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„Die Stimme des Gewissens“

Auskünfte eines Antistalinisten über einen Antistalinisten: Der Verteidiger Dr.Götz Berger erinnert sich an seinen Mandanten Robert Havemann  ■ D O K U M E N T A T I O N

Am 11.März 1990 wäre der Antifaschist, Physiker, Philosoph und SED-Regimekritiker Robert Havemann 80 Jahre alt geworden. Seine Rehabilitierung erfolgte im November 1989, erzwungen durch die „friedliche Revolution“ in der DDR. Dr. jur. Götz Berger, Jahrgang 1905, wurde 1933 zum erstenmal die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen, weil er für die „Rote Hilfe“ tätig war. 1976 wurde der Altkommunist zum zweitenmal mit Berufsverbot belegt, weil er die Anwaltsvertretung von Robert Havemann übernahm. Rüdiger Rosenthal sprach mit dem heute 84jährigen Dr. Götz Berger.

Rosenthal: Können Sie sich erinnern, wie sie Havemann kennengelernt haben?

Berger: Wo und wann ich Robert Havemann das erstemal begegnet bin, weiß ich nicht mehr, es ist zu lange her irgendwann in den sechziger Jahren. Von Havemanns Vorlesungen habe ich Anfang der sechziger Jahre erfahren, auch von ihrer Wirkung und bald auch von den Auswirkungen dieser Vorlesungen auf Robert Havemanns persönliches Leben.

Havemann hatte seine Jünger. Sie waren damals aber schon fast 60. Was hat Sie an ihm beeindruckt?

Was mich an Havemann faszinierte, war, daß er nicht nur als Wissenschaftler in seiner Studierstube eingeschlossen, Bücher wälzte, sondern auch politisch für seine Anschauungen stritt. Bereits in der Nazizeit hatte Havemann mit seinem Leben dafür eingestanden. Und er war seiner Hinrichtung nur entgangen, weil er im Zuchthaus Brandenburg forschen sollte. Die Nazis hofften, daß dies für ihre Kriegsführung nützlich sein könnte.

Was mich mit ihm verbunden hat, war einerseits seine sozialistische Überzeugung - ich bin seit meiner frühesten Jugend kommunistisch aktiv gewesen - und zum anderen seine antifaschistische Vergangenheit - ich selbst hatte in Spanien gegen Franco gekämpft und war Antifaschist.

Sie haben ihn dann auch vertreten. Wie kam es dazu?

Aus unserer politischen Freundschaft hat sich dann auch meine Rechtsanwaltstätigkeit ergeben, die vor allem 1968 notwendig wurde. Der „Prager Frühling“ war für Havemann der Aufbruch in eine neue Zeit des sozialistischen Humanismus. Nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die CSSR habe ich einen der beiden Söhne verteidigt, später auch den anderen. (...) In der Verteidigungsrede hatte ich ausgeführt, daß dieser junge, politisch interessierte und marxistisch gebildete Mensch den Gedanken propagieren wollte, daß die bewaffnete Macht innerhalb eines Staates immer eine Gefahr für den Staat werden könnte - ein Staat im Staate.

Und nun kam, was mir zum Verhängnis wurde. Ich sagte, diese Erfahrung habe sogar die Sowjetunion machen müssen, als der Chef der Geheimpolizei Berija sich als Feind entpuppte und entsprechend verurteilt werden mußte.

Im Gerichtssaal waren nur Stasi-Leute, um Publikum fernzuhalten und trotzdem die Form der Öffentlichkeit zu wahren. Als ich Berija erwähnte, ging ein Raunen durch den Saal, alle Stasi-Leute sahen sich schon verurteilt und aufgehängt. Seitdem hatte ich bei den Staatssicherheitsleuten verspielt, und sie sorgten dafür, daß politische Häftlinge sich nicht mehr an mich wandten.

Wie war denn generell das Verhältnis der Verteidiger zur Staatssicherheit?

Viele haben die Behinderungen zu spüren bekommen. Zum Beispiel, daß man die Mandanten erst sprechen konnte, wenn alles schon fertig war, und daß man erst spät in die Akten Einsicht nehmen durfte. Die im Anwaltskollegium organisierten Rechtsanwälte, und das waren fast alle, waren eingebunden in den gesamtgesellschaftlichen Aufbau. Obwohl wir formell eine Genossenschaft waren, unterstanden wir der Oberaufsicht des Justizministers. Der Minister hat immer darauf gedrungen, wir sollten uns bewußt sein, daß wir alle an einem Strang ziehen. Schließlich seien wir alle Organe der Rechtspflege. Deshalb könnten wir uns nicht als Anwälte auf einen anderen Standpunkt stellen als die Anklage (...) Damit waren die Grenzen markiert, und viele Kollegen haben sich davon auch beeinflussen lassen.

Zurück zum Prozeß, wie hat Havemann das verkraftet?

Zu dem Prozeß gegen die Söhne von Robert Havemann, mit dem sicher auch der Vater unter Druck gesetzt werden sollte, war Havemann als Zeuge geladen (...) Schließlich wäre das Gericht eine großartige Bühne gewesen, um dort seine Auffassungen zu vertreten. Die Sache lief dann aber anders ab. Havemann war zum Anfang des Prozesses geladen, und das hieß, er hatte im Zeugenzimmer zu warten.

Er durfte das Zimmer nicht verlassen. Zum Schluß der Beweisaufnahme hat das Gericht beschlossen, Havemann nicht zu vernehmen, das sei nicht mehr nötig. So blieb er von der ganzen Verhandlung ausgeschlossen, und dies war natürlich auch der Zweck der Übung gewesen.

Als der Sohn dann nach Luckau kam, war Robert Havemann nur noch mehr in seiner kritischen Haltung gegenüber dem etablierten, also vom Staat manipulierten Sozialismus bestärkt.

Wie kam es dann zum Hausarrest gegen Havemann?

1976, nachdem Havemann dem 'Spiegel‘ ein Interview gegeben hatte, in dem er sich gegen die Ausbürgerung Biermanns wandte und an die Parteiführung der DDR appellierte, diesen Beschluß rückgängig zu machen, wurde ein Strafverfahren gegen ihn anhängig. Die Form ist bezeichnend für das, was damals bei uns als Justiz galt. Havemann hatte seinen Wohnsitz in Grünheide, zuständig war das Kriegsgericht Fürstenwalde.

Eines Tages wurde er von zu Hause abgeholt, angeblich zu einem Verhör. Er hatte keine Ahnung, daß dies eine außerordentliche Gerichtsverhandlung werden sollte. Ehe er überhaupt begriffen hatte, daß es ein Schnellverfahren war, war er schon verurteilt. Ich habe danach die Akten eingesehen, die Verhandlung ist in einer halben oder dreiviertel Stunde vor sich gegangen, und das Protokoll war auch nur eine Seite lang.

Er wurde nur gefragt, ob er dem 'Spiegel‘ das Interview gegeben habe, was er bejahte. Das genügte, und die Verhandlung war beendet.

Ihr Einsatz für Havemann hat Ihnen dann das zweite Berufsverbot im Leben eingebracht. Kennen Sie Ihre Stasi -Akte schon?

Am darauffolgenden Tag kam ein Mann vom Justizministerium zu mir und sagte, unten stehe ein Wagen, ich solle mitkommen zum Ministerium. Als ich dort nach Dienstschluß ankam, sagte mir der Staatssekretär, ich sei mit sofortiger Wirkung aus dem Anwaltskollegium ausgeschlossen. Es gibt keine schriftlichen Unterlagen darüber, außer dem sehr dürftigen Schriftwechsel zwischen Ministerium und Anwaltskollegium, und darin geht es lediglich um formelle Fragen.

Der Staatssekretär war in einer Art Panikstimmung: vor einer Woche meine Stellungnahme gegen die Ausbürgerung von Biermann und nun auch noch die Verteidigung von Havemann. Das war der eigentliche Auslöser für mein Berufsverbot.

Hinter meinem Ausschluß, darüber waren sich alle einig, stand das Zentralkomitee und der zuständige Minister, der 1989 zurückgetretene Justizminister Heusinger. Mit meinem Berufsverbot sollte Havemann die Möglichkeit einer Revisionsverhandlung vor dem Bezirksgericht genommen werden. Außerdem, und das war wohl die Hauptsache, sollte es ein Schreckschuß zur massiven Einschüchterung aller anderen Rechtsanwälte sein. Ich war ja einer der wenigen Altkommunisten unter den Juristen und habe maßgeblich am Aufbau unserer Justiz nach 1945 mitgewirkt. Da mußten sich die anderen Kollegen fragen, wenn schon dieser Mann, der alt ist, seine Verdienste hat und dafür ausgezeichnet wurde, bestraft wird, was passiert dann, wenn wir aufmüpfig werden?

Nun sind Sie rehabilitiert worden.

Im April 1989 und wenige Monate später, als sich die Wandlungen in der DDR bemerkbar machten, habe ich an das Berliner Rechtsanwaltskollegium und an das Justizministerium geschrieben, daß mein ungerechtfertigter Ausschluß doch wohl nicht aufrechterhalten werden könne. Mein Schreiben wurde weitergeleitet und hat erst jetzt Erfolg gehabt. Dabei hat mir Gregor Gysi als Vorsitzender der Rechtsanwaltskammer sehr geholfen. Seit dem 15.November 1989 bin ich rehabilitiert, allerdings mit der halbherzigen Einschränkung „aus heutiger Sicht“.

Auszug aus: Robert Havemann: „Die Stimme des Gewissens“, Texte eines deutschen Antistalinisten. Hg. Rüdiger Rosenthal, Rowohlt-Verlag, rororo aktuell 12813, 1990

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