: Der Anfang vom Ende für Thatcher
■ Parteipolitisches Taktieren nach Einführung der Kopfsteuer
Der Hinweis der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, daß bisher noch jede Regierung zur Halbzeit der Legislaturperiode in der WählerInnengunst zurückgelegen habe, ist nichts weiter als Zweckoptimismus. Die Krise der Tories, die vor allem eine Krise Thatchers ist, unterscheidet sich vom normalen „Mid-term Blues“: Die Partei steht nicht mehr geschlossen hinter der Premierministerin. Noch Ende vergangenen Jahres wehrte Thatcher den Angriff Sir Anthony Meyers auf ihren Posten souverän ab. Inzwischen wünscht ein Viertel der konservativen Abgeordneten ihren Rücktritt. Das kommt einem Mißtrauensvotum gleich.
Ihr Widersacher Michael Heseltine ist ein geschickter Taktiker: Er überläßt es seinen Anhängern, ihn als Alternative ins Spiel zu bringen, da er weiß, daß eine offene Herausforderung Thatchers zu einer Solidarisierung der Hinterbänkler mit der Premierministerin führen würde. Die Zeit ist auf Heseltines Seite. Die Einführung der Kopfsteuer hat eine Spirale in Gang gesetzt, die Thatcher immer tiefer in die Krise ziehen wird. Das Mißtrauen der eigenen Partei hat in der vergangenen Woche zu einem Sturz des britischen Pfundes geführt, der Finanzminister John Major bei der Verkündung des Haushaltsplans in acht Tagen dazu zwingen wird, die Einkommensteuer zu erhöhen. Das wiederum wird ein Debakel der Tories bei den Lokalwahlen im Mai auslösen.
Für die Labour Party, die sich auf dem Parteitag im vergangenen Jahr endgültig vom Sozialismus verabschiedet hat und auf eine sozialdemokratische Linie eingeschwenkt ist, wäre Thatchers vorzeitiger Rücktritt ein großes Unglück. Michael Heseltine könnte für einen Stimmungsumschwung zugunsten der Tories sorgen, ohne die Parteipolitik tatsächlich zu ändern. Er hat das Image eines Politikers, dem, im Gegensatz zu Thatcher, die Nöte der schwächeren Bevölkerungsteile nicht völlig gleichgültig sind. Ein „freiwilliger“ Rücktritt Thatchers - noch vor der Sommerpause aufgrund des Drucks der Hinterbänkler - könnte den Konservativen helfen, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Sollte sie jedoch erst im Herbst auf dem Parteitag unter öffentlicher Ausbreitung der schmutzigen Wäsche abgewählt werden, wäre der Schaden für die Tories kaum noch zu reparieren.
Labour-Führer Neil Kinnock ist zur Zeit ängstlich bemüht, den Vorsprung seiner Partei von 19 Prozent nicht selbst zu vermasseln. Seine ständigen Distanzierungen von gewalttätigen Demonstrationen und boykottwilligen Labour -Abgeordneten richten allerdings eher Schaden an: Die Protestbewegung gegen die Kopfsteuer wird nämlich von der Masse der Bevölkerung getragen. Kinnock muß also aufpassen, daß er sich in seinem Eifer, die Labour Party als „wählbare Alternative“ zu präsentieren, nicht von den WählerInnen distanziert.
Ralf Sotscheck
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