzen oft sogar in neuer Farbe. Und während die Hafenstadt Bluefields immer noch wie ein einziges großer Slum aussieht, fahren auf der Insel jetzt mehr Hondas herum als in Managua. Die Nachbarinsel Little Island ist seit Jahren ein Schmuggelplatz für Sturmgewehre. Vor allem die Contra kaufte hier gerne ihre „AK-China“ - zum Stückpreis von nur noch 100 Dollar. Mit dem Gewinn aus dem Waffengeschäft wird dann oft Kokain gekauft. Die Schmuggler bieten aber auch Bluejeans an, und Fernseher können von einem Tag auf den anderen aus San Andres bestellt werden.

Kaum jemand auf der Insel scheint sich Gedanken darüber zu machen, welche Folgen das Kokaingeschäft für die Insel hat. Zwischen Kokain und Marihuana wird nicht groß unterschieden, und Marihuana wurde ja schon immer angebaut.

Nidia Taylor, die Noch-Chefin der Sandinistischen Befreiungsfront auf der Insel, will deshalb eine Aufklärungskampagne gegen die Drogen starten und zusammen mit den Jugendlichen nach Alternativen suchen. Die von der taz gebaute Schule soll deshalb nicht nur Lehranstalt sein, sondern auch ein Haus der offenen Debatte, ein Haus für die Zukunft der Insel. Und genau deshalb will die FSLN eine gute Schule auf Corn Island - weil es, so Nidia Taylor, „der sozial schwierigste Ort in Nicaragua ist.“

Robin Schneider, Corn Island

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