: Denkt mal ein bißchen nach!-betr.: "Streik als Machtkampf", taz vom 5.3.90
betr.: „Streik als Machtkampf“, taz vom 5.3.90
Wie schon manchmal bei der Lektüre von taz-Kommentaren habe ich mir bei der des Kommentars von Klaus Hartung gewünscht, der Verfasser hätte sich mindestens auf der Grundlage der taz-Berichterstattung mit der Sachlage vertraut gemacht und sich nicht nur aus dem Anzeigenteil informiert (zum Beispiel Senatsanzeigen zum Kita-Streik). (...)
1. Ein Tarifvertrag im Bereich der Kitas über Personalbemessungen beziehungsweise Gruppengrößen ist genauso sehr und genauso wenig ein Eingriff in das „vornehmste Recht des Parlaments“ wie jeder andere Tarifvertrag im öffentlichen Dienst oder auch die Preise von Anbietern von Leistungen oder Waren oder die Mietpreisgestaltung privater Vermieter für öffentliche Nutzer.
Na und? Zum Budgetrecht gehört doch in einer parlamentarischen Demokratie nicht das Recht des Parlaments, alle öffentlichen Einnahmen und Ausgaben zu Lasten der Erbringer einseitig zu gestalten! (...) Auch im Bereich der öffentlichen Einrichtungen gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit.
2. Es ist klar, daß diese Tarifauseinandersetzung kein Präjudiz für andere öffentliche Dienste im Sinne eines Automatismus sein kann. Wohl kann sie aber eine Anregung für andere Beschäftigte des öffentlichen Dienstes sein, darüber nachzudenken, ob ständige „Normerhöhungen“ zum Beispiel in Form der Vermehrung von Aktenzahlen, von Patientenzahlen u.ä. angesichts von mehr als zwei Millionen Arbeitslosen angemessen sind. Die Gewerkschaften sagen grundsätzlich nein. (...)
Ob andere Bereiche allerdings einen derartigen Denkanstoß brauchen, halte ich für unwahrscheinlich. Auseinandersetzungen über Arbeitsbedingungen und Arbeitsmengen sind so alt wie die abhängige Arbeit. In Industriebetrieben sind Mengenvorgaben pro Arbeitsperson auch in unserer Gesellschaft eigentlich die Regel. Sind Kinder oder andere Menschen als „Arbeitsergebnisse“ leichter zusammenzupressen als industrielle Produkte?
3. Eine Verhandlung über die vertragliche Festlegung von Gruppengrößen in den Kitas würde wohl bei niemandem in dieser Stadt den „Anschein eines Gewerkschaftsstaates“ erwecken. Dazu ist dieser Senat in dem ersten Jahr seiner Amtszeit den Unternehmen der Privatwirtschaft zu nahe geblieben. Aber die Weigerung, mit den ErzieherInnen zu verhandeln, während mit Unternehmern über alle möglichen Verträge verhandelt wird, muß alle BeobachterInnen verbittern.
Es mag sein, daß der Senat wirklich auf die Zeit und die Abnutzung der betroffenen ErzieherInnen und Eltern setzt, aber diese Rechnung kann sich längerfristig zu einem Pyrrhussieg entwickeln - um bei Hartungs militärischen Vergleichen zu bleiben.
Denkt mal ein bißchen nach.
Gudrun Rogge, Berlin
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